Die »Investoren« diktieren die Konditionen, und die überschuldeten Länder zappeln an der langen Leine der Gläubigerländer und der Banken. Der drohende Staatsbankrott Griechenlands war scheinbar der Auslöser, nun droht wie im Dominospiel ein Schuldnerland nach dem anderen zu kippen.
Die Filmemacher Stephan Lamby und Michael Wech waren mit der Kamera dabei und »begleiteten« Spitzenpolitiker wie Jean-Claude Juncker (Luxemburg), Wolfgang Schäuble (Deutschland) Georgios Papandreou (Griechenland), Mario Monti (Italien) sowie Josef Ackermann (Deutsche Bank). Französische Politiker wie Nicolas Zarkozy und seine Minister ließen sich nicht befragen und die Briten hat gar keiner gefragt. Von ihren Kronzeugen bekommen die Interviewer manche Wahrheit zu hören, aber einen anderen Ausweg aus der Krise als Stützungsfonds zu Lasten ihrer Steuerzahler und Sozialkahlschlag in den betroffenen Ländern weiß keiner oder will keiner wissen, zum Beispiel Entlassung aus der Eurozone.
Die Autoren liefern in ihrem Dokumentarfilm »Der Domino-Effekt: Kippt der Euro?« eine interessante Chronik des letzten halben Jahres, von einer Analyse oder von Schlüssen, wie es das ARTE-Programmheft verspricht, sind sie weit entfernt. Es ist reine Satire: kaum ist eine (Schein-) Lösung gefunden, wird sie wieder ausgehebelt durch Manöver des Finanzmarkts, durch Quertreibereien (FDP!) oder am Ende durch die Weigerung der britischen Regierung, sich von Brüssel respektive von Berlin ihre Finanz- und Haushaltspolitik vorschreiben und ihre nationale Souveränität beschneiden zu lassen.
Es hagelt nur so an Vorwürfen an Griechenland (die haben die Statistik geschönt, die haben zu hohe Sozialausgaben, zu viele öffentlich Beschäftigte usw.), aber der Zuschauer bekommt auch gezeigt, wer die Mächtigen und wer die Abhängigen sind.
Sehr wohl macht der Film gewollt oder ungewollt realistische Aussagen. Wenn zum Beispiel Josef Ackermann in der Nacht vor der Entscheidung über eine Teilentschuldung Griechenlands dreimal in Moskau angerufen wird, weiß man, wer das letzte Wort hatte. Oder wie der griechische Ministerpräsident von der deutschen Bundeskanzlerin und vom französischen Präsidenten vorgeladen und wegen seines geplanten Referendums »zur Rede gestellt« wird. Sie erklären ihm, welche Erfahrungen mit Volksabstimmungen »Europa« schon hatte. Anschließend ist das Referendum weg und auch Papandreou ist weg. Oder eine kleine Andeutung im Film: Griechenland habe die höchsten Militärausgaben pro Kopf der Bevölkerung in der EU! Man zeigt die Waffen. Gut gemacht, aber kein Wort, wer sie ihnen aufgedrängt und wer nun die Schulden hat.
Den schwarzen Peter zog (im Film) eine Gruppe deutscher Bundestagsabgeordneter, die just zu einem »Arbeitsbesuch« nach Athen kam, als eine neue Zwangsmaßnahme verhängt worden war. Im griechischen Parlament schlug ihnen offene Ablehnung entgegen (die Deutschen!), und sie zogen völlig konsterniert und beleidigt wieder ab.
Gegen Ende des Films gibt es ein paar Ohrfeigen für die deutschen Großmachtpolitiker, von denen Junckers Tadel noch der höflichste ist: »Ein bißchen Bescheidenheit wäre gut«. Es kommt nicht gut an, dass »auf einmal in Europa Deutsch gesprochen wird« (Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag in Leipzig). Dies öffentlich zu machen, ist gute Arbeit.
Der eigentliche Skandal aber bleibt ausgeblendet: dass die Völker der EU-Länder gar nicht mitzureden haben. Dass das Geld für »Rettungsschirme« nicht bei der besitzenden Klasse geholt wird, sondern beim kleinen Steuerzahler oder bei den sozial Bedürftigen. Die versprochenen Ursachen und Konsequenzen bleibt der Film schuldig. Ob der Euro kippt, bleibt offen.
Von den Filmen des Themenabends »Europas Krise: zerbricht die Union am Euro?« wurde der Presse der hier geschilderte Film gezeigt. Man darf gespannt sein, ob man nach dem Europamagazin »Yourope« und einer abschließenden Debatte von »Experten« klüger ist.
Der Domino-Effekt: Kippt der Euro? Dokumentarfilm von Stephan Lamby und Michael Wech, Deutschland 2012, 90 min, ARTE/ZDF, Erstausstrahlung Dienstag, 17. Januar, um 20.15 Uhr, ARTE