Die etwa 1 400 feierten ihr Mannschaft ausgelassen und betonten, dass sie nun die Nummer eins in Berlin seien. Die 15 350 Unioner, die in der mit 16 750 Zuschauern ausverkauften Stadion-Baustelle an der Alten Försterei naturgemäß die Überzahl hatten, ließen sich wie gewöhnlich wenig Frust anmerken. Sie feierten allein schon aus Prinzip ihre Kicker, zumal diese den Gästen einen mindestens gleichwertigen Kampf geboten hatten. Und schließlich gibt es ja noch ein Rückspiel in dieser Saison.
Eine gute Nachricht gab es ansonsten aus Sicht der Polizei. Bis auf wenige kleinere Rangeleien vor dem Spiel schien es kaum Grund zum Eingreifen gegeben haben. Auf dem Weg zum Stadion sollen Fans in S-Bahnen ab und an die Notbremsen gezogen haben und vor dem Köpenicker Stadion brannten ein paar hitzige Herthaner einige Bengalos ab, was die Beamten mit hochauflösenden Videogeräten dokumentierten. Im Stadion gab es lediglich Choreografien der Fangruppen, wobei hier die Unioner deutlich mehr Fantasie zeigten, als die Gäste, die sich mit blau-weiße Tüchern und „Scheiß-Union“-Sprüchen begnügten.
Das Spiel war dann auch derbygemäß mehr Kampf als Kunst. Bereits nach fünf Minuten zückte Schiri Gagelmann die gelbe Karte gegen den jungen Fabian Holland, der den Unioner Simon Terodde unsanft Bekanntschaft mit dem fetten grünen Rasen machen ließ. Wenig später hätte Herthas Innenverteidiger Maik Franz, der bei Schiedsrichtern einen ziemlich schlechten Ruf hat, eigentlich dieselbe Aufmerksamkeit Gagelmanns verdient als er Adam Nemec von hinten in die Füße sprang. Aber vielleicht war das für Franz’ Verhältnisse ein eher sanftes Vergehen, weshalb der Schiedsrichter sich auf einige mahnende Worte beschränkte. Insgesamt ging es heftig weiter zur Sache. Immer wieder flogen Rasenstücke und Spieler durch die vom abnehmenden Mond und den Tiefstrahlern beleuchtete Szenerie. Letztlich waren die Herthaner auch im Kartenspiel mit 4:2 die Sieger. Natürlich durfte sich Franz auch eine abholen, erstaunlicherweise erst in der 90. Minute.
Spielerische Elemente hatten Seltenheitswert an diesem Abend. Eine der ersten entsprang einem leichtsinnigen Ballverlust von Marc Pfercel in der 30. Minute. Ben-Hatira hatte dem rechten Außenverteidiger den Ball abgeluchst und leitete eine schöne Kombination mit Peer Kluge ein, die der mit einem genauen Zuspiel auf Sandro Wagner fortsetzte, der sicher aus 12 Metern den Ball ins Union-Tor beförderte. Torhüter Daniel Haas hatte keinerlei Chance.
Auf die Eisernen Unioner wirkte dieser Treffer wie eine Schockfrostung. Bis dahin hatten sie dem Gegner kaum Raum gelassen, schienen sogar etwas überlegen. Nach dem Rückstand wirkte ihr Spiel nun ratlos und spröde.
Erst mit Beginn der zweiten Halbzeit wurde wieder Druck aufgebaut. Hertha ließ erstaunlich nach. Und ihr Torhüter Sascha Burchert bekam immer mehr zu tun. Bei einem Kopfball von Nemec in der 47. Minute, der haarscharf neben den linken Pfosten ging, wäre er chancenlos gewesen. Ein weiter Kopfball des Slowaken in Uniondiensten fiel auf die Latte und bei Patrick Kohlmanns Durchbruch rettete Burchert mit vollem Einsatz. Dann jedoch, in der 69. Minute, musste er zusehen, wie ausgerechnet der kleinste Unioner, Christopher Quiring, mit einem Flugkopfball den Ausgleich erzielte. Der schnelle Außenstürmer war erst 16 Minuten zuvor eingewechselt worden. Es hätte der Trainer-Glücksgriff des Tages werden können, wenn das 1:1 als Endergebnis Bestand gehabt hätte. Indes war es heute Jos Luhukay, dem Hertha-Coach, vorbehalten, den echten Joker zu ziehen. Unmittelbar nach dem Ausgleich wechselte er den für seine Schusskraft bekannten Brasilianer Ronny ein. Und der bekam drei Minuten später Gelegenheit, seine Stärke zu beweisen. Union – bemüht, dem schwankenden Gegner nun auch noch den entscheidenden Treffer zu versetzen – lief voll in die Falle. Ein schneller Konter ließ Ramos in die Schnittstelle zwischen Christian Stuff und Fabian Schönheim sprinten. Schönheim konnte nur noch mit einem Foul den Hertha-Stürmer am Torschuss hindern. 19 Meter fast zentral vor dem Union-Tor bekam Ronny nun seinen Freistoß. Idealer geht es kaum. Der Balltreter nahm einen langen Anlauf und drosch die Kugel humorlos durch die schlecht gestellte Mauer beinahe direkt auf den Torhüter. Haas tauchte zwar ab und bekam die Hand an den Ball, der indes hatte eine solche Wucht, dass er hoch ins Netz prallte. Nicht gerade ein glücklicher Moment für den Torwart. Dafür umso mehr für den Schützen. Zumal die Unioner in der verbleibenden Viertelstunde es nicht mehr schafften, erneut auszugleichen. Die beste Gelegenheit – ein gut getretener Freistoß von Torsten Mattuschka – machte Burchert mit einer glänzenden Parade in Minute 79 zunichte.
Wieder einmal zeigt sich, dass Union vor allem an mangelnder Verwertung von Torchancen sowie an leichtfertigen Fehlern in der Abwehr scheitert. So schmerzt die Niederlage besonders „denn sie war auch überflüssig“, meinte Unions Trainer Uwe Neuhaus. “Unmittelbar nach dem Ausgleich will der Einzelne zu viel. Wir haben heißes Herz gezeigt, aber keinen kühlen Kopf." Herthas Coach Jos Luhukay dagegen freut sich dank der nun verbesserten Tabellenposition. Mit Rang sechs sei der Anschluss nach oben geschafft.
Union hängt weiter punktgleich mi dem Vorletzten Köln auf dem drittletzten Platz fest. Trotz der Niederlage kommt an der Wuhlheide jedoch keine Panik auf. Das Saisonziel Rang fünf bis sieben sieht Neuhaus immer noch machbar: „Wir müssen das nächsten Spiel gewinnen und dann das folgende und so weiter…“ Vor dem nächsten Spiel in Ingolstadt liegt erst einmal eine Pause von zwei Wochen. Zeit, sich zu sammeln, die Köpfe zu kühlen und einige Wunden zu lecken.