Berlin, Deutschland; Sotschi, Russland (Weltexpress). Mit Hilfe des Videobeweises haben Schiedsrichter beim Confed-Cup in Russland letztlich eklatante Fehlentscheidungen vermeiden können. So hatte der Unparteiische aus Kolumbien beim Probelauf für die WM-Endrunde im nächsten Jahr in der Partie Deutschland gegen Kamerun zunächst einem Falschen die Rote Karte gezeigt. Wegen eines Fouls am Deutschen Emre Can. Nach Protesten und Zurateziehen der Videoaufzeichnung konnte er den wahren Übeltäter in den Reihen des Afrikameisters identifizieren. Am Ende gewann Weltmeister Deutschland mit einer verstärkten B-Garnitur noch 3:1 und erreichte das Halbfinale gegen Mexiko.
Der bemerkenswert objektive Bundestrainer Jogi Löw, der mit dem 100. Sieg in seinem 150. Spiel als Auswahlchef eine globale Bestmarke setzte, war sich mit Kameruns Trainer einig, dass es die Gelbe Karte in diesem Falle auch getan hätte.
In einem anderen Turnierspiel half der Videobeweis dem Unparteiischen ähnlich aus der Patsche. Bei Mexiko gegen Neuseeland bildete sich nach einem Foul und Revanchefoul in Sekundenschnelle ein Rudel mit nahezu allen Feldspielern. Geschupse, Rempeleien, Handgreiflichkeiten. Erst nach längerem Studium des Videos rettete sich der Referee aus Gambia aus der Klemme. Und bestrafte die Hauptübeltäter mit drei Mal Gelb. Es hätte auch zwei Mal Rot und ein Mal Gelb sein können…
Diese Beispiele u.a. haben bei Oliver Bierhoff, Teammanger der deutschen Elf, die Überzeugung gefestigt, der Einsatz des technischen Hilfsmittels sei grundsätzlich zu begrüßen: „Bei wichtigen Entscheidungen wie Toren, Elfmetern oder Roten Karten ist es eine Beruhigung, so etwas zu haben.“ Zur Ergänzung könnte die jeweilige Entscheidung des Unparteiischen dem Publikum noch erläutert werden. Was es im American Football oder im Volleyball schon gibt.
Der Videobeweis könnte nach dem Testlauf beim Confed Cup Eingang ins Regelwerk des Weltfußball-Verbandes FIFA finden. Dazu ist ein Beschluss des achtköpfigen Gremiums im Ifab mit Zweidrittelmehrheit erforderlich. Das Ifab trifft sich allerdings nur einmal jährlich. Da jedoch nicht nur Bierhoff, Löw und DFB-Präsident Reinhard Grindel, weitere Honoratioren sowie nicht zuletzt FIFA-Präsident Gianni Infantino von der Nützlichkeit dieser Technik überzeugt sind, dürfte dem Einsatz des Videobeweises bei internationalen Großereignissen nichts mehr im Wege stehen.
Da möchte auch die Bundesliga nicht außen vor sein. Im Gegenteil: Schon ab der kommenden Saison kommen Video-Schiedsrichter zum Zuge. Konkret in vier Konstellationen und nur, falls der 23. Akteur eine klare Fehlentscheidung getroffen hat. Dann also bei der Frage Tor oder nicht? War es im Strafraum ein Foul oder nicht? War es eine Rote Karte? Hat der Schiri einen Spieler verwechselt?
Andere Vorschläge zu Neuerungen, ausgehend von der Ifab oder Dem niederländischen, ehemaligen Weltklassestürmer Marco van Basten, bei der FIFA für technische Entwicklungen zuständig, dürften ebenfalls in absehbarer Zeit bestätigt werden:
So eine andere Abfolge beim Elfmeterschießen. Nicht im Wechsel jeweils, sondern im sogenannten ABBA-Modus wie beim Tiebreak im Tennis. Also zuerst ein Schütze, dann zwei Mal der Gegner sowie dann zwei Mal die andere Mannschaft. Damit soll der Vorteil der jeweils beginnenden Elf ausgeglichen werden.
Bald dürfte auch ein durch Handspiel verhindertes Tor dennoch als Tor anerkannt werden. Und der Übeltäter lediglich mit der Gelben Karte verwarnt werden. Erzielt ein Spieler dagegen mit Handspiel ein Tor, soll das als krasser Verstoß gegen das Fair Play mit einer Roten Karte geahndet werden.
Das alles wären Modifikationen ohne das Spielgeschehen gravierend zu verändern.
Anders verhält es sich vor allem mit Ideen von van Basten, die das rund 100-jährige Regelwerk im Kern antasten.
So stellte der ehemalige Weltklassestürmer zur Diskussion, beim Elfmeter den Schützen wie beim Eishockey-Penalty aus 25 m auf das Tor und den Torwart zulaufen zu lassen.
Oder gegen das Zeitspiel statt 90 Minuten und einer dem Schiedsrichter überlassenen Nachspielzeit die Netto-Spielzeit von 60 Minuten zu praktizieren.
Die oft strittigen Nachspielzeiten mit unerklärbaren Verlängerungen sind immer häufiger zu einem Ärgernis und Streit geworden. Zumal gerade in dieser Phase immer häufiger über Sieg oder Niederlage entschieden wird. Wenn angezeigte drei Minuten Nachspielzeit angezeigt werden und der Ball nach sieben Minuten noch immer rollt, Betreuer am Rand hektisch werden, dann machen schnell Verschwörungstheorien jedweder Art die Runde.
Dass die Handspielregel so schwammig formuliert ist und immer wieder zu völlig konträren Bewertungen führt, wird von nahezu allen Experten und Zuschauern beklagt. Absicht oder nur aus nächster Nähe angeschossen? War die Bewegung natürlich oder zum Zwecke der Abwehr? Ist die Körperfläche vorteilhaft vergrößert worden? Und weil die Folge oft ein spielentscheidender Strafstoß ist, erhitzt diese Regelinterpretation seit je her die Gemüter.
Und eine überzeugende und praktikable Lösung für diese Schwachstelle im Regelwerk ist derzeit nicht in Sicht!
Das immer höhere Tempo des Spiels und der Ballbewegungen machen die Abseits-Entscheidungen mit dem bloßen Auge selbst für die Linienrichter immer schwieriger. Und selbst die TV-Aufzeichnungen, die den Schiris nicht zur Verfügung stehen, geben oft nicht exakt Aufschluss: War der Stürmer X mit Kopf, Arm oder Bein im Abseits oder war es nur gleiche Höhe?
Den Gegner in die Abseitsfalle zu stellen, ist ein dem Spielfluss abträgliches taktisches Mittel und verhindert oft genug lehrbuchhaft heraus kombinierte Tore. Schadet also der Attraktivität des Spiels, weil die doppelten Defensivreihen die Räume vor dem Strafraum so verdichten, dass nicht selten die Angreifer wie beim Handball ein unproduktives Ball-hin-und-her-Geschiebe praktizieren.
Fußball ohne die Abseits-Regel wäre eine echte, revolutionäre Änderung mit garantiert mehr Kreativ-und Offensivaktionen. Und wäre zugleich eine Rückkehr zu urbanen Wurzeln des Kickens. Denn wo auf einer Spielwiese oder einem umzäunten Bolzplatz im Kietz kümmert sich jemand um das Abseits?
Netto-Spielzeit, Abschaffung der Abseits-Regel, bei Fouls auch Zeitstrafen – Vorstellungen, die im eher konservativen Fußball-Lager, von Fans bis Funktionären, derzeit auf überwiegend Skepsis oder Ablehnung stoßen. Deren Argumentation ist vor allem: Warum soll man in ein funktionierendes System eingreifen? Und: Der Fußball ist populär und erfolgreich, weil er so einfach ist und von der Basis bis zur Spitze nach nahezu gleichen Regeln betrieben wird!
Ex-Politiker Grindel findet die Diskussions-Vorschläge der Regelkommission Ifab „irritierend“. Videobeweis und Torkamera seien positive Neuerungen „und ansonsten soll der Fußball so bleiben, wie er ist.“
Dieses Beharren am Bestehenden hat auch der langjährige FIFA-Boss Joseph Blatter als Mantra gewählt. Nachfolger Infantino ist da schon eher Modernisierungen zugetan.
Vielleicht hat er Sportarten wie Biathlon, Volleyball oder Basketball vor Augen, die mit mutigen Neuerungen an Attraktivität gewonnen haben.
Basketball hat seinen offensiven Wesenszug – Sieger soll der sein, der die meisten Körbe erzielt – beispielsweise durch kluge Regeln gewahrt und ausgebaut. Da muss innerhalb von acht Sekunden der Ball in des Gegners Hälfte bewegt ein Angriff nach 24 Sekunden mit einem Korbwurf abgeschlossen werden. Treffer aus der Distanz werden mit drei Punkten belohnt. Fouls beim Korbwurf bekommen einen Bonuswurf. Und nach fünf Mannschaftsfouls in einer Hälfte kann das Foulen mit Freiwürfen sanktioniert werden. Es gibt „normale“ und „unsportliche“ Fouls. Letztere haben zwei Freiwürfe und Ballbesit u.a.m. Meckereien und ungebührliche Proteste auch von der Bank können von den Schiedsrichtern strikt unterbunden werden.
Letzteres soll künftig mit Schutzabsichten der Unparteiischen auch im Fußball im Regelwerk verankert werden.