Begründung: schwerwiegende Sicherheitsbedenken. Praxistests hätten gezeigt, dass sich das Kühlmittel mit dem klingenden Marketingnamen „Solstice“ („Sonnenwende“) bei einem schweren Crash entzünden könne. Dabei droht hochgiftige Flusssäure zu entstehen, ein extrem heimtückischer Stoff, da er sich bei Hautkontakt bis auf die Knochen durchfressen kann, ohne an der Oberfläche eine Verletzung sichtbar werden zu lassen. Daimler bestätigte damit, wovor das Bundesumweltamt schon 2009 gewarnt hatte.
Das ist der vorläufige Höhepunkt eines Krimis auf dem Automobilmarkt – und wahrscheinlich das Ende des von den Amerikanern mit vielen Winkelzügen am Weltmarkt durchgepeitschten hoch-brisanten Kältemittels.
Es ist eine Geschichte von Geldmacherei ohne Rücksicht auf die Sicherheit und Gesundheit von Menschen, eine Geschichte von Machtgier und Ignoranz in den Spitzenetagen von Industrie, Politik und Verbänden. Am Ende der Geschichte – wenn sie denn gut ausgeht – wird eine ganze Reihe der Akteure aus Wirtschaft, Politik, EU-Bürokratie, Lobbyverbänden und technischen Prüforganisationen mit bekleckertem Image dastehen und einige hundert Millionen Euro Schaden hinterlassen. Wenn die Geschichte schlecht ausgeht, droht ein kleiner Wirtschaftskrieg in der weltweit vernetzten und verbandelten Automobilindustrie.
Die Geschichte beginnt in Brüssel mit der EU-Richtlinie 206/40 EG vom 17. Mai 2006. Die schreibt vor, dass ab 2011 nur noch neue Autotypen zugelassen werden, deren Kältemittel für Klimaanlagen maximal 150mal so umweltschädlich sein darf, wie es das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) ist. Das bedeutet das Aus für das bisherige Kältemittel Tetrafluorethan (R-134a), denn ein Kilogramm davon trägt laut Brüsseler Experten so stark zur Erderwärmung bei wie 1,3 Tonnen CO2. Autoklimaanlagen verlieren nämlich durch Undichtigkeit pro Jahr etwa zehn Prozent ihrer Füllmenge von 600 Gramm. Die deutsche Autoindustrie hatte aber bereits eine Lösung: Sie setzte auf CO2 als Kühlmittel, technische Bezeichnung: R744. Hiesige Zulieferer investierten Millionen Euro in die Forschung und sagten zu, die Anlagen bis 2011 zu liefern. Der Vorteil: Kohlendioxid als Kühlmittel ist umweltneutral und ohne gesundheitliche Gefahren. Der Nachteil: Neue Kühlaggregate werden erforderlich, die auf den hohen Druck von 200 bar ausgelegt sein müssen. Autokäufer hätten mit bis zu 300 Euro Mehrkosten pro Klimaanlage zu rechnen gehabt.
Das Bundesumweltamt setzte ebenso auf diese neue Technik wie zunächst auch der Verband der Automobilindustrie (VDA). Dessen Präsident Matthias Wissmann verkündete 2007 stolz auf der Frankfurter IAA, ganz auf Kohlendioxid als umweltfreundliches Kühlmittel zu setzen. Der Weg in Richtung klimafreundlichere Autoklimatisierung schien klar.
Aber dann kam doch erst mal alles anders
Der US-Multi Honeywell hatte sich Anfang 2008 sein Kältemittel R1234yf patentieren lassen und lockte die amerikanischen Autohersteller Ford und GM mit scheinbaren Vorteilen: Das neue Kühlmittel erfordere eine nur geringfügige Änderung der Klimaanlagentechnik, sei also für die Autohersteller kostenneutral. Ein attraktives Versprechen, zumal zu einer Zeit, da die US-Auto-hersteller gerade ums Überleben kämpften. Den Nachteil hätten die Verbraucher: Honeywell und der US-Chemieriese DuPont haben auf ihr gemeinsam entwickeltes Patent ein Monopol und können die Preise diktieren. Für eine Klimaanlagenfüllung Kältemittel, die bisher 15 Euro kostete, würden mit dem neuen Produkt mehr als 200 Euro fällig.
Durchgepeitscht
Ford und GM entschieden sich schnell für die nach ihrer Ansicht wirtschaftlichere Lösung. Dann folgten wie in einer Kettenreaktion Japaner und Südkoreaner, und auch die europäische Her-stellervereinigung ACEA rückte schnell von der deutschen CO2-Lösung ab. Schließlich knickte im Mai 2009 auch der VDA ein, und die EU empfahl das neue Kältemittel. Laut VDA soll ein Gutachten des TÜV Süd die Ungefährlichkeit von R1234yf bestätigt haben. Doch Details dieses Gutachtens wurden nie veröffentlicht. Der VDA zeigte sich auf einmal knochenhart: R1234yf sei ebenso sicher wie das bisherige Kältemittel.
Da half es auch nichts, dass eine von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) bei der Bundesanstalt für Materialprüfung in Auftrag gegebene Untersuchung die leichte Entflammbarkeit und Freisetzung der hochgiftigen Flusssäure bestätigte. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch das Umweltbundesamt mit einer Anfang 2010 vorgelegten Studie. Daraufhin versuchte die Linkspartei im Bundestag die Notbremse zu ziehen und die Einführung des gefährlichen Kältemittels zu verhindern. Die Mehrheit von Union und FDP lehnte den Antrag mit ihrer Mehrheit jedoch ab. Ganz unverblümt gab ein CDU-Abgeordneter zu Protokoll: „Natürlich betreiben wir Klientelpolitik.“
Auch in den USA gab die Umweltbehörde EPA im Januar 2011 dem Druck der Honeywell-Lobby nach und erteilte ihren Segen, sprich: die Zulassung.
Gegenwind
Die deutsche Autoindustrie bekam unterdessen kalte Füße und wollte angesichts der Debatte um die Sicherheit und die höheren Kosten für die Verbraucher nicht sagen, welche ihrer Neuwagen mit dem neuen Kühlmittel ausgerüstet würden. Da solle man beim VDA nachfragen, hieß es aus den Konzernen. Gleichzeitig drückten sie sich mit einem Trick um die Einführung des Gift-Kältemittels: Sie beantragten bereits 2010 die Typenzulassung für Modelle, die eigentlich erst 2012 auf den Markt kommen sollten, darunter so prominente wie der neue Golf und der Audi A3. Nur die Japaner und die Südkoreaner liefern bereits ihre Neumodelle mit dem neuen Kältemittel aus.
Doch seit Anfang 2012 spürt Honeywell massiven Gegenwind: China, wo das große Werk zur weltweiten Herstellung von R1234yf gebaut wurde, verweigert aus Sicherheitsgründen die Inbe-triebnahme. Mit dem Effekt, dass zur Zeit nicht genügend von dem neuen Kältemittel vorhanden ist. Die EU hat deshalb die Verpflichtung zur Einführung bis Ende 2012 ausgesetzt. Auch von anderer Seite kommt die US-amerikanische Chemieindustrie unter Druck: Die Kartellbehörden haben gegen Honeywell und DuPont ein Verfahren wegen des Verdachts auf Betrug bei der Anmeldung des Patents eröffnet.
Überrascht
Unterdessen zeigt sich Honeywell irritiert über Daimlers Rückzieher. Ein Unternehmenssprecher erklärte gegenüber Medien: „Wir waren überrascht, als wir von den Mercedes-Benz-Tests erfahren haben. Die Tests sind ohne den bisher üblichen und kooperativen Ansatz durchgeführt worden.“
Überrascht dürfte auch die gesamte Autobranche sein: Die Lieferung von Autos mit dem neuen Kühlmittel droht das Geschäft zu verderben. Das alte Kühlmittel kann nicht auf längere Dauer bei neuen Modellen verwendet werden, und die Entwicklung und Fertigung von klimafreundlicheren CO2-Klimaanlagen sind binnen Jahresfrist wohl kaum zu stemmen, weil dabei ganz erhebliche Umbauarbeiten unter der Motorhaube fällig sein werden.
Der Klimaschutz und die Verbraucherinteressen lassen solche Macht- und Profitrangeleien nicht mehr zu. Der Aufstand gegen Honeywells kalte Diktatur kommt spät, aber er kommt nicht zu spät.
kb