Betritt man die Ausstellung, muß man erst einmal tief Luft holen. Denn tatsächlich zeigen einem die Ausstellungsmacher – neben Rudolf Hiller die Kuratorin Cecilie Hollberg unter Mithilfe von Detlef Döring von der Akademie der Wissenschaften und Museumsleiter Volker Rodekamp – geradezu gegenständlich, was die in Leipzig vollzogene Explosion des Wissens für Folgen hatte: es ist voll. Voll von technischen Errungenschaften, von Apparaturen, von Büchern, von Landkarten, von Kulturscherben, von Erfindungen und den Auswirkungen der Entdeckungen, z.B. die von Alexander von Humboldt in Südamerika. In rund 30 Stationen versucht man, diesem überbordenden Wissen Herr zu werden, was außerordentlich anschaulich gelungen ist. In den Kabinetten orientiert einen die Leuchtschriften am Boden, was einen hier erwartet, „Gedruckte Wortgewalt“ oder „Die Welt im Kleinen“ oder „Montanwesen oder „Astronomie. Die Ausstellungsdidaktik leitet einen auch durch Farbgebung, indem um die Wände herum Grau für die Naturwissenschaften und die Hintergrundinformation steht, Rot für Uni und Stadt, Orange für die Geisteswissenschaften und sich ein Riegel im Inneren innenwärts in Blau für die Mitmachstationen öffnet, wo Wissen also nicht über Worte rezipiert wird, sondern in Versuchen erfahren werden kann.
Wir beginnen an der Stirnseite mit dem Motto: „Man spricht Deutsch“. Denn auch das ist eine Errungenschaft des späteren 17. Jahrhunderts, daß sich das Deutsche als Literatur und als eigene Literaturwissenschaft emanzipiert, wie überhaupt die Auffächerung voranschreitet und das neue Wissen auch zu neuen Einzeldisziplinen führt. Hier schauen einen sechs gepuderte Perückenköpfe an. Dies nun wird an keiner Station, erst recht nicht bei den Mitmachstationen erläutert, warum im Barock die Perücke als gesellschaftlicher Zwang Norm wird, was einen erstmalig hier in der Ausstellung tatsächlich wundert, wie die entfesselte Wissensentwicklung so wohlbezopft von statten ging. In der Vorstellung gehören freie Haare zu einem freien Geist und tatsächlich ging ja auch die Entwicklung in diese Richtung, aber erst einmal herrscht die Perücke vor.
In „Man spricht Deutsch“ sind es vier Herren und zwei Damen, die die Ehre der Aufhängung erfuhren, weil sie Ehegatten waren (Madame Closius) und die eine als „Gehülfe“ ihres Mannes (Luise Gottsched) schon richtiges Männerwerk machen durfte, wie die mittelalterliche Literatur zu erfassen, etymologische Wörterbücher anzulegen oder sogar schon selbst schreibe durften, bevorzugt Komödien. Die Werke der Zeit – Klopstock muß man genauso erwähnen wie dann viel später Goethe und Lessing, vor allem auch Christian Fürchtegott Gellert, der seinerzeit gefeierste deutsche Dichter und an der Uni in Leipzig lehrend – liegen aufgeschlagen in den Vitrinen und weisen schon darauf hin, was später in einer anderen Station Sache wird: das Verlagswesen zu Leipzig und auch die Buchmessen, die in Konkurrenz zu Frankfurt diese im 18. Jahrhundert bis hin zum 2. Weltkrieg in der Bedeutung überholten. Aber hier kann man endlich nachlesen, wie es dazu kam – und der Katalog führt es auf Seite 263 auf –, indem sich die Leipziger Buchhändler auf einen Schlag von der Frankfurter Buchmesse zurückzogen, was diese zum Erliegen brachte und in Leipzig auf neuer ökonomischer Grundlage – Barzahlung statt Druckbogentausch – das Buchmessewesen florierte.
Was das mit der Universität zu tun hat? Sehr viel. Denn einmal waren über die Personen die universitäre als wissenschaftliche Einrichtung und ein Verlag als merkantile verbunden, aber vor allem soll aufgezeigt werden, wie Wissenschaft und Praxis Hand in Hand marschierten und das eine die Vorbedingung des anderen war und wieder – in Form von Bibliotheken beispielsweise – zurückschwappt. Aber, wo bringt man die Bücher unter? Das Nützliche dieser Ausstellung ist, daß sie eben Kulturgeschichtliches mitvermittelt und das reine Wissen gleich in die zeitüblichen Bücherkästen oder Vitrinen steckt, die uns wenigstens andeutungsweise zeigen, wie die Leute lebten. Und hier kann man „Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste“ von Zedler 1732 genauso studieren wie den „Mietvertrag zwischen der Universität Leipzig und Siegfried Leberecht Crusius und dem bedeutendsten Verleger der Zeit Philipp Erasmus Reich ins Antlitz schauen, wie es Anton Graff 1771/72 malte.
Probedruckpressen kann man auch besichtigen wie die Bleilettern, die ja noch bis ins 20. Jahrhundert überdauerten. Sensation allerdings ist das letzte noch erhaltene Exemplar der ersten Tageszeitung der Welt aus Leipzig vom 1. Juli 1650, das aus der Nationalbibliothek von Stockholm ausgeliehen wurde, erstaunlich klein im Format DIN 6 auf vier Seiten. Warum aus Stockholm. Leicht zu erklären. Heute wirft man die Zeitungen umgehend weg. Nichts ist so alt wie die Nachricht von gestern. Früher nahm man diese Zeitungen zum Einwickeln, von Fisch bis sonstwas. Aber in die Fremde mitgenommen, erhalten Blätter sofort die Funktion von etwas Besonderem. Und das wurde bewahrt und findet jetzt also nach fast 360 Jahren ein vorübergehendes Heimkommen in der Ausstellung in Leipzig. Neben all der Wissenvorführung und den Erklärungen schwingen also auch so kleine, doch rührende Phänomene mit.
Am beeindruckendsten sind jedoch sicherlich die technischen Apparate wie die Vakuumpumpe von Jakob Leupold von 1709 in den Maßen 146 x 176 x 49 Zentimeter. Eine Luftpumpe also, wobei wir meist die Luftzufuhr für das Wichtige halten. Was aber durch das Entleeren von Luft passiert, konnte man hier verfolgen, statt der Messingkugeln gab es später eine Glaskugel, wobei natürlich das Gerät, das August der Starke auf der Leipziger Messe sah und haben mußte, nicht nur Experimentierfeld bot, sondern mit dem schönen Holzunterbau, in dem Geräte untergebracht waren, und der feinen Messing- und Stahlverarbeitung wie ein Kunstwerk aussieht – und ja auch real eines ist. Sehr repräsentativ. Wie viel Mühe haben sich damals die Menschen selbst mit den Gebrauchsgegenständen gegeben. Sicher, für die besseren Stände und nicht für jeden Haushalt. Aber vergleicht man heutige Plastikunkultur mit den damaligen edlen Fertigungen, kommt man schon ins Grübeln über Ästhetik. Leupold ist auch deshalb eine exemplarische Figur, weil er an der Universität erst einmal zehn Jahre Theologie studierte, dann aber sein Händchen für die Geräteherstellung von technischen Erfindungen entdeckte und Praxis mit Forschung verband. Der weitere Rundgang folgt im nächsten Artikel.
Leipzig feiert seine 600jährige Universität in großem Stil. Schon vor vielen Jahren war ein bauliches Modernisierungs- und Erweiterungsprogramm – verbunden mit einer räumlichen Neuordnung der Fachbereiche – gestartet, das pünktlich zum Jubiläum mit dem Campus Augustusplatz eingeweiht werden soll, dem größten innerstädtischen Universitätsleben, an dem seit 2004 gebaut wird. Dem Artikel über die Eröffnung der Jubiläumsausstellung folgen Artikel zur Ausstellung selbst.
Jubiläumsausstellung „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften“ vom 9. Juli bis 6. Dezember 2009
Katalog: „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. 600 Jahre Universität Leipzig“, hrsg. von Detlef Döring, Rudolf Hiller von Gaertringen, Cecilie Hollberg und Volker Rodekamp unter Mitarbeit von Tobias . Müller im Sandstein Verlag, Dresden 2009
Der Ausstellungskatalog lag pünktlich zur Ausstellungseröffnung am 8.7. vor. Als Erster Band sind schon die Essays erschienen, die der Kunst- und Kulturausstellung das innere Gerüst geben, das der Aufklärung allgemein und das der Aufklärung in Sachsen im Besonderen. Da geht es um die dortigen Träger der Aufklärung, um die Wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch Formen der Bildung und der Wissenschaft außerhalb von Universitäten und Schulen. Ein beeindruckender und lehrreicher Band, erschienen im Sandstein Verlag, Dresden 2009.
Das dicke Jubiläumsprogramm besitzt viele Schwerpunkte, von denen die wissenschaftlichen Veranstaltungen allein 80 Seiten ausmachen.
www.uni-leipzig.de/campusrundgang
Universität Leipzig, Geschäftsstelle, Ritterstraße 30-36, Telefon: 0341 97 35 0 35, Fax: 0341 97 35 0 39
Reiseliteratur:
Tobias Gohlis, DuMont Reistaschenbuch Leipzig, 2006
Marco Polo, Leipzig, 2006
Mit freundlicher Unterstützung der Universität Leipzig und des Seaside Park Hotel Leipzig, ideal gelegen gegenüber dem Hauptbahnhof, das auch exklusiver Hotelpartner im Jubiläumsjahr Universität ist. Wir kennen das gut geführte Haus von früheren Besuchen. Architekturfreunde werden die tradierte Art Deco Gestaltung der Hotelanlage besonders goutieren, aber sicher jeder das Restaurant „Steaktrain“, dessen Name sich auf die opulenten amerikanischen historischen Eisenbahnspeisewagen im Untergeschoß bezieht.
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