Da kommt er auch schon. Pünktlich um 12:45 Uhr Ortszeit und westeuropäischer Zeit. Das bedeutet, daß wir es nun eine Stunde früher als in der deutschen Hauptstadt, wo sich sinnigerweise auch das Hauptstadtbüro des Weltexpress befindet, haben. Dort, wo die Uhr am Handgelenkt manuell umgestellt werden muß, gilt es, dies zu beachten. Ich trage keine und bin trotzdem rechtzeitig zur Stelle.
Mr. Dave Wagstaff, eine baumlanger Brite, der sich als gebürtiger Engländer mit trockenem Humor zu erkennen gibt, empfängt mich mit einem einnehmenden Lächeln. Mich hat er gewonnen und so gehe mit. Zu den anderen, denn die stehen am Terminal 1, wie Dave, den wir fortan dutzen, erklärt. „Der Flug war angenehm“, versichere ich und erkundige mich neugierig nach den Kollegen. Die seien auch angenehm und – wie gesagt – schon angekommen. Aha.
Dann das: Die beiden Wartenden sehen von weitem nach jung, modern und erfolgreich aus, neudeutsch: young, urban und professional. Doch ich weiß es besser. Nicht zwei Yuppies stehen dort, sondern zwei Journalisten. Doch erstens kommt es noch schlimmer: Sie sind Volontäre. Und zweitens als man denkt: Der eine kommt aus Bayern und der andere aus Schwaben.
Als Preuße bewahre ich Haltung und gebe die Hand (bevor ich noch umarmt werde). Bei Menschen südlich der Weißwurstgrenze, also südlich des Weserberglandes (sic!), weiß man – aus Erfahrung klug geworden – nie. Per se sind wir per du und wenig später stehen wir vor dem Wagen von Dave, dem Wales Blue Badge Guide, der uns in eine schwedische Limousine (ja, auch beim Saab wird bei Bedarf das Steuer rechts eingebaut) bittet, mit der wir über die Autobahn Richtung Wales kutschiert werden.
Südlich an Liverpool vorbei geht es über die englisch-walisische Grenze nach Cymru (lateinisch: Cambria), wie die Waliser ihr „Wales“ auf kymrisch nennen, das zu den sechs keltischen Nation gezählt wird. Wir werden das fortan auch so handhaben und wie rund 750.000 der knapp 3 Mio Einwohner Cymru, der walisischen Sprache, sagen. Verschwiegen werden soll nicht, was Wikipedia dazu sagt: „Der Landesname stammt vom germanischen Wort welsch, was so viel wie Fremder bedeutet. Es bezeichnet ein Volk, das eine nicht-germanische, also fremdartige Sprache spricht.“
Weil Lunchtime sei, steuert Dave einen Stall an. Wir verlassen die Autobahn M66, fahren über Schnellstraße und schließlich die Landstraße A5119 namens Northop Road dem „The Stables“ entgegen, das zur Soughton Hall gehört. "Soughton Hall wurde ursprünglich 1714 als Bischofssitz erbaut und diente in der Folge als Heimstatt der Grafen der Linie Wynne-Bankes", berichtet unser Guide. Danach hätten hier unter anderem Ritter und hohe Gerichtsbeamte gelebt bis 1820 der Weltreisende William John Bankes, einer der bedeutendsten Jäger und Sammler seiner Zeit, die Anlage, inspiriert durch seine Reisen im Nahen Osten, mit islamischen Einflüssen umgestaltete habe. Heute würden auf dem Anwesen für gerngesehene und zahlungskräftige Gäste viele verschiedene Möglichkeiten angeboten. Heute amüsiere sich dort draußen und im Erdgeschoß eine Hochzeitsgesellschaften. Oben seien vornehme Zimmer und fulminante Suiten. Das Haus ist heute also ein Hotel und zwar ein wunderschönes.
Von der geschwungenen und hügeligen Landstraße biegen wir durch ein offenes Tor in den Park von Soughton Hall. Im Schritttempo geht es eine Allee entlang, am Haupthaus vorbei nach links zum The Stables. Davor parken wir und gehen zur ehemaligen Stallung, die aus dem 17. Jahrhundert stammt. Der Schankraum und die Bierstube im Erdgeschoß besitzen Ziegelmauern und gescheuerte Holzböden. Dort bekäme der Gäst laut rotem Michelin-Restaurantführer "schmackhafte Standardgerichte aus der offen angelegten Küche." Wir kehren ein und gehen raus, um gemütlich auf der Terasse im Garten unter großen Schirmen zu sitzen. Die Sonne scheint kräftig, das Thermometer würde bestimmt über 25 Grad anzeigen, und die Zeit ist knapp. Perfekt für ein Light Lunch. Doch der Bayer und der Schwabe wählen eine kräftige Mahlzeit mit einer Maß Bier! Ausrufezeichen.
Der Engländer bestellt sich ein Sandwich und ein kleines Bier. Der Preuße ordert Five-O’Clock-Tea for One und rückt gleich aufs Dessert vor. „Nein“, Welsh Cake hätte man nicht, bedauert die Bedienung. Dave rettet die Situation. Wir befänden uns in der Grafschaft Sir y Fflint und die zähle zum Borderland, zum Grenzland. „Na, denn bitte einem Käsekuchen.“ Was will man mehr?
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Mehr über ein Wochenende in Wales lesen Sie am Freitagvormittag. Dann erfahren Sie, was wir heute Nachmittag noch in Llangollen besichtigen werden. Ein paar Stunden später lesen Sie dann, was man auf hohen Bäumen alles machen kann.
Soughton Hall and The Stables Bar Restaurant, Northop, Flintshire CH7 6AB, Telefon 01352 840811, Fax 01352 840382