Ja, hier im südlichen Patagonien lässt sich niemand so leicht den Schneid abkaufen. Stets der Macht der Elemente ausgeliefert, gehört schon ein wenig Knorrigkeit verbunden mit einer Portion Bodenständigkeit dazu, um vor den Herausforderungen des rauen Alltagslebens zu bestehen. Menschen wie Sergio, von seinen Freunden liebevoll „Chechin“ genannt. Einst als Gaucho auf dem weitläufigen Gelände einer Estancia den Unbilden des Wetters ausgesetzt, lässt ihn auch heute die Vergangenheit nicht los. Diesmal in der Nähe der Hafenstadt Puerto Natales als kenntnisreicher Führer durch den einstmals größten Schlachthof der Welt.
Eine Landschaft, in der die Elemente mit Urgewalt aufeinander treffen, wie Parkbegleiterin Sophia erklärt. Entstanden durch Feuer aus dem Erdinneren, das sich mit Druck den Weg aus seiner Magmakammer an die Oberfläche bahnte. Und dabei vulkanisches Material mit sich führte, das in erstarrtem Zustand wirkt wie großflächig über die Erde verteiltes Riesenspielzeug. Zusätzlich dekoriert mit türkisfarbigen Seen und Lagunen, auf deren Oberfläche sich die steilen Felsgiganten des Parks in klaren Konturen spiegeln. Dramatisch der „Cascada Paine“-Wasserfall, an dem sich der Rio Paine an einer Felseninsel mit donnerndem Tosen vor einer majestätischen Felskulisse in die Tiefe stürzt.
Wider Erwarten bricht am nächsten Morgen nahe dem südlich gelegenen Marinelli-Gletscher die Sonne strahlend hervor und offenbart eine verschlungene, ja bizarre Fjordlandschaft. Selbst die drolligen Magellan-Pinguine auf den kleinen Tucker-Inseln scheinen es zu genießen, einfach am Strand zu sitzen, ohne von den berüchtigten patagonischen Winden sogleich fortgepustet zu werden. Erst später wird die Idylle für kurze Zeit gestört. Durch einen stürmischen Liebesgruß des Pazifischen Ozeans, dessen Imponiergehabe sich das Schiff durch Rückkehr in das schützende Inselgewirr des Feuerland-Archipels jedoch schnell wieder entzieht.
Erinnert doch das ständige Knacken, das von der grellweißen Fassade ausgeht, an einsetzende Geburtswehen. Wird aber das Pressen der nachrückenden Eismassen ausreichen, um aus der sich auftürmenden Eiswand ein neues Stück Nachwuchs freizusetzen? Noch ist es nur ein gelegentliches Ächzen und Stöhnen, denn die Gletscherwand kreißt – und gebiert doch nur winzige Fehlgeburten. Das freudige Ereignis lässt also auf sich warten. So wird die Geduld der Zuschauer im Wartesaal des Pia-Fjordes auf eine harte Probe gestellt, wobei sich die Fantasie ständig beschäftigt mit der nicht unbedeutenden Frage nach der Stärke des zu erwartenden Fruchtwasser-Tsunamis.
Bis jetzt hat das Wetter für patagonische Verhältnisse erstaunlich gut gehalten. Selbst die durch Charles Darwins Beagle-Anlandung zu Ehren gelangte Wuleia-Bucht präsentiert sich in der Morgensonne mit üppig grünen Farben. Wird sich dieses unerwartete Wetterwunder jedoch bis Kap Hoorn fortsetzen, das bereits am späten Nachmittag erreicht werden soll? Denn schon trübt sich der Himmel leicht ein und lässt Schlimmeres befürchten. Doch dann die für alle befreiende Nachricht von der Brücke: Die Anlandung ist beschlossene Sache! Schon sausen wendige Schlauchboote knatternd los, um den kleinen Anlandungssteg neu zu befestigen. Und bereits wenig später sind die 160 Zickzack-Treppenstufen an der Inselsteilwand zum Aufstieg freigegeben.
Oben am Leuchtturm wartet bereits Marineoffizier Manuel Canepa, als offizieller chilenischer Inselrepräsentant mit seiner Frau und seinen zwei Kindern für ein ganzes Jahr lang der einzige Bewohner dieses lebensfeindlichen Eilandes. „Mit bis zu 240 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit zugleich auch des stürmischsten“, wie Manuel respektvoll anmerkt. Mit einer Kraft, durch die er das auf der Spitze der Insel angebrachte Albatros-Denkmal bei einer seiner Attacken schon bald in einen Schrotthaufen verwandelte. Wie der Wind, so auch das Wasser: mindestens 800 Schiffe, so fügt Manuel hinzu, liegen als Opfer dieser tosenden Gewalten in Blickweite auf dem größten Schiffsfriedhof der Welt. Und er ist sich nicht einmal sicher, ob diese aufregende Statistik nicht sogar deutlich nach oben hin korrigiert werden muss.
Auf dem Rückweg vom Inselleuchtturm zum Schlauchbootsteg ziehen weitere Wolken auf, und es fallen bereits die ersten Tropfen. Doch kaum jemand interessiert sich noch dafür, wurde doch das ersehnte Ziel gerade noch einmal erreicht. Und schon winkt Ushuaia als die südlichste Stadt der Welt mit dem Heimflug. Wie nicht anders zu erwarten, hat Barkeeper Claudio an diesem Abend wieder einmal alle Hände voll zu tun.
Anreise: Günstig mit LAN Airlines tgl. ab Frankfurt am Main via Madrid nach Santiago, weiter nach Punta Arenas, www.lan.com. Von dort Landtransfer nach Puerto Natales zum Torres del Paine NP. Ab Punta Arenas Expeditionskreuzfahrt mit Cruceros Australis, Patagonien – Feuerland – Kap Hoorn, www.australis.com. Rückreise: Flug Ushuaia – Buenos Aires – Sao Paulo – Frankfurt auch mit TAM Airlines, www.tamairlines.comAuskunft: Turismo Chile: www.chile.travel












