Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Bernd Paschel sprach mit Karola Bady über die Diskussion um eine mögliche Schließung des Landgestüts Dillenburg in Hessen durch die Umweltministerin Priska Hinz, die vermutlich längst fällige Dispute um Hengsthaltungen in anderen Bundesländern entfacht. Dabei spielt vordergründig der Tierschutz eine entscheidende Rolle, aber auch die großzügige finanzielle Subventionierung von Landgestüten dürfte ein Argument sein, in Zeiten, da kommunale Kassen so leer sind wie die Landessäckel. Karola Bady, Redakteurin und ATN-Pferdepsychologin mit Schweizer Diplom, hat über Jahre einige Landgestüte im Auge behalten.
Paschel: Liebe Karola, Sie waren nicht immer schon Pferdepsychologin, sondern zum Beispiel als Redakteurin bei „Sport-Bild“. Was motivierte Sie auch jetzt noch, Landgestüte kritisch unter die Lupe zu nehmen?
Bady: Auf der Suche nach einem Weidehengst für ein wissenschaftliches Experiment habe ich mir vor allem die Landgestüte im Norden über einige Jahre genau angesehen und habe zuerst den Fokus auf meinen Lieblingshengst Lemon Park aus dem Celler Landgestüt gerichtet, da er wegen seines Charakters, seiner Blutlinien mit Doppelveranlagung und seiner Nachzucht besonders geeignet erschien. Das ist wahrlich nicht bei allen Celler Hengsten zu finden. In den Jahren 2009 und 2010 entdeckte ich bei einem Großteil Auffälligkeiten im Verhalten. Darunter bekannte und gut gebuchte Vatertiere. Ich versuchte, im Führungsstab auf die Haltung als Ursache hinzuweisen, da war der Verkauf eines Celler Hengstes an mich auf einmal nicht mehr erwünscht. Ich wurde sogar angelogen, dass Lemon Park verstorben sei, seine Box war tatsächlich leer. Auf Umwegen er fuhr ich, dass der Hengst zum Besamungslehrgang an der Tierärztlichen Hochschule Hannover war, obwohl er den Sprung auf das Phantom nicht mochte, wie seine Betreuerin mir verriet. Zuletzt hatte er nur vier Stuten im Natursprung gedeckt. Der Landstallmeister war verschnupft und wollte auch nichts davon wissen, dass Lemon Park gesundheitsschädigend beschlagen war.
Paschel: Konnten sie das so einfach hinnehmen?
Bady: Nein, ich habe nachgehakt. Anfragen im Ministerium in Hannover, warum rund 25 Hengste in Celle nicht im Deckgeschäft sind und nur für die Hengstparaden als Statisten dienen oder als Schulpferde für die Auszubildenden, wurden zwar grob bestätigt. Aber die Antwort klang verschnupft und sogar bedrohlich: „Nur Menschen, die das Landgestüt Celle nach außen hin positiv darstellen, werden als Geschäftspartner akzeptiert“. Der Natursprung, der von Dr. Brockmann als Leiter des Gestüts gern als „von vorgestern“ gesehen wird, hat derweil wieder Einzug gehalten: selbst in Celle war in diesem Geschäftsjahr wieder ein halbes Dutzend Hengste im Natursprung im Einsatz. Warum auch immer.
Paschel: Stehen dahinter eventuell finanzielle Interessen?
Bady: Wahrscheinlich, Celle wird großzügig vom Land Niedersachsen subventioniert. Damals war von 250.000 Euro jährlich die Rede, wobei das Ministerium sich auf Anfrage bedeckt hielt. Das Geld fließt nämlich augenscheinlich nicht in die Verbesserung der Haltungsbedingungen für Hengste und Gaststuten, sondern in die Erhaltung der Gebäude. Das impliziert geradezu, dass es nicht die Pferde sind, wenn von der Erhaltung eines Kulturgutes die Rede ist. Auch die hübsch rot-goldenen Reitkostüme sind offenbar wichtiger als das Wohl der Pferde, die in ihren Boxen vor sich hin brüten. Inzwischen gibt es ein paar Paddocks, die aber im Bereich der medizinischen Abteilung eingerichtet wurden. Weidegang wird nicht angeboten, wie auch? Das einzig Grüne ist der Paradeplatz. Für die aktuell 88 Hengste, die gar nicht mehr alle Stalltrakte füllen, bedeutet das nach wie vor: Boxenhaft und mit Glück eine Stunde unter dem Sattel oder im Gespann. Sonst vielleicht ein wenig in die Führmaschine. Das ist mittelalterlich. Ein Vergleich der Leistung der Vererber mit Hilfe von Punktsystemen ist für die Kundschaft ebenfalls unmöglich: einmal gibt es einen 70 Tage Test, dann einen 30 Tage Test, andere haben noch gar keine Prüfung abgelegt oder nur eine Wertnote vom Bundeschampionat. Da sich das Erbgut nicht mehr alleine auf Blutlinien aus Hannover beschränkt, Holsteiner, Oldenburger und sogar Samen aus Holland und Belgien angeboten wird, gibt es auch Hengste, die über den Sport gekört wurden, also keine Prüfung ablegen mussten. Sogar ein Vollblüter aus den USA wird angeboten.
Paschel: Die Konkurrenz ist anscheinend groß.
Bady: Ja, in den letzten Jahren hat Celle nämlich investieren müssen, viele der Publikumslieblinge sind aus dem Landgestüt ausgeschieden, einige ins Gnadenbrot bei Privatleuten, andere „in den Himmel“. Wer nun für seine Stuten einen Hengst sucht, muss sich zum Teil auf die Beratung von Celle verlassen, während die Privathengsthalter mit sportlichen Erfolgen werben können, messbar und durchschaubar. Einst waren die Landgestüte schließlich als kostengünstiger Lieferant für Pferde für das Militär gegründet worden, lange noch zu moderaten Preisen. Heute können die Landgestüte der privaten Konkurrenz nur noch hinterher hinken. Gute Sporthengste sind im Landgestüt weiter selten, die Trainingsmethoden allerdings sollen sich in ihrer Härte angepasst haben, berichten Augenzeugen.
Paschel: Celle war nur eines der Landgestüte, die Sie besucht haben?
Bady: Celle ist leider kein Einzelfall. Fast überall ein Bild: Die Hengst- und Stutenställe sind penibel getrennt, echten Kontakt mit einem Hengst hat keine Stute. Rosse und Fruchtbarkeit sollten bei Weidegang und Sonnenlicht entwickelt werden, in der Natur gibt die Anwesenheit männlicher Pferde dem noch einen Schubs. In den Landgestüten wird besamt. Es ist ja nicht so, dass es keine Grünflächen gibt, allerdings werden die gemäht, nicht beweidet. Falls es vereinzelt Paddocks gibt, ist das zwar besser als bloße Boxenhaltung, aber kein echter Auslauf. Immer gut gepflegt und grün ist nur der jeweilige „Paradeplatz“. Als Alibi für die Tierschützer nicht ausreichend. Peta meldet Protest an.
Paschel: Redefin kennen Sie sicher auch oder?
Bady: Natürlich, Redefin hat heute fast 50 Hengste, darunter – erfreulich – auch welche mit viel Farbe. Da hat die Gestütsleitung erkannt, was im Freizeitbereich und sogar im Sport gewünscht wird. Der „gemeine“ Reiter“ wird inzwischen als Kunde umworben, der Sportreiter bedient sich eher bei Privatgestüten. Im Bereich der Einfahrt zum geschichtsträchtigen Gestüt Redefin liegen rechts und links Weiden, allerdings nicht wirklich mit Zäunen für Hengsthaltung ausgestattet. So grasen hier eher Jung- und Gastpferde. Wie Gäste und Praktikanten berichten, die keine rosarote Brille aufsetzen, ist der Umgang mit den Pferden nicht unbedingt fachgerecht. Macht sich das Fohlen einer Gaststute davon, wird zur Hatz auf das junge Pferdekind geblasen. Für Mutterstute und Fohlen ein psychischer Schock. Eine Praktikantin erlebte in ihrem Praktikumsjahr zwei Bereiterinnen, die nach Feierabend noch auf das Dressurviereck gingen und dort nicht gerade sanfte Lektionen ritten. Statt Vorbild für die junge Generation der Azubi zu sein, demonstrierten beide, wie es nicht sein soll. Ein dezenter Hinweis an die Gestütsleitung beendete diese Einlage. Wenigstens eine der Reiterinnen fand auf einem bekannten Dressurhof im Teutoburger Wald einen neuen Arbeitsplatz.
Paschel: Die Gestütsleitung hat immerhin reagiert!
Bady: Ja, und Gestütsleiterin Antje Kerber war anfangs ganz angetan von der Idee, einen Weidehengst zur Verfügung zu stellen. Der Kandidat stand allerdings auf einer Außenstelle und hatte sich an einem Bein schwer verletzt. Zwei Jahre lang wurde keine echte Besserung erzielt, obwohl ein Tierarzt auf der Station behandelte. Keine gute Voraussetzung für Weidegang mit Stuten und Natursprung. Die Begründung der Absage war allerdings, dass sich die Tierarzthelferin so in das Pferd verliebt habe und es nicht mehr hergeben wolle. Vom Minister Backhaus in Mecklenburg mit finanzierter Großzügigkeit, denn auch Redefins Gebäudesanierung wird vom Steuergeld subventioniert.
Paschel: Interessant, was sie alles evaluiert haben. Bitte noch ein „Schmankerl“ !
Bady: Gern, von der Straße aus ist nicht zu erahnen, was sich hinter dicken Mauern auftut – das Landgestüt Neustadt/Dosse. Vorn gleich der Stalltrakt, der dem Projekt Reiten in der Schule gewidmet ist. Ein Versuch, das Reiten auch denen nahe zu bringen, die mit keinem dicken Geldbeutel ausgerüstet sind. Sicher aber auch ein Imageprojekt. Eine gute PR Aktion. Hier sieht der Besucher auch gleich, dass es eine Reinzucht kaum noch gibt. Unter den Hengsten tummeln sich statt landestypischen Brandenburgern neben vereinzelten Mecklenburgern in erster Linie Pferde mit Ahnen aus den Zuchtgebieten Holstein, Oldenburg und Hannover, sogar mit Blut aus Zangersheide (Belgien), das auf Holsteinern und Hannoveranern basiert. Grünflächen sind hinter den Trainingsplätzen zu sehen, aber wenn überhaupt Pferde darauf stehen, dann grasen sie nicht zufrieden, sondern versuchen sich verzweifelt in kleinen Gruppen die Fliegen aus dem Fell zu wedeln. Eine Weide ohne Schatten ist für Pferde so sinnlos wie ein kleiner Paddock mit Sand, der weder zum Laufen einlädt, noch zum Spielen mit Artgenossen, Einzelhaft. Bereiter und Gestütsleitung versuchen derweil, sich mit dem Vorführen von Verkaufspferden ausländische Kundschaft an Land zu ziehen. Die Kassen sind schließlich überall leer, vor allem in den Gestüten. Seltsam wirkt dagegen das Werbeblatt des Gestüts, das auf das Lehndorff-Institut hinweist. Eine Kooperation mit der Universität Wien zur Erforschung der Haltung von Pferden, aber auch von Embryotransfer. Der Werbung nach hat Neustadt/Dosse ausreichend Weideflächen. Rund 35 Elite- und Staatsprämienstuten bilden die züchterische Grundlage des Gestüts und garantieren für die jährlich 25-30 neu geborenen Fohlen ein optimales Erbgut. Auf dem weitläufigen Gestütsareal von 420 Hektar, das rund 110 Hektar fest eingezäuntes Weideland sowie großzügig angelegte Laufställe beinhaltet, verbringen die Fohlen ihre ersten Lebensmonate wohlbehütet an der Seite der Mutter und können anschließend ihre Jugend mit altersgleichen Artgenossen in kleinen Herden genießen. Stut- und Hengstfohlen wachsen dabei getrennt voneinander auf.
Paschel: Das ist doch einigermaßen erfreulich!
Bady: Ja, auf dem Hochglanzprospekt und im Internet, aber es sind noch Fragen offen: Wie klein sind die Herden denn? Wer kommt in die Laufställe und wer auf die Weide? Werden Hengst- und Stutfohlen also zu wissenschaftlichen Zwecken getrennt aufgezogen? Es wird Zeit, diese Mythen in Frage zu stellen. Wenn die Mindestanforderungen für zwei Pferde einen Hektar verlangen, könnte das in Neustadt/Dosse genügen. Warum sind dann aber kaum Weiden belegt? Liegt es am Personal? Müssten die Gestüte für jedes Pferd eine ausreichende Anzahl an Pflegern bezahlen, wäre das vermutlich nicht zu finanzieren. Da liegt wieder der Knackpunkt.
Angenommen, es gibt im Sommer Möglichkeiten, eine Stutenherde von 35-70 Pferden auf Weide zu stellen. Wie sieht das im Frühling, Herbst und Winter aus? Boxenhaltung.
Paschel: Sie waren sicher auch in Warendorf, das ich noch von 1971 her kenne. Ist es dort immer noch so eng?
Bady: Das Landgestüt in Warendorf gibt acht Hektar Flächen an, das reicht gerade zum Mähen von Grünfutter, aber nicht für eine Weidehaltung. Tierschutzrelevant also, wie fast alle. Die Misere ist: würden die Gestüte tatsächlich geschlossen, was würde aus den Hengsten? Gerade macht Warendorf doch eher Schlagzeilen wegen Korruption der Gestütsleitung und tödlichen Unfällen bei der Hengstparade. Dillenburg hat selbst keine erhaltenswerte Zucht einer eigenen Rasse in Hessen. Der Großteil der Vererber dort trägt Brandzeichen aus Hannover und Oldenburg. Wohin mit ihnen, in anderen Landgestüten sieht es doch genauso aus?
Paschel: Haben Sie noch mehr im Köcher?
Bady: Ja, aus meiner Erfahrung dürfen Interviews nicht zu lang sein, damit die Leser nicht abspringen, um es im Reiterjargon zu sagen, deshalb abschliessend: Ich war auch in Moritzburg und Graditz, habe beide Gestüte aber nicht in meine Studien aufgenommen, weil es Winter war und deshalb schlecht zu sehen, ob Pferde auf Weide gehen. In Graditz ist es eine Mischform, Land- und Privatgestüt. Im Privatgestüt waren wenigstens zwei Vollblutstuten mit ihren Fohlen im Paddock im März 2013. Vor dem Landgestüt tobte ein Rappschimmel im Auslauf hin und her. Kein Wunder, wenn ein Pferd alleine draußen ist. Alleinsein macht natürlich Todesangst.
Paschel: Eine letzte Frage: Sind die Landgestüte ein Auslaufmodell?
Bady: Ganz bestimmt. Einige Landgestüte sind bemüht, ihr Salär aufzubessern mit Veranstaltungen ohne Pferde. Das Musikfestival ist so ein Beispiel. Geldsegen durch die Besucher der Hengstparaden kommt jedenfalls nicht ausreichend in die Kasse. Da reicht es häufig schon nicht einmal mehr für eine verbilligte Decktaxe. Pferde verkaufen sich nicht mehr gut. „Mit Pferden kannst Du ein kleines Vermögen machen“, zitierte gern Spiegelchef a.D. Stefan Aust, der in Niedersachsen Pferde züchtet, „wenn Du vorher ein großes hattest“.
Paschel: Vielen Dank für die deutlichen Worte und die Informationen über die – für mich als Reiter beschämenden – Zustände auf den Landgestüten. Vielleicht hat Frau Hinz da ohne Absicht eine Lawine angestossen.
Bady: Über die Motive von Priska Hinz könnte ich nur spekulieren. Vielleicht hat die Politik einen zahlungskräftigen Käufer, wie schon bei der Frankfurter Rennbahn den Deutschen Fußball-Bund? Aber wie traurig ist es, dass erst Peta kommen muss, um die Zustände anzuprangern? Aber wenn Sie mich schon fragen: was wirklich an Tierquälerei in den Landgestüten passiert, können Sie sich nicht im Ansatz vorstellen, da ist das noch harmlos, was wir kritisieren.