Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Geboren im Jahre 1963 beschäftigte sich Jossy Reynvoet schon früh leidenschaftlich mit Pferden und träumte in seiner Jugend von einem Pferd, in einer offenen Ebene galoppierend, in völliger Freiheit, ohne Zaumzeug und ohne Sattel.
Mit 16 Jahren wurde er Springreiter und der Aspekt des „Gewinnens“ beherrschte alles Drumherum mit Pferden bis ihn später seine Tochter zurück brachte zu seinem Traum.
Seit 1993 schaute und suchte er Antworten auf seine Fragen über das gebisslose Reiten und Faktoren wie Nahrung, Körpersprache, Beute- und Herdeninstinkt.
Seit 2000 hat er einen eigenen Betrieb, wo er Pferde und Reiter auf „natürliche Weise“ betreut.
Im Jahr 2007 traf er Pascale, seine Frau. Sie übernahm den administrativen Teil, damit er sich in jeder Hinsicht voll auf Pferde konzentrieren konnte.
Seit Februar 2013 ist er ein Bent-Branderup-Trainer.
2014 entwickelte er zwei gebisslosen Zäumungen, genannt Cavemore und Cavesal.
Jossy Reynvoet hat nun ein Konzept zusammen gestellt, um gebisslos zu Reiten. Während der Woche unterrichtet er individuell, am Wochenende Gruppen in Belgien und im Ausland.
Das Ziel ist, Menschen und Pferden gegenseitiges Vertrauen zu geben, sodass Reiten Spaß macht und nicht zum Wettbewerb wird.
Die Ausbildung von jungen oder von traumatisierten Pferden ist ebenso möglich.
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Bernd Paschel: Lieber Jossy, lassen Sie uns über das Springreiten reden, weil ich einen ähnlichen Einstieg hatte beim Reiten als Wettkämpfer im Modernen Fünfkampf, wo Gewinnen im Vordergrund stand. Reiten war für uns Erholung in Bezug auf die anderen Disziplinen des Fünfkampfes, weil die Hauptarbeit das Pferd leistet.
Ist „Kunst“ der bessere Begriff, besonders die Dressur betreffend?
Jossy Reynvoet: Dressur ist für die Gesundheit des Pferdes und nicht das Pferd für Dressur gedacht.
Es geht nicht mehr um Übungen und nicht um Konkurrenz. Das Pferd ist in der Mitte und das Ziel ist, das Pferd stärker zu machen und ihm Zeit zu geben.
Bernd Paschel: Die akademische Frage sollte weniger wichtig sein als das Wohlergehen und die Kommunikation mit Pferden. Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein?
Sie begannen Anfang 1993, bevor Dr. Cook die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung veröffentlichte. Sie sind wirklich ein Pionier.
Jossy Reynvoet: In gewisser Weise haben Sie recht, aber beides ist miteinander verbunden. Für mich ist das Wohlergehen des Pferdes sehr wichtig, aber ich bin Reiter und möchte reiten. Das können Sie nicht ohne Wissen über die Biomechanik des Pferdes.
Als ich ein kleiner Junge war, musste ich Ponys für meinen Vater fangen. Ich benutzte Seile oder gar kein Zaumzeug. Ich ritt sogar manchmal auf dem Feld ohne Etwas. Wir hatten keine Zügel, keine Sättel, keine Lehrer in dieser Zeit. Es hat Spaß gemacht. Später als Springreiter hatte ich oft schwierige Pferde, sie waren angespannt wegen des Konkurrenzdruckes. Häufig nahm ich dann das Gebiss heraus und trainierte sie so ohne Gebiss. Ich erkannte, sie waren mehr auf mich konzentriert und entspannter. Ich hörte 1992 auf zu springen und nach einer Pause von einem Jahr wollte ich die Freude meiner Kindheit zurück finden. Jemand bot mir ein Pferd namens „Raisa“ an, eine braune Stute. Der Verkäufer sagte, dieses Pferd könne man wegen seines sehr starken Charakters niemals ohne Gebiss reiten. Ich sah ihr in die Augen und sagte zu ihr: „Wenn du mir erlaubst, dich ohne Gebiss zu reiten, werde ich niemals mehr in meinem ganzen Leben ein Gebiss verwenden. Und ein Wunder geschah. Sie erlaubte mir, sie ohne Gebiss zu reiten, und sie zeigte nie einen schlechten Charakter. Sie war ein fantastisches Pferd. Mit ihr begann ich meine erste Show zu geben. Mein Versprechen habe ich gehalten.
Bernd Paschel: Das ist eine wunderschöne Geschichte. Viele Gebisslos-Reiter sind der Meinung, dass das Gebiss für bestimmte Lektionen in der Dressur notwendig sei.
Wenn ich Sie recht verstehe, sehen Ihre Pferde nie ein Gebiss?
Jossy Reynvoet: Genau, es ist mein Ziel, das höchste Niveau in der Dressur ohne Gebiss für das Wohlergehen des Pferdes zu schaffen. Es ist nie zu spät, ohne Gebiss zu beginnen, aber „gebissloses Reiten ist nur eine Kunst, wenn sie von Anfang an gebisslos ist“.
Meine jungen Hengste, alle zwischen 8 und 10 Jahre alt, haben noch nie ein Gebiss gesehen. Ich gehe mit ihnen im Verkehr, Feld, Wald … überall.
Bernd Paschel: Meiner Meinung nach ist das größte menschliche Problem die Angst, die Kontrolle zu verlieren, und das ist ein Teufelskreis. Ich möchte nicht über die pathologische Angst, die Kontrolle zu verlieren spekulieren, aber „Angst zugeben“ wird oft als Niederlage verstanden!
Jossy Reynvoet: Durch die Jahre haben Pferde bewiesen, dass sie sich mit Menschen wie mit einem echten Freund verbinden können. Als mir das klar wurde, habe ich mich zur Freundschaft mit ihnen entschlossen, anstatt sie mit Gebiss zu kontrollieren. Ich ziehe es vor, mit einem Pferd in einer logischen Struktur zusammenzuarbeiten, die sie verstehen können. Es dauert vielleicht länger, aber Sie erhalten so viel mehr Authentizität.
Ich werde den Leuten niemals sagen, dass sie das Gebiss herausnehmen und ohne reiten sollen. Sie müssen zuerst an Ihrem Zusammenspiel von physischer und optischer Kommunikation arbeiten.
Nebenbei gesagt: Es hat sich oftmals erwiesen, dass Pferde mit Gebiss unkontrollierbar sind!
Bernd Paschel: Ihre Pferde haben kein Eisen am Huf, sie leben in Gruppen, sie sind nicht überfüttert. Ich glaube, Sie machen alles richtig. Es scheint fast, der Gesprächsstoff geht aus. Können Sie verstehen, dass Leute aufhören, das Pferd zu besteigen?
Manchmal bin ich nicht sicher, ob mein Pferd mein schweres Gewicht von 70 kg jeden Tag mag?
Jossy Reynvoet: Ja, Sie haben recht. Ich glaube nicht jedes Pferd eignet sich dazu, einen Reiter zu tragen. Das sollten wir wissen. Aber wenn das Pferd gut geformt und trainiert wurde, kann es einen Menschen tragen, aber auch hier braucht es Zeit es aufzubauen.
Darüber hinaus ist es auch wichtig, dass die Menschen nicht zu schwer wie auch beweglich genug sind.
Nicht jedes Pferd ist ein Reitpferd und wir sollten wissen, dass nicht jeder Mensch als Reiter geeignet ist wegen dieser Probleme.
Bernd Paschel: Braucht ein Pferd eine besondere Ausbildung für seine Gesundheit, wenn es auf einer großen Wiese, mit anderen Pferden, 24 Stunden, frei laufend lebt?
Jossy Reynvoet: Solange Sie Ihr Pferd nicht reiten wollen, ist es okay, es auf der Wiese mit gutem Essen zu lassen. Aber sobald Sie reiten wollen, brauchen Sie Biomechanik, Gymnastik und Versammlung, um die richtigen Muskeln für die Beförderung zu entwickeln. Das Pferd sollte am Boden vorbereitet werden.
Bernd Paschel: Beim Menschen ist Gesundheitstraining eine Kombination aus einer moderaten Ausbildung der Ausdauer und Kraft / Agilität, mit dem Fokus auf Ausdauer besonders im Alter. Ist das nicht das gleiche mit Pferden?
Jossy Reynvoet: Ja, es ist das gleiche.
Bernd Paschel: Wenn ich den Diskussionsfaden fortsetzen kann: Gut entwickelte Muskulatur stabilisiert Gelenke
Jossy Reynvoet: Ein gutes Dressurpferd braucht starke, aber auch flexible Muskeln. Was wir tun ist, das Pferd vom Boden aus zu trainieren, so dass wir ein Feedback bekommen, ob es wirklich bereit ist, ein gutes Reitpferd zu sein.
Bernd Paschel: Ich schalte jetzt die Wettkämpfe im Dressurreiten im Fernsehen aus, weil ich die angespannten Pferde mit den sabbernden Mäulern nicht mehr ertrage. Es ist auch der Fall beim Springen, vor allem beim Stechen, wenn man bei guten Reitern wildes Zerren am Zügel sieht. Ein Pferd mit einer blauen Zunge sollte sofort disqualifiziert werden.
Jossy Reynvoet: Mit Letzterem bin ich einverstanden, aber ich glaube, wenn Ego, Konkurrenz und Geld beteiligt sind, schadet das dem Pferd, das Pferd wird zum Opfer. Es ist so schön, mit einem Pferd zu arbeiten, mit einem Pferd zu kommunizieren, wenn Sie Wissen und Zeit haben. Sie können Ihr Ego loslassen und spüren die Empathie mit dem Pferd. Noch einmal, das Pferd ist im Zentrum.
Ich setze keine Zeit, wie schnell mein Pferd sich entwickelt. Ich entwickle mein Pferd und es wird mir sagen, wann es Zeit ist.
Bernd Paschel: In einem sportwissenschaftlichen Artikel konnte ich lesen, dass eine Last von einem schnellen Galopp über 300 m täglich notwendig ist, um die Gelenke zu trainieren.
Viele Boxenpferde erreichen das bei Weitem nicht und sind deshalb wahrscheinlich auch sehr anfällig für Gelenkprobleme?
Jossy Reynvoet: Gelenke wachsen nicht wie Muskeln, aber sie werden mit ausreichendem Training langsam fester. Und ja, es ist wichtig, dass Ihr Pferd rund 300m Galopp pro Tag und dieses 4 bis 5 mal pro Woche für die die Stärkung der Gelenke braucht.
Ich wusste nichts über den Sportartikel, aber es ist meine Erfahrung, dass Pferde diesen Galopp brauchen, um flexibel und beweglich zu bleiben. Galopp schafft auch mehr Rundheit in der oberen Linie.
Bernd Paschel: Ich habe eine letzte Frage: Brauche ich mehr reiterliches Können ohne Gebiss in einer vergleichbaren Dressur als mit Gebiss?
Jossy Reynvoet: Nein, Sie brauchen nicht mehr Reitkunst für eine vergleichbare Dressur ohne Gebiss. Dennoch ist es wichtig, die eigenen reiterlichen Fähigkeiten zu entwickeln, wenn Sie zum Wohlergehen des Pferdes reiten wollen. Für mich ist das Pferd der Richter und nicht der Mensch. Das Pferd kann Sie beurteilen, wenn Sie es gebisslos reiten, weil es immer eine faire Meinung hat. Aber mehr Bewusstsein ist notwendig, wenn das Pferd Ihnen ein Feedback gibt und Ihnen sagt, wenn es ein Reitpferd werden kann. Das bedeutet auch, dass Sie mehr Wissen darüber brauchen, wie Sie aus ihrem Pferd ein Reitpferd machen.
Für mich geht es nicht nur um die Fähigkeiten des Reiters. Es geht auch um ein stabiles Management, Osteopathie und Psychologie.
Bernd Paschel: Danke, lieber Jossy, für Ihre lehrreichen Worte, die neugierig machen, noch intensiver das Thema „Formung des Dressurpferdes“ auf der Grundlage des gebisslosen Reitens zu betrachten, das ja bekanntlich durch das Regelwerk der Reiterlichen Vereinigung im Turnier verboten ist.
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Weitere Informationen: http://www.bitless-art-of-riding.com