Buis-Les-Baronnies, Frankreich (Weltexpress). In der Ferne steht er da, der den Provenzalen und Zweiradfahrern aller Provenienz heilige Berg: der Mont Ventoux. Majestätisch mag er manchen seiner Bezwingern wirken, durchaus dominant emporragen, sogar sagen- und wölkchenumwoben den Literaten erscheinen und malerisch den Künstlern und Kulturbewanderten.
Doch den allein stehenden Berg zu Fuß zu besteigen oder mit dem Fahrrad zu erklimmen, das verlangt Kraft und Kondition, Können und Wollen. Längst dürfen auch Frauen und Männer wie wir mit Motorrädern auf den 1912 Meter hohen steinigen Gipfel.
Wer in der Gegend des Faltengebirges ist, aus dem der Riese der Provence ragt, der reist auch drumherum. Wie wir.
Unser Basislager bei Buis-Les-Baronnies
Wir, eine Hand voll Enduro-Fahrer vom Anfänger über den Fortgeschrittenen bis zum mit der Maschine famos Verwachsenen, auf dass die Spinnen Netze weben, bewohnten ein Basislager bei Buis-Les Baronnies, einem kleinen und im Kern lebhaften Städtchen in der Drôme Provençale. Rund um einen grünen und verkehrsreichen Marktplatz, kehren Bewohner und Besucher in für eine eher kleine Kommune erstaunlich zahlreiche Cafés, Bars und Restaurants ein. Das wirkt auf Anhieb sympathisch. Der alte Ort scheint bei Bikern und Bergsteigern, die vor allem vom 763 Meter hohen Rocher St. Julien angezogen werden, beliebt zu sein.
Eine im Grunde einspurige Straße führt zu ihm hinauf. Ein Abzweigung und etwas weiter vom großen Granit liegt an einem magischen Ort das Gite du Saint Julien, das uns ein paar Tage unser Zuhause ist.
Im Gite bespricht unser Guide Jochen Ehlers von Endurofun Tours den nächsten Tag und Törn. Auf Reise-, Soft- und Harcore-Enduros folgen wir dem Mann, der auf unseren täglichen Touren jeden Stein zu kennen und jeden Provenzalen zu begrüßen scheint. Offensichtlich ist Ehlers in der Provence ähnlich zuhause wie daheim in der Provinz: in Dithmarschen.
Vom Gite kann und darf ein Motorradfahrer durch Olivenplantagen und Weinberge auf vielen Wegen und Pfaden durch die Natur- und Kulturlandschaft fahren. Stur gerade aus wie achtern Diek (also hinterm Deich) geht gar nichts. Haarnadelkurven sind keine Seltenheit. Da kommt man schon ein wenig ins Schwitzen, denn wir nehmen den Aufstieg vom Tal bis zur Kapelle Saint Trophime de l’Hermitage aus dem 14. Jahrhundert. Grillen zirpen. Stur und stumm blickt Heiliger als Denkmal mit uns Bikern andächtig über das tief unter uns liegende Tal. Astreine Aussicht!
Hinter dem Rücken des Geistlichen fahren wir eine geteerte, schmale und verschlungene Straße hinauf. An einer Gabelung trennen sich die Wege: Asphaltfahrer rechts rum. Links: Offroad. Über Stock und Stein, Rinnen und Bachläufe fahren wir weiter, um eine fabelhafte Aussicht auf den Rocher zu genießen.
Brantes – Blick auf Hausmannskost und Hausberg
Nach einer rasanten Abfahrt vereinigen wir uns mit den Soft-Endurofahrern, druchstreichen einen typischen Pinienwald, heizen durch Heide und locker-flockigen Sand in allerlei Gelb- und Erdtönen. Auf den härteren Strecken steigt die Geschwindigkeit und ich bin froh, dass ich eine echte Enduro fahre. Mit nur 112 kg und mehr als 300 cm Federwegen kann ich mit meiner KTM voll über Schlaglöcher brausen, wo andere Fahrer bremsen müssen. Und ich kann die Stollenreifen herrlich aus den Kurven driften lassen. Enduro-Herz, was willste mehr?!
Entlang an Olivenhainen und Obstgärten, an Felsen und durch Felsspalten bringen uns die Bikes nicht nur über Berge und durch Bäche, sondern auch über Feld und Flur bis Brantes. Das stille Dorf liegt wie gegossen an einem Berg. Das ist ein Bild wie für eine Ansichtskarte gemalt. Das rustikale Restaurant ist nicht nur für die paar Dutzend Bewohner geöffnet. Nach dem Fuß am Gas ist jetzt die Hand an der Gabel gefragt. Hausmannskost vom Feinsten wird serviert. Zu den Fahrfreunden gesellen sich die des Gaumens und Gourmets. Bon Appétit!
Ein Abstecher zur Kirche, die in langen Sommern eine angenehme Kühle spendet, kurz zu einem brunnen mit frischem Wasser und dann fahren wir nach Stunden starker Eindrücke zurück zum Basislager bei Buis-Les-Baronnies. Ausruhen von des Tages Mühen erinnern wir uns nach Entspannung unter der Dusche oder im Freilicht-Pool an unsere Erlebnisse bei Wein und wunderbaren Spreisen von Elody, der Frau des Hauses.
Nyons – Von Oliven und Ziegen
Am nächsten Tag fahren wir nach Nyons, einer von vielen kleinen Städtchen im Département Drôme in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Typisch sind die malerischen, historischen Ortskerne. Nyons im Tal des Eygues ist der Hauptort des Kantons Nyons et Baronnies, der ebenfalls vom Olivenanbau geprägt ist. Damit die Kultur auf der Tour nicht zu kurz kommt, steigen wir von den Maschinen und besichtigen ein Museum, das früher eine Scourtin-Manufaktur war.
Über die Pont de Nyons, einer Einbogenbrücke über dem Eygues von 1409, spazieren wir raus aus der Altstadt und zu unseren Motorrädern.
Scourtines sind Matten aus zermahlener Fruchtmasse, die einst zum Pressen von Olivenöl benutzt wurden. Heute sind sie tolle Teppiche und Mega-Mitbringsel zahlreicher und zahlungskräftiger Touristen.
Vorbei an einem Château aus dem 8. Jahrhundert fahren wir weiter. Dieser Ritt auf unserer Reise bringt uns zu einer Ziegenfarm. Beim Ziegenbauer Hervé Barnier, der in der Nähe von Moulin de Crupies mit seiner Frau Hélène 170 Ziegen hütet, die in geräumigen Ställen herumlaufen, werden wir über die Herstellung von Ziegenkäse unterrichtet und probieren Picodon. Prächtig.
Montbrun-les-Bains
Ein weiterer Ausflug vom Gite du Saint Julien führt uns durch ein ausgetrocknetes Flussbett und ein Bach, dessen Wasser wir zum Spritzen bringen, nach Montbrun-les-Bains. Die fast 500-Seelen-Gemeinde liegt ruhig in der sengenden Sonne des Südens und wirkt im mediterranen Klima auf 600 Metern Höhe äußerst aufgeräumt. Kein Wunder: Montbrun-les-Bains ist ein plus beaux villages de France, das auch mit alten Ruinen und zahlreichen Quellen überhitze Männer auf Maschinen zu begeistern weiß.
Wir verlassen eines der schönsten Dörfer Frankreichs mit super Sehenswürdigkeiten wie Pfarrkirche und Château Dupuy-Montbrun, lassen das schwefelhaltig-blubbernde Thermalbad hinter uns, blasen queerbeet voll durch und sausen steil bergauf und wieder bergab. Auch Abschnitte, die an einen Trial Parcours erinnern, auf dem wir behäbig und mit Behändigkeit balancieren müssen, sind Teil der tollen Tour.
Rauf auf den Col d’Ey zum Picknick und runter ins Vallée de l’Ennuye zum Lavendel
Der nächste Trip führt uns über Buis erst ins Gelände und dann auf den 718 Meter hohen Col d’Ey, einem typischen Pass der Drôme Provençale, von dem wir bei einem Picknick mit Baguette und Brési, einer geräucherten französischen Wurstspezialistät, reichlich Picodon und einem Schlückchen Pastis, wie jeden Tag eine atemberaubende Aussicht auf den im Süden gelegenen Mont Ventoux, der von wenigen, zärten Schleierwölkchen umwoben wird, genießen. Vom Ouvève-Tal bei Buis-les-Baronnies reisen wir weiter ins Ennuye-Tal. Die Lavendel steht leider nicht in voller Pracht und Blühte, aber wir: auf unseren Enduros. Und über uns kreisen ein paar Adler im Aufwind an den kargen Hängen des breiten und fruchtbaren Tals des Ennuye, der die Baronnies nördlich des Mont Ventaux entwässert.
Saint-Jalle und Saut de la Drôme
Der Herbst 2017, in dem wir durch die Baronnies und rund um den Mont Ventaux fahren, hält für nordeuropäische Verhältnisse viel Sonnenscheint mit Temperaturen täglich über 20 Grad Celsius für uns bereit. Wunderbar ist hier und da auch ein Hauch von Indian Summer. Berauschend ist das Erlebnis beim Durchfahren eines Blätterdaches in Gelb- und Rot-Tönen. Abenteuerstimmung breitet sich zudem beim Durchquerung eines Flüßchens mit Wasserfall aus. Offroad und also abseits von Asphaltstraßen, das hat was! Wasser ist in dieser Region am Ende des Sommers eine Seltenheit, aber nach staubigen Strecken eine willkommene Abwechslung.
Mittags speisen wir in Saint-Jalle, dem „Kornspeicher der Baronnies“. In dieser Gemeinde im Parc naturel régional des Baronnie Provencales“ scheint die Welt noch in Ordnung und nicht nur die Sonne. Oliven, Aprikosen, Kirschen und Äpfeln werden angeplant. Wir besuchen einen von drei Weinbauern in Saint-Jalle. Nach Speis und Wasser heben wir die Gläser zum Hoch auf den Vionier des „Domaine du Rieu Frais“.
Weiter geht die Fahrt vorbei an einer bedeutenden romanischen Prioratskirche aus dem 12. Jahrhundert, die auf den Resten eines römischen Tempels errichtet wurde, und der Chapelle Sainte-Anastase zur Quelle der Drôme bei La Bâtie-des-Fonds auf den 1.261 Meter hohen Col de Carabès. Von oben fließt Wasser, das zu einem Fluss anwächst und einige Kilometer später beim „Saute de Drôme“ stürmischer herabstürzt, in einen von schroffen Berghängen umgebenen See. Fantastisch ist diese Stelle der Stille, die Biker zum Baden einlädt wie zuvor der Winzer zum Wein.
Die an der Drôme und Clairette de Die im Glas
Die liegt an der Drôme, einem der letzten Wildflüsse der Alpen, der wegen seines klaren Wassers besonders beliebt ist bei Alt und Jung, Off- und Onroadern. Der viereinhalbtausend Einwohner zählende Ort im Naturpark Vercors bietet eine gemütliche provenzialische Atmosphäre. Kleine Straßen und schmale Gassen mit klassischen Läden. Zudem ziehen die römische Stadtmauer, die Kathedrale Notre-Dame und ein paar malerische Plätze Touristen in Scharen an. Sie kommen vielleicht auf wegen der Schafe. Berühmt ist die Wanderweidewirtschaft der Wollknäule. Zur Transhumance werden Tausende Schafe auf die Almen rund um Die getrieben.
Offroader wie wir treibt es rund um Die in die Landschaft, die auch als Hugenottenhochburg Berühmtheit erlangte. Fabelhafte Touren sind in alle vier Himmelsrichtungen möglich. Wer es sportlich mag, der kann auch eine Rafting-Tour auf der Drôme wagen. Mit Canoé Drôme, bei Saillans, kann man Kanu- oder Rafting-Touren unternehmen.
Wir greifen gleich zu einer starkten Spezialität der Drôme: zum Clairette de Die. Clairette de Die ist eine Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) für Schaumweine der Weinbauregion Rhône. Unser AOC-Weißwein aus Muskat- und Clairette-Trauben schäumt schwach, perlt aber prächtig. Er ist im Grunde kein klassicher Schaumwein, sondern ein weißer Stillwein. Deswegen tragen die Sekte den Titel Crémant de Die. Die Gärung des Clairette de Die erfolgt bei niedriger Temperatur. Dadurch wird verhindert, dass der gesamte Zucker in Alkohol verwandelt wird. Deshalb kommt der Clairette auf einen Alkoholanteil von nur 8 Prozent und eignet sich für Fahrer. Immerhin ein kühles Glas im spätsommerlichen Herbst genehmigen wir uns im Weinkeller von Jean Claude Raspail. Sein Sohn zeigt uns, wie der Wein in der Flasche nachgärt und wie die Flaschen täglich von Hand gewendet werden, damit die Hefe in den Flaschenhals absinkt. Der Hals wird dann tiefgefroren, damit die Hefe entfernen werden kann.
Gut gelaunt fahren wir onroad zurück zum Gite du St. Julien, wo der Braten für uns schon im Ofen schmort.
Der Höhpunkt der Tour: der Mont Ventoux
Keine Reise in die Region rund um den Mont Ventoux ohne einmal den Gipfel erreicht zu haben. Wir wählen von Buis-les-Baronnies eine einfache Offroad-Strecke und Nebenstraßen. Dabei durchfahren wir Ortschaften wie Pierelonge und Mollans Sur Ouvèze. Die Shilouette des Dorfes wird von einer Burg beherrscht, um die sich allerlei alte Häuser gruppieren. Von dort blickt man runter zum Fluss Ouvèze, der wenig Wasser führt, bis auf den heiligen Berg. Nach Rast und Ruh` düsen wir weiter durchs Gelände bis Malaucène im Département Vaucluse, wo wir uns unter dem Uhrenturm, dem Wahrzeichen des typisch provenzalische Städtchen, eine Pause gönnen wie einst der Geschichten- und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca oder Papst Clemens V., wenn ihm Avignon zu heiß wurde. Ob die auch leckeren Kaffee und Kuchen bekamen?
Nach der sättigenden Erholung geht es nur noch bergauf. Zwei gut ausgebaute Rampen führen auf den 1912 Gipfel. Allmählich wird die Vegetation weniger, bis wir die letzten Höhen- und Kilometer durch eine Steinwüste fahren. Auch als Motorradfahrer halten wir an einem an Tom Simpson erinnernden Denkmal an. Der englische Radrennfahrer bei der Tour de France voll bis oben hin mit Aufputschmittel und Alkohol. Er kollabierte kurz vor Erreichen des Gipfels, fiel vom Rad und starb am Rand der Straße. Weil die Macher der Frankreich-Rundfahrt nicht an das 50 Jahre zurückliegende Desaster mit Doping erinnern wollte, wurde der Mont Ventoux in diesem Jahr von der Tour, die länger als 50 Jahre eine des Lügens und Betrügen ist, gestrichen.
Ein paar Meter weiter ist der Gipfel erreicht. Wir sind nicht die einzigen, die das mit Schokolade auf einer Rast bei wenig Ruhe vor lauter Leuten feiern. Unsere Blicke reichen weit in die Alpen. An klaren Tagen könne man bis zu den Pyrenäen gucken, erklärt uns ein Radfahrer. Der Tag ist klar, aber nicht der Blick dieses Bikers. Wir fühlen uns auch ohne Drogen top und erinnern uns mit Jochen Ehlers beim Betrachten der Landschaft rund um den Riesen der Provence an eine Hand voll tolle Tage, die kein Wässerchen trüben können.
Reiseinformationen:
Anreise: Die Drôme erreicht man von Deutschland am besten, indem man das Navigationsgerät einschalten und über die Autobahnen brettert. Vorsicht vor der Maut, die in Frankreich der klammen Kassen hoch ist.
Höchstgeschwindigkeit in Frankreich: 50 in Dörfern und Städten, 90 auf Landstraßen, 110 auf Schnellstraßen und 130 auf Autobahnen (80, 100 und 110 bei Regen). Beachten: Das Bußgeld ist hoch!
Spirt: Benzin kostet in Frankreich noch unter 1,50 Euro. 95 ist immer schwieriger zu bekommen, es wurde durch E10 ersetzt. Nicht alle Motorräder vertragen es. Die Alternative ist „Sans Plomb 98“ (bleifrei), das ist aber teurer.
Bitte beachten: In Frankreich braucht man auch für eine Kreditkarte einen Pin-Code (eine Geheimzahl). Mit normaler EC-Bankkarte kann jedoch fast überall bezahlen bezahlt werden.
Besonderheiten für Biker: In Frankreich sind Motorradfahrer verpflichtet, zwei Alkohol-Tester mitzunehmen. Man bekommt aber kein Bußgeld, wenn man keinen hat. Außerdem muss man in Frankreich immer mit Abblendlicht fahren. Ab 2013 muss eine Motorradjacke 150 cm2 reflektierendes Material haben. Leider sind Blitzer-Meldungen im Navi in Frankreich verboten.
Beste Reisezeit: In der Drôme Provençale herrscht ein überwiegend mediterranes Klima mit heißen und trockenen Sommern und in den Bergen (Vercors) schneereichen Wintern. Der Frühling und der Herbst sind aus meiner Sicht die beste Reisezeit für Motorradfahrten.
Anmerkungen:
Die Recherche wurde von Endurofun Tours und von der Agentur für die touristische Entwicklung der Drôme untersützt. Der Beitrag von Peter Aansorgh im WELTEXPRESS ist eine Erstveröffentlichung.