Berlin, Deutschland (Weltexpress). Mir liegt der Buchtitel des französischen Schriftstellers von Émile Zola auf der Zunge. J’accuse! Er hat die Öffentlichkeit in einer Zeitung über die wahren Hintergründe der Dreyfus-Affäre informiert und einen politischen Skandal ausgelöst. Das wäre heute nicht mehr möglich, denn unsere sophistische Presse neigt heutzutage eher zum Totschweigen, Bagatellisieren oder mit politisch erwünschter Verfälschung von sensiblen Tatsachen. Eine neue Qualität – selektiver Humanismus auf Basis von machtpolitischen Erwägungen.
Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob bei Mördern, asozialen Gaunern, Betrügern und bei all jenen, die den sozialen und menschlichen Frieden stören, das humanitäre Konzept der Solidarität und Hilfsbereitschaft endet. Ich sage ja. Herkunft, Religion und Nationalität spielen dabei keine Rolle. Keine Frage, dem Flüchtling, dem Vertriebenen und allen, die in Not geraten sind, muss geholfen werden, das gebietet unsere Menschlichkeit. Die Frage dabei ist nicht, was den „Einwanderern“ zusteht, sondern auf welche Weise geholfen wird.
Wenn sich dann die Verfolgten und Geflüchteten – aus welchen Beweggründen auch immer, an das Gebot unserer westlichen Menschlichkeit, an die Grundlagen unserer Moral und tradierten Lebensweisen nicht halten, überdies Hilfeleistende schamlos ausnutzen, Landesrecht und Ordnung mit Füßen treten, den sozialen Frieden zerstören, mit Mord, Totschlag und Vergewaltigung antworten, haben sie jede Hilfe verwirkt. Wenn aber der eigene Staat auf die Angst, Wut und Überforderung seiner eigenen Bürger nicht oder unzureichend reagiert, dürfen sich die Politiker nicht wundern, wenn ihnen der Wind von vorne ins Gesicht bläst. Was wir in Deutschland derzeit erfahren, ist die pervertierte Haltung eines aggressiv verordneten Humanismus, der jeden Angriff auf unseren sozialen Frieden und das gesellschaftliche Miteinander, sowie die gezielte Unterwanderung kultureller Errungenschaften vorsätzlich ausblendet.
Um es vorweg zu nehmen, Humanität ist nicht nur ein Begriff, der „menschliches Verhalten“ beschreibt. Sie ist die Grundlage der Menschenrechte. Philosophen haben im 18. Jahrhundert die Kriterien umrissen, „was den Menschen ausmacht“ oder „wie der Mensch sein soll“. Gemeint ist der friedvolle, gütige, kultivierte Umgang untereinander. Somit ist es die Aufgabe jedes zivilisierten Staates, die Würde und die Rechte jedes Menschen zu garantieren, der sich auf seinem Gebiet aufhält. Und wohin man immer sich auf dieser Welt begibt, ob als Tourist oder Flüchtling, als Besucher oder Gast, ich habe mich an die jeweiligen Gegebenheiten und Gebräuche anzupassen. Das wiederum gebietet die Höflichkeit und der Anstand.
Schon Marcus Tullius Cicero (43 v. Chr.) erklärte, dass „der rücksichtslose Mensch, der sich für andere Menschen nicht interessiert, nicht human sei“, sondern „unmenschlich“. Diese Zweiteilung in „Menschlichkeit und Unmenschlichkeit“ wurde nicht nur auf das konkrete Verhalten von Menschen bezogen, sondern auch als Ausdruck der „Wesensart“ „unmenschlich Handelnder“ gewertet, der zufolge sie „Unmenschen“ seien. Entsprechend hat man mit der damaligen Härte des Gesetzes reagiert. Selbstredend leben wir heute nicht mehr im Altertum auch nicht mehr im Mittelalter, wenngleich man das Gefühl nicht mehr los wird, dass mit einigen Schutzsuchenden das anarchische Mittelalter über das Mittelmeer zu uns herüberschwappt.
Wobei wir bei des Pudels Kern angekommen sind. Als zentraler Bedeutung erweist sich die Humanitätsfrage, wer darüber entscheidet, welches Verhalten als „unmenschlich“ gelten soll. Die Antwort ist klar. Wer in einem Staat über die Macht verfügt, definiert die wertenden Begriffe und belegt asoziales Verhalten mit dem eigenen Rechtssystem. Doch dieses Rechtssystem wurde durch Unfähigkeit, Überheblichkeit, Profilierungssucht, Systemversagen und Wettbewerbsstreben nicht nur aufgeweicht, sondern ausgehebelt. Letzteres führte zu einer dramatischen Entwicklung, die für die Bürger bis zum Zeitpunkt des Flüchtlingsstroms nach Deutschland eher als angenehm empfunden wurde. Zu wenige Richter, zu wenige Staatsanwälte, eine kaputt gesparte Polizei und massiver Verzicht auf Sicherheitsmaßnahmen. Nun haben wir die Folgen zu tragen. Eine tiefgreifende Spaltung unserer Gesellschaft.
Die eigentliche Tragik liegt in der Tatsache, dass die Politik aus macht- und gesellschaftspolitischen Gründen, auch aus Gründen der Staatsraison den Bürgern unter allen Umständen ein Klima der Normalität suggerieren will. Nicht nur der Erhalt eigener Macht- und Versorgungsprivilegien stehen auf dem Spiel, auch der Nimbus der Integrität, der nicht angezweifelten Fähigkeiten und der Respekt bröckelt an allen Ecken und Enden. Immer öfter hinterfragen die Kompetenzen unserer Politiker, immer öfter bezweifeln deren Führungsfähigkeiten.
Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Wenn Politiker von jenen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, oft genug Verbrechen, Terroranschläge, Übergriffe und Betrügereien begehen, die aus „staatspolitischen Selbsterhalts“ bagatellisiert, geschönt, verschwiegen oder verfälscht werden, dann bringt das auf Dauer die Bürger auf die Palme. Welchen Wunden schlagen Politiker, angefangen bei Bürgermeistern bis hin zu unserer Kanzlerin, wenn Opfer in unserer Gesellschaft von ihnen kaum Beachtung finden? Was löst es bei den Betroffenen in Berlin, Freiburg, Kandel, München oder Duisburg aus, wenn Taten und Täter unter dem entschuldigenden „Deckmantel“ von Traumata, psychischen Störungen oder „schlechter Behandlung“ nur noch dann offenbart werden, wenn es nicht mehr zu vermeiden ist.
Man möchte manchmal schreien vor Empörung und Wut, mit welche dreisten Argumenten und atemberaubenden Verfälschungen offenkundige Verbrechen unserer ungebetenen Gäste in Taten umgewandelt werden, für die teilweise sogar Verständnis und Nachsicht eingefordert werden, zumal Staat und deren Vertreter ja niemals Verantwortung übernehmen. Mitgefühl werden in standardisierte Floskeln verpackt und für die Eigenprofilierung genutzt. Echte Empathie? Fehlanzeige. Unterstützung, Betreuung, langfristige Hilfe für Opfer? Bestenfalls Lippenbekenntnisse und gespielte Betroffenheit vor den Kameras, im Anschluss werden Betroffene totgeschwiegen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Die Hinterbliebenen trifft das pervertierte System falsch verstandener Humanität wie ein Keulenschlag. Sie empfinden es als Stigmatisierung, als Kränkung, Verletzung und oft auch als Ausgrenzung. Jene Opfer sind die wahren Verlassenen und Vergessenen, die man mit einem bedauernden Blick ihrem Schicksal überlässt und deren Forderungen mit allen zur Verfügung stehenden Behördenhürden abschmettert. Ist das die Humanität unserer gesellschaftlichen Elite?
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Claudio Michele Mancini wurde am 30.12.2017 im Scharfblick erstveröffentlicht. Alle Rechte beim Autor.