Sicherheit, Funktionalität und Schönheit: der Palladianismus als Synonym für das klassische Bauen – Serie: Besuch bei Andrea Palladio in Vicenza (Teil 2/2)

Villa Godi Malinverni

Das kann man am besten an seinen Villen überprüfen, von denen die Villa La Rotonda die berühmteste wurde, die eigentlich Villa Almerico Capra Valmarana heißt. Das ist das Urbild des auf einem Hügel thronenden vierflügeligen Baus, der jeweils vorgelagert einen Portikus von sechs ionischen Säulen besitzt und Erhabenheit, Schlichtheit und Eleganz ausdrückt, wie gesagt, das Urmodel für den Klassizismus genauso wie für heutige Nachahmer. Im inneren sind die Villen ebenfalls einem Modell geschuldet, das man an der Villa Godi Valmarana Malinverni – hinter den Namen verbergen sich die Folge der Besitzer und einer der ersten durchgeführten Bauten nach 1540 – gut nachvollziehen kann, weil Palladio die Entwürfe in seinem Buch von den vier Büchern zur Baukunst veröffentlichte, wobei man auch gleich merkt, wo das Bauen vom Plan abweicht, beispielsweise bei den Fenstern und dem nicht gebauten Giebel.

Die Villa ist heute als Ganzes zu besichtigen und fällt vor allem durch den horror vacui auf, dem die Wandmaler im Stil der Veroneser im 16. Jahrhundert frönten: die Wände sind über und übervoll mit oft grotesk großen (vergleiche Palazzo Te von Giulio Romano in Mantua) Gestalten, die verschiedenen Motivreihen entnommen sind, wobei jeder Raum ein eigenes Thema hat. Der Besitzer war ein Dichter und darum ist Dante Heros bei den Dichtern und Denkern. Dann gibt es die Götter und Giganten, die auf dem Olymp weilen, einen Venusraum, einen uns kitschig anmutenden Sommer- und Frühlingsraum und im großen Raum das sogenannte Hochzeitszimmer. Im Piano Nobile gibt es den Kaisersaal, wo von Alexander dem Großen mit dem Perserkönig Darios zugleich auch die Liebesabenteuer des Zeus gemalt sind, sei es als Päderast in der Neigung zu Ganymed, sei es als Frauenverführer durch den Stier.

Zudem waren in jeder der Villen zwei Motive vorhanden, die in der Renaissance als Bezug des Menschen zu Gott wichtig waren, auch wenn der Gott längst ein christlicher geworden war und der Verweis auf die Antike in der griechischen Göttersprache ausgedrückt wurde. Das waren „Fama“, das Gerücht und „Herkules“, der menschliche zum Gott erhobene Held, bei dem immer wieder seine persönliche Entscheidung thematisiert wird, in der er zwischen Tugend und Laster wählen mußte, das Laster natürlich eine hinreißende, möglichst ausgezogene Kokotte, und er sich aber – uns vom Bilde her völlig unverständlich – für den Pfad der Tugend entscheidet. Die exzessive Wandmalerei führt dazu, daß man den Bau als Architektur nicht ausdrücklich wahrnimmt und sich besinnen muß, dies zu tun. Dann fallen einem die sehr sinnvoll konstruierten Trakte im Erdgeschoß auf, wo die Küche von einer Einfachheit und Sinnfälligkeit der Handlungsabläufe spricht, die kluge Planung voraussetzt.

Was Vicenza angeht, ist der letzte Bau des Palladio das Teatro Olimpico, den er selber vorschlug und den er noch in seinem Todesjahr 1580 beginnen konnte und sein Sohn Silla fortsetzte. Es ist dies das erste freistehende Theatergebäude seit der Antike und greift auf den halbrunden und ansteigenden Zuschauerraum des römischen Amphitheaters zurück, der bei ihm aber einen ellipsenförmigen Verlauf nimmt. Die Bühne ist als zweistöckige Palastfassade gestaltet, mit dem Triumphbogen in der Mitte und zwei seitlichen Öffnungen, die dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, daß er das Geschehen auf der Bühne perspektivisch erleben kann. Diese Dreiteilung nimmt als Zitat auch auf die üblichen Dreiteiligkeit der palladianischen Stadtpaläste bezug. Aber das, was wir heute sehen und was uns so typisch Palladio erscheint, das ist als Bühnenbild von seinem Schüler und Nachfolger und Prinzipal des Theaters Scamozzi szenisch aufbereitet worden.

Wir sehen die Stadt Theben aus Sophokles König Ödipus vor uns. In der breiten Mitte suggeriert die nur12 Meter lange Bühne durch das Ansteigen der Straße eine kilometerweite Sicht. Am Ende senkt sich der Himmel und die perspektivische Sicht wird durch die Standbilder beidseitig des Weges verstärkt, die immer kleiner werden. Die Seiten nun wiederum sind so geschnitten, daß wir links eine nach links flutende Straße sehen und dasselbe auf der rechten Seite, wo sie nach rechts sich weitet. Das gibt insgesamt eine Perspektive, als ob man nicht im engen Zuschauerraum weilte, sondern hoch oben auf einer Höhe einen weiten Rundumblick genieße. Der Abschluß des Zuschauerraums ist die halbkreisförmige Kolonnade aus korinthischen Säulen, die wie schon die Palastfassade mit mannshohen Figuren über und über bestückt ist. Immer wieder taucht dabei Herkules auf, der als Mittler zwischen den Göttern und den Menschen seine herausragende Funktion hat und dessen zwölf Abenteuer auch genug Stoff für variantenreiche Skulpturen bietet. Uns scheint dieses Theater mit dem gemalten Himmel in Blau und Weiß wie ein Märchen aus fernen Zeiten.

* * *

Um alles Wissenswerte und Sehenswerte von und über Palladio zu erforschen, wäre ein mehrmonatiger Aufenthalt im Veneto angebracht. So lange dies nicht möglich ist, kann man zu Hause an Ort und Stelle seine Werke in Wort und Schrift studieren. Der Verlag Taschen Verlag hatte einen Band über die Villen, ja sogar alle Bauwerke Palladios herausgebracht, der gerade vergriffen ist und liefert derzeit einen „kleinen Palladio“. Der Verlag Marix hat tatsächlich die theoretischen Grundlagen sowohl des vierbändigen Werkes zur Architektur von Palladio wie auch die zehn Schriften des Vitruv herausgegeben, letztere sind ebenfalls vergriffen – was ja für großes Kaufinteresse spricht – und werden im Herbst 2009 erneut und zwar zweisprachig auf Latein und Deutsch mit allen Originaltafeln erscheinen.

Die 1570 herausgekommenen vier Bücher des Palladio im Marix Verlag, die von Hans-Karl Lücke herausgegeben und eingeleitet werden, stechen durch die großformatige Holzschnitte ins Auge, die je nachdem Grundriß, Aufriß oder Schnitte durch Achsen und Gebäudeteile aufzeigen, die jeweils durch sinnvolle Beschriftung den Text visualisieren. Diese vier Bücher haben zudem eine innere Systematik, die die in unserem Text angeführte Wertigkeit des Baumeisters Palladio aufzeigen. Im ersten Band geht es ihm um die Grundlagen der Baukunst, alles das, was mit dem Material und den aus ihm konstruierbaren Mauern möglich ist, wozu die Säulenordnungen gehören. Seine Stadthäuser, sowohl Palazzi wie auch Villen, und ebenso seine Landhäuser in Entwurf und Umsetzung füllen den zweiten Band, in dem er auch antike Bauten rekonstruiert, so wie er es aus den schriftlichen Quellen vermag. Was heutzutage viele Berufe ausmacht, vereinigte Palladio in sich. Denn er war auch Stadtplaner und diesen Aufgaben geht er im dritten Band nach, der die Funktionen und Gegebenheiten von öffentlichen Gebäuden thematisiert, sowohl zeitgenössische wie auch die antiken. Der letzte Band widmet sich den antiken Tempeln, die eine Quelle stetigen Lernens waren und deren Reste er auf verschiedene Weise zu Rekonstruktionen verhalf; hier haben auch die frühchristlichen Zentralbauten ihren Platz und auch der Tempietto von Bramante.

* * *

Literatur:

Verlag Taschen "Palladio- Sämtliche Bauwerke", ist momentan nicht lieferbar, nur der Band aus der kleinen Reihe von Architekten "Palladio. Die Regeln der Harmonie." von Manfred Wundram ist verfügbar.

Guido Beltramini, Palladio. Lebensspuren, Verlag Klaus Wagenbach 2009

Verlag Marix: Andrea Palladio. Die Vier Bücher zur Architektur,im Originalformat mit sämtlichen Tafeln, 456 Seiten, 50 ganzseitige Abbildungen in Schwarz-Weiß, zweisprachige Sonderausgabe Italienisch-Deutsch, 2008

Verlag Marix: Vitruv, Zehn Bücher, derzeit vergriffen, in neuer zweisprachiger Ausgabe im Herbst 2009, s.o.

Giorgio Vasari, Das Leben des Sansovino und des Sanmichele mit Ammannati, Palladio und Veronese,, herausgegeben von Allessandro Nova, Verlag Klaus Wagenbach, 2007

Internet:

www.poligrappa.com

www.museobassano.it

www.vicenzafiera.it

www.gitando.it

www.vicenzae.org

Mit freundlicher Unterstützung von ENIT, der italienischen Zentrale für Tourismus in Frankfurt am Main, der Tourismusorganisation in Vicenza, der Lufthansa und dem Hotel Da Porto in Vicenza.

Vorheriger ArtikelMathematiker, Maurer, Stadtplaner, Zeichner, Baumeister, Ingenieur und Architekt – Serie: Besuch bei Andrea Palladio in Vicenza (Teil 1/2)
Nächster ArtikelFür mich soll’s rote Rosen regnen – Heike Makatsch ist die Knef in “Hilde”