Das Blinddate oder „Der Mann, den ich mir vorstelle“

Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Weltexpress). „Weißt du, der Mann, den ich mir vorstelle ist mindestens 1,82 groß und kräftig gebaut. Und trotzdem sensibel. Also…, ich meine, nicht so ein Weichei! Einen Körnerheini mit Strickpulli und Jesuslatschen könntest Du mir zu Weihnachten nackt unter den Christbaum legen, ich würde ihn im besten Falle wieder einpacken, weißte…! Für mich kommt nur einer in Frage, der zu seinen Gefühlen steht, ohne permanent zu nerven. Ich kann’s nicht ausstehen, wenn Männer rumjammern. Ach ja, und die Brustbehaarung muss weg. Überhaupt…, Haare am Köper finde ich eklig.“

Jeanette sitzt im knappem Röckchen mit überschlagenen Beinen am Kaffeehaustisch und schlürft mit spitzem Mäulchen am Schaumrand ihres Cappuccinos. Mein Blick kriecht an ihren ellenlangen Beinen entlang und beißt sich am Rocksaum fest. Sie wirft affektiert ihre Mähne nach hinten und klimpert mich mit einem unnachahmlichen Augenaufschlag an. Mein Espresso hat die Konsistenz flüssiger Schokolade und ich frage die vorbeihuschende Bedienung, ob man auch einen Defibrilator im Haus habe.
„Si Signore, abbe wir natürlisch Defibrilatore! Wolle un neue Cafè italiano mitte aufegeschaumte latte oder Sahnä?“

„Portami un cafèlungo e un bicchiere d’acqua, prego.“

Jeanette hält überrascht für einen Augenblick inne. „Du kannst italienisch?“, fragt sie mich.

Ich nicke. „Ich gehe oft beim Italiener essen.“ Offenbar hatte ich bei ihr gepunktet.

„Geil, wollte ich auch immer mal lernen. Ich finde, italienisch hat so etwas wahnsinnig Erotisches.“ Wieder macht sie eine Pause und ihr abschätzender Blick tastet mich in Sekundenschnelle ab. „Jedenfalls bei manchen Männern“, fügt sie herablassend hinzu.

„Hm…“, brummle ich und betrachte sie skeptisch. „Wir waren bei den Männern mit Brustbehaarung stehen geblieben“, erinnere ich sie.

„Igitt! Haare gehören auf den Kopf!“, wiederholt sie bestimmt. „Schon wegen der Hygiene! Abgesehen davon muss ein richtiger Kerl auch einen muskulösen, durchtrainierten Körper haben, vielleicht noch ein geiles Tattoo…, du weißt, was ich meine.“
Ich nicke kaum merklich und bestätige halblaut, „… rasiert, muskulös, Arschgeweih.“

„Und natürlich ein begnadeter Liebhaber“, fährt sie mit frivolem Unterton fort und ihre Augen blitzen. „Im Kopf muss er natürlich auch was haben, ich meine, so richtig intelligent muss er sein.“

„Selbstredend!“, füge ich emotionslos an und frage mich, weswegen. Ich rekapituliere innerlich: Sie sucht den akademisch rasierten Wrestler mit dem Hirn von Reich-Ranicki und großem Gemächt. „Ich fasse zusammen“, murmle ich kleinlaut. „Klug, sexy und allzeit bereit.“

Jeanette kicherte.

„Du hast etwas vergessen“, murmle ich und ziehe ein bedenkliches Gesicht. „Etwas Niveau soll er natürlich auch haben. Er muss Dich ja nicht gleich übertreffen.“

„Wie meinst du denn das?“, erwiderte sie mit genervtem Unterton.

„Ich meinte, er darf bei deiner Verwandtschaft nicht unangenehm auffallen.“

„Hä…?“ Jetzt starrt mich Jeanette feindselig an.

„Die Frage ist nur, ob dein Märchenprinz irgendwann auch arbeitet und ein angemessenes Gehalt bezieht, wenn er dich andauernd beglücken muss.“

„Du hast komische Ideen…! Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“

„Nichts…“, entgegne ich trocken und zucke entnervt mit den Schultern. Angesichts der Partnervorstellung meiner Gesprächspartnerin wird mir allmählich mulmig, zumal ich dem Kerl ihrer Träume nicht im Entferntesten entspreche.

Unglücklicherweise schmückt mich weder ein Nabel-Piercing, noch hatte ich mir je ein Tattoo auf den Steiß brennen lassen, selbst auf den Zopf am Hinterkopf hatte ich bislang verzichtet. Möglicherweise war das ein kaum wieder gut zu machender Nachteil. Es scheint mir taktisch klüger zu sein, sie von diesen Mängeln abzulenken. Ich kann zwar Hemden bügeln, aber das würde sie vermutlich nicht vom Hocker reißen. In Anbetracht meiner untrainierten Wadenmuskeln, meines bejammernswerten Trizeps, sowie meines zugegebenermaßen vernachlässigten Latissimus sollte ich schnellstens ein paar Vorteile finden, um im Rennen zu bleiben.

„Ich finde“, plapperte sie unvermittelt weiter, „er sollte auch kulturell etwas bieten können! Schließlich muss man sich mit ihm auch ab und zu auf Vernissagen sehen lassen. Wenn er dann noch kochen kann, wär’s perfekt!“ Jeanette strahlt mich mit einem unnachahmlichen Lächeln an. „Ach ja und geradezu himmlisch wäre es, wenn er Klavier spielen würde.“

Ihr Lippenstift hinterlässt rote Schlieren an der Tasse, während ich nach dem ersten Schluck Espresso ein leichtes Kammerflimmern bekomme.

Gebannt höre ich ihr weiter zu und schiebe mir den beigefügten Keks in den Mund. Ein ziehender Schmerz schießt mir in den Kopf. Links hinten, Nummer vier, der Reiznerv. Freiliegender Zahnhals, vermute ich. Ich sollte lieber zum Zahnarzt gehen, als mich dieser Jeanette weiter auszusetzen.

„Mein Traumtyp muss absolut sportlich sein“, schnatterte sie ohne Punkt und Komma, „aber nicht andauernd in Studios herumhängen. Und mit meinen Launen muss er umgehen können«, fügte sie mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu. „Ich kann ziemlich empfindlich und nachtragend sein. Ich bin eben wie ich bin.“

Ich atme tief durch. „Nun ja, wenn du nicht du wärst, wärst du ja ne ganz andere, oder?“

Janette stutzt, mustert mich kritisch und denkt kurz nach, dann plappert sie weiter. „Ideal wäre es, wenn er auf mich eingeht, natürlich auch auf meine Bedürfnisse.“

„Welche denn?“, erkundige ich vorsichtig.

„Er muss Zeit haben und mir das Gefühl geben, dass ich die wichtigste Person in seinem Leben bin.“

„Vermutlich hat Gott Frauen nur deshalb erschaffen, weil er Männer hasst“, flüsterte ich kaum hörbar.

„Was hast du eben gesagt?“ Jeanettes Blick trifft mich wie ein Blitzstrahl.

„Nichts Wichtiges…!«, erwidere ich und winke ab. Dummheit ist eine natürliche Begabung, denke ich und Jeannette schien mir in dieser Hinsicht besonders talentiert zu sein.

„Und wenn er mich dann wirklich liebt…“ Sie lässt den Satz offen und ich bekomme Schluckauf. Gleich darauf einen Hustenanfall. Mir wird schwarz vor Augen. Mein letzter Gedanke war noch: Der Herr möge mich vor Gefühlen wie Liebe, Lust und Frauen wie Jeanette bewahren.

Als der herbeigerufene Rettungssanitäter mich nach einer Reanimation wieder zurück ins Leben geholt hatte, meint Jeanette mit zickigem Unterton: „Also ehrlich! Das Wichtigste für mich ist, dass ein Mann auch zuhören kann.“

Ich sinke kraftlos auf meinem Stuhl zusammen und strecke die Beine weit von mir. Die Bedienung beugt sich besorgt über mich. »Signore, ware net zufriede mittä Espresso? Solle isch bringä andere?“

„Dio mio -, nein!“, knurre ich bissig. „Nicht noch einen… Ich will nach Hause zu meinem Hund. Der hält wenigstens die Schnauze….!“

Anmerkung:

Der Beitrag von Claudio Michele Mancini wurde am 29. Juli 2017 in „Facebook“ erstveröffentlicht.

Vorheriger ArtikelDer Marsch der Torheit – Tote und Terror auf dem Tempelberg
Nächster ArtikelFotoreportage: AsvaNara – Pferde in ihrer Natürlichkeit