Cui bono? Wem nützt es? Wer hatte Interesse an all dem Unsinn?
Da gibt es nur eine vernünftige Antwort: Israel.
Sein Sich-in-Pose-werfen stellte den Iran als einen Staat dar, der beides war, lächerlich und unheimlich. Es rechtfertigte Israels Weigerung, den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen oder die Chemiewaffen-Konvention zu ratifizieren. Es lenkte die Aufmerksamkeit von Israels Weigerung ab, über die Besatzung der palästinensischen Gebiete zu diskutieren und sinnvoll Friedensverhandlungen durchzuführen.
Falls ich Zweifel an diesem internationalen Knüller gehegt hätte, hat sich dieser jetzt aufgelöst.
Unsere politischen und militärischen Führer beklagen fast offen das Ende von Ahmadinejad.
Offensichtlich entschied der Oberste Führer Ali Khamenei, dass ich Recht hatte, und hat diesen Clown beseitigt.
Es ist noch schlimmer: er hat seine tödliche Feindschaft mit der zionistischen Entität bestätigt, indem er eine Person wie Hassan Rohani in den Vordergrund schob.
Rohani ist das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Wenn der Mossad gefragt worden wäre, den schlimmsten iranischen Führer, den sich Israel vorstellen könne, zu skizzieren, dann hätte er jemand wie ihn vorgeschlagen .
Ein Iraner, der den Holocaust anerkennt und verurteilt! Ein Iraner, der eitel Freude und Sonnenschein anbietet! Ein Iraner, der allen Nationen Frieden und Freundschaft anbietet – und sogar andeutet, dass Israel mit eingeschlossen ist, wenn es nur die besetzten Gebiete aufgebe!
Könnte man sich irgendetwas Schlimmeres vorstellen?
Ich mache keinen Witz. Ich meine es todernst!
Ja, noch bevor Rohani nach seiner Wahl seinen Mund öffnen konnte, wurde er rundweg von Benjamin Netanyahu verurteilt.
Ein Wolf im Schafspelz! Ein wirklicher Anti-Semit. Ein Betrüger, der die ganze Welt täuscht! Ein hinterhältiger Politiker, dessen teuflisches Ziel es ist, einen Keil zwischen Israel und die naiven Amerikaner zu treiben!
Dies ist die wirkliche iranische Bombe, bei weitem bedrohlicher als die Atombombe, die hinter einer Nebelwand von Rohanis freundlicher Rede gebaut wird.
Eine Atombombe kann eine andere Atombombe abschrecken. Aber wie kann man einen Rohani abschrecken?
Yuval Steinitz, unser gescheiterter früherer Finanzminister und der gegenwärtig für unsere „strategische Angelegenheiten“ verantwortlich ist (Ja, wirklich!), rief in Verzweiflung aus, dass die Welt vom Iran getäuscht werden wolle. Benjamin Netanyahu nannte es eine „Honigfalle“. Kommentatoren, die „offiziellen Kreisen“ aus der Hand fressen (d.h. dem Büro des Ministerpräsidenten) behaupten, dass er eine existentielle Bedrohung darstelle.
All dies, bevor er ein Wort geäußert hatte.
Als Rohani schließlich seine große Rede bei der UN-Vollversammlung hielt, haben sich alle verheerenden Vorahnungen als richtig erwiesen.
Während Ahmedinejad eine Massenflucht der Delegierten aus der Halle verursachte, füllte Rohani sie. Diplomaten aus aller Welt waren neugierig auf den Mann. Sie hätten die Rede ein paar Minuten später lesen können, aber sie wollten ihn selbst sehen und hören. Sogar die US sandte Abgeordnete, um anwesend zu sein. Keiner ging hinaus.
Keiner d.h. außer den Israelis.
Den israelischen Diplomaten wurde von Netanyahu befohlen, die Halle demonstrativ zu verlassen, wenn der Iraner zu sprechen anfange.
Das war eine dumme Geste. So vernünftig und effektiv wie der Wutanfall eines kleinen Jungen, wenn ihm das Lieblingsspielzeug weggenommen wird.
Dumm, weil dies Israel als Spielverderber darstellte, und zwar zu einer Zeit, als die ganze Welt nach den kürzlichen Ereignissen in Damaskus und Teheran von Optimismus ergriffen ist.
Dumm auch, weil es die Tatsache erklärt, dass Israel zur Zeit total isoliert ist.
Übrigens, hat jemand bemerkt, dass Rohani während seiner halbstündigen Rede ständig seine Stirne abgewischt hat? Der Mann hat offensichtlich gelitten. Ist ein anderer Mossad-Agent in den Wartungsraum der UN geschlichen, um die Klimaanlage abzuschalten? Oder war es nur die schwere Garderobe?
Ich wurde niemals Priester, nicht nur, weil ich ein Atheist bin (gemeinsam mit vielen Priestern, vermute ich), sondern auch wegen der Verpflichtung, die entsprechenden schweren, geistlichen Gewänder zu tragen, wie es in allen Religionen gefordert wird. Dasselbe gilt auch für Diplomaten.
Schließlich sind alle Priester und Diplomaten auch Menschen (wenigstens viele von ihnen).
Nur ein israelisches Kabinettmitglied wagte offen das Verhalten der israelischen Delegation zu kritisieren: Yair Lapid. Was ist in ihn gefahren? Nun, Umfragen zeigen, dass der aufgehende Stern nicht weiter aufsteigt. Als Finanzminister war er gezwungen worden, sehr unpopuläre Schritte zu tun. Da er nicht über Dinge wie die Besatzung und Frieden spricht, wird er als oberflächlich angesehen. Er ist fast zur Seite geschoben worden. Seine unverblümte Kritik an Netanyahu könnte ihn zurück ins Zentrum bringen.
Doch hat er seinen Finger auf eine zentrale Tatsache gelegt, dass Netanyahu und seine Mannschaft sich genau wie früher die arabischen Diplomaten benehmen. Sie tun so, als lebten sie vor einer Generation. Das bedeutet, dass sie in der Vergangenheit stecken geblieben sind. Sie leben nicht in der Gegenwart.
In der Gegenwart zu leben, heißt, dass Politiker etwas tun müssen, was sie nicht gern tun: wieder nachdenken.
Die Dinge ändern sich, langsam, sehr langsam, aber spürbar.
Es ist viel zu früh, über die abnehmende Bedeutung des amerikanischen Empire viel zu sagen, aber man braucht keinen Seismographen, um einige Bewegung in dieser Richtung zu bemerken.
Die syrische Affäre war ein gutes Beispiel. Vladimir Putin mag gern in Judo-Haltung fotografiert werden. Beim Judo nützt man den Schwung des Gegners, um ihn zu Fall zu bringen. Das ist genau das, was Putin tat. Präsident Obama hat sich selbst in die Ecke getrieben. Er hat deutlich kampflustige Drohungen artikuliert und konnte nicht zurück. Aber die US-Öffentlichkeit ist in keiner kriegerischen Stimmung. Putin befreite ihn aus diesem Dilemma. Es hatte aber seinen Preis.
Ich weiß nicht, ob Putin solch ein guter Spieler ist, dass er sich auf eine Nebenbemerkung von John Kerry auf Bashar Assad stürzte: er habe eine Chance, auf chemische Waffen zu verzichten. Ich habe ziemlich den Verdacht, dass dieses im Voraus arrangiert war. So oder so, Obama war gerettet, und Putin war wieder im Spiel.
Ich habe über Putin sehr gemischte Gefühle. Er hat seinen tchetchenischen Bürgern gegenüber das angetan, was Assad seinen sunnitischen Bürgern jetzt antut. Seine Behandlung von Dissidenten, wie der Pussy Riot Gruppe, ist abscheulich.
Aber auf der internationalen Bühne ist Putin jetzt der Friedensmacher. Er hat den Stachel aus der chemischen-Waffenkrise herausgezogen; und er könnte möglicherweise, die Initiative ergreifen und ein politisches Abkommen für den fürchterlichen Bürgerkrieg erreichen.
Der nächste Schritt könnte sein, eine ähnliche Rolle in der iranischen Krise zu übernehmen. Falls Khamenei zu der Schlussfolgerung kommen sollte, dass sein nukleares Programm nicht so viel wert ist, wie die durch die Sanktionen verursachte wirtschaftliche Misere, dann mag er es an die US verkaufen. In diesem Fall könnte Putin eine lebenswichtige Rolle spielen: zwischen zwei knallharten Unterhändlern zu vermitteln, die eine Menge zu verhandeln haben.
(Es sei denn, Obama verhält sich wie der Amerikaner, der in einem persischen Bazar einen Teppich kaufte. Der Verkäufer verlangte 1000 $, und der Amerikaner bezahlte, ohne zu feilschen. Als ihm gesagt wurde, dass der Teppich nicht mehr als hundert Dollar wert sei, antwortete er: „Ich weiß, aber ich wollte ihn bestrafen. Jetzt wird er nicht schlafen können und sich verfluchen, dass er nicht 5000 $ verlangt hat.)
Wie passen wir Israelis in diese sich verändernde Szene?
Zunächst mal müssen wir anfangen nachzudenken, auch wenn wir es lieber vermeiden würden. Neue Umstände fordern neue Gedanken.
In seiner eigenen US-Aussprache machte Obama eine klare Verbindung zwischen der iranischen Bombe und der israelischen Besatzung. Diese Verbindung kann nicht unberücksichtigt bleiben. Also greifen wir zu.
Die US sind heute etwas weniger bedeutsam, als sie gestern waren. Russland ist etwas bedeutsamer, als es gestern war. Wie AIPACs sinnloser Angriff auf den Kapitol-Hügel während der syrischen Krise zeigt, ist auch diese Organisation heute ein bisschen weniger mächtig.
Denken wir noch einmal über den Iran nach. Es ist zu früh, zu folgern, wie weit sich Teheran bewegen wird, wenn überhaupt. Aber wir müssen es versuchen. Räume zu verlassen, ist keine Politik, sie zu betreten ist Politik.
Wenn wir einige unserer früheren Beziehungen mit Teheran wieder herstellen oder eben nur den Stachel aus der gegenwärtigen herausnehmen könnten, wäre dies ein sehr großer Gewinn für Israel. Dies mit einer wirklichen Friedensinitiative gegenüber den Palästinensern zu verbinden, wäre sogar noch besser.
Unser gegenwärtiger Kurs führt uns in die Katastrophe. Die gegenwärtigen Veränderungen auf der internationalen und der regionalen Bühne könnten eine Veränderung des Kurses möglich machen
Helfen wir Präsident Obama, die amerikamische Politik zu verändern, statt AIPAC dazu benützen, dass er den Kongress terrorisiert, damit er blind eine überholte Politik gegenüber dem Iran und den Palästinensern unterstützt. Strecken wir vorsichtige Fühler in Richtung Russland aus. Verändern wir unsere öffentliche Haltung, wie die iranischen Führer es mit solchem Erfolg tun.
Oder sind sie klüger als wir?
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Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de nach eigenen Angaben am 27.09.2013. Alle Rechte beim Autor.