Allerdings täuscht die knappe Tordifferenz. Union war, das gesamte Spiel betrachtet, viel überlegener. Es hätten gut und gern drei oder vier Tore zu ihren Gunsten fallen können. Aber mal fehlten einige Zentimeter an der Präzision, mal – und das recht häufig – rettete Fabian Giefer, der Torhüter in Diensten der Fortuna. Die 20 846 Zuschauer sahen einen insgesamt kämpferisch wie spielerisch überlegenen Hausherren.
Das Besondere an diesem Abend war indes, dass mehr Augen auf das Spielfeld an der Wuhlheide schauten, als die Zuschauerzahl verrät. Hunderte von Kindern aus Köpenick und ganz Berlin, sowie Spieler und Fans des einheimischen Fußballklubs hatten in der Aktion „gemeinsam SEHEN – UNION leben“ zu Gunsten der Aniridie-Forschung Bilder von Augen gemalt, die nun im Stadion hingen. Der Sohn von Union-Fußballer Martin Dausch leidet an dieser seltenen und noch nicht ausreichend erforschten Augenkrankheit. Diese Forschung soll mit dem Geld aus dieser Spenden-Aktion künftig unterstützt werden. Die eisernen Fans des Vereins zeigen damit einmal wieder ihr großes Herz.
Genauso groß von Beginn an die Stimmung im beinahe ausverkauften Stadion. Auch knapp 2000 Fans der Fortuna füllten fröhlich den Gästeblock – zunächst. Ihre Fröhlichkeit allerdings verschwand mit dem Spielverlauf. Ernüchternd nämlich über lange Zeit der Auftritt ihrer Kicker.
Union indes scheint inzwischen sein Spielsystem gefunden zu haben, um aus einer stabilen Deckung durch gute Balleroberung und mit schnellen Kombinationen nach vorn, auch für starke Gegner in Gefahr zu bringen. Schließlich gilt die Fortuna trotz ihres nun ziemlich verunglückten Saisonstarts durchaus zu den Favoriten der zweiten Liga.
Was in den bislang vier Punktspielen und auch im Pokalspiel auffällt, ist die ausgeglichene Besetzung des Kaders von Trainer Uwe Neuhaus. Sein Wunsch nach gleichwertigen Spielern auf der Ersatzbank scheint zum ersten Mal Realität geworden zu sein. Das nach dem grandiosen 3:1- Auswärtssieg bei Dynamo Dresden der von allen gelobte Baris Özbek auf der zweiten „Sechser“-Position diesmal wegen Verletzung fehlte, war nie zu spüren. Für ihn rückte Michael Parensen auf diese Stelle und Patrick Kohlmann spielte wieder auf seinem Lieblingsarbeitsplatz als linker Verteidiger.
Mann des Abends war natürlich Adam Nemec. Der lange Slowake, der in dem geschilderten System als einzige Spitze fungiert, konnte sich indes nicht über Einsamkeit beklagen. Sören Brandy und vor allem der äußerst agile Benjamin Köhler taten alles, um ihrem Stürmer Gesellschaft zu leisten. Auch Kohlmann und Parensen stießen immer wieder gefährlich in Lücken, von ihren Offensivspielern gerissen wurden. Kapitän Torsten Mattuschka kreiselte wie gewohnt als Ballverteiler im Zentrum und zeigte auch zwei seiner gefürchteten Freistöße. Einen sahen viele auch im Tor, aber leider streifte der Ball nur den Pfosten, um von hinten das Tornetz auszubeulen. Es blieb also Nemec vorbehalten, mit zwei Toren (43. und 55. Minute) die Unioner in Verzückung zu versetzen. Jeweils mit seinem eisernen Schädel wuchtete er die Kugel an Giefer vorbei ins Gehäuse. „Wir haben kein Herz gezeigt, hatten keine Eier in der Hose. Darum haben wir verdient verloren. Nemec war mein Mann, den muss ich haben“, sagte nach dem Spiel Fortunas Innenverteidiger Dustin Bomheuer.
Trotzdem sollte es am Ende tatsächlich noch einmal eng werden. Als das dritte Tor nicht fallen wollte, witterten die Gäste Morgenluft. Union, natürlich auch schon etwas ausgelaugt vom ständigen Anrennen, schien sich etwas fallen zu lassen. Die Fortunen kamen dem Kasten von Daniel Haas ein wenig näher. Unter den erfahrenen Fans der Eisernen schlich sich leichtes Grummeln ein. Ein Ergebnis verwalten, das wollen die Eisernen immer wieder mal, aber gerade das können sie eigentlich nicht so gut.
Und genau in der 77. Minute trat das ein, was mancher befürchtet hatte. Mit einem weiten Ball spielte Tobias Levels seinen Kollegen Axel Bellinghausen frei, der den Ball trocken im Tor der Unioner unterbrachte. Klar, nun wollten die Gäste den Ausgleich und warfen alles nach vorn. Gegen Ende erinnerte das Geschehen auf dem Rasen eher dem Geschehen, das Theodor Fonatane einst in seiner Ballade von John Maynard schilderte: „Die Schwalbe fliegt überm Erisee“, heißt es da. Hier flog Stefan Reisinger im Unioner Strafraum, nachdem Fabian Schönheim den Düsseldorfer am Ärmel touchiert hatte. Der Fortuna-Block tobt wie die Gischt einst am Erisee. Christian Dingert indes behält die Ruhe. Das war ihm wohl zu offensichtlich.
Vier Minuten Nachspielzeit verordnete dann das Schiedsrichter-Team den Spielern, was von den Union-Fans mit einem Stöhnen registriert wurde. Trainer Michael Büskens dagegen braucht seine Kicker nun nicht mehr nach vorn zu beordern. Selbst Torwart Giefer eilt in Richtung seines Berliner Artgenossen. Und tatsächlich erwischt Reisinger die Kugel in der 91. Minute das Spielgerät mit dem Kopf. Doch ein genialer Reflex von Haas lenkt die Kugel über die Latte. Noch drei Minuten bis Buffalo, hätte Fontane gesagt. Dann sind auch die rum und Union am rettenden Ufer.
Da stand dann auch einen kurzen Moment der in den letzten 15 Spielminuten eingewechselte Martin Dausch ein wenig abseits seiner jubelnden Kameraden und applaudierte dankend dem Publikum, das heute Abend besonders ihm seine Solidarität zeigte.