Eine Schranktür wird aufgestoßen, im Inneren liegt der Kopf einer Person. Die Kamera schwenkt und auch die Stimme aus dem Off redet weiter: „”¦.um besser zu sehen, schalte ich das Licht ein und nun sehe mich, der sich im Spiegel sieht!“
Brasch ist kein klassischer Dokumentarfilm über einen Dichter und Dramatiker. Viel mehr es ist ein experimentelles Porträt über einen unangepassten Denker. Thomas Brasch spielt in diesem Doku-Stück die Hauptrolle. Er steht im Vordergrund, ob verbal oder nonverbal. Ob vor oder wie oben beschrieben hinter der Kamera. Brasch ist Künstler und Kunst zugleich. Er setzt die Themen, präsentiert Erkenntnisse und existenzielle Einsichten am laufenden Meter, setzt Pausen und macht dem Zuschauer Dampf. In Brasch ist Brasch selbst das Programm und Christoph Rüter geht eben jenem nach. Mal mit gehörigem Abstand, mal in freundschaftlicher Nähe. Anfangs muss sich das Auge noch zwingen, den verwackelten, teils stark überbelichteten DV-Bilder zu folgen. Doch je länger der Film geht, desto klarer wird das Bild des Porträtierten, der soviel Raum für sich und seine Ideen einnimmt, dass für kleinbürgerliches Ästhetik-Klimbim einfach kein Platz mehr bleiben kann.
Auch der Lebensweg von Thomas Brasch ist alles andere als konventionell. Brasch wird am 19. Februar 1945 in Westow/Yorkshire als Sohn jüdischer Emigranten geboren. Zwei Jahre später zieht die Familie in die sowjetische Besatzungszone. Vater Horst Brasch arbeitet als Zeitungsredakteur, so auch für die „Junge Welt“. Der überzeugte Kommunist steigt schnell auf und schafft es bis ins Amt des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR. Der kleine Thomas besucht indes eine Kadettenschule. Nach dem Abitur arbeitete er als Schlosser. Ab 1964 studiert er Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Immer wieder eckt er dabei mit seinen Positionen an und wird schließlich wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ exmatrikuliert. Thomas Brasch schreibt und schlägt sich als Kellner und Straßenbauarbeiter durch. Sein Programm „Seht auf dieses Land“, inszeniert an der Berliner Volksbühne, wird verboten. Ab 1967 absolviert Brasch ein Studium für Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg. 1968 protestiert er gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ÄŒSSR. Brasch wird vom eigenen Vater, den er um Hilfe bitte, angezeigt und der Polizei übergeben. Er kommt vor Gericht und wird zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Jahr später wird er auf Bewährung entlassen. Nun darf er sich in die sozialistische Produktion bewähren, wo er als Fräser beschäftigt wird. Mit Hilfe von Helene Weigel bekommt er einen Job im Brecht-Archiv. Zwischen 1970 und 1976 entstehen mehrere Stücke und Dramen, die aufgrund ihrer eigenwilligen Ästhetik und subtil kritischen Auseinandersetzung mit politischen Themen nicht aufgeführt oder nach kurzer Zeit abgesetzt werden. 1976 unterzeichnet Brasch eine Resolution gegen die Ausbürgerung von Liedermacher Wolf Biermann. Kurz darauf stellt er selbst einen Ausreiseantrag und siedelt, nachdem ihm zum wiederholten Male die Veröffentlichung eigener Texte verweigert wird, gemeinsam mit seiner Freundin Katharina Thalbach West-Berlin um. Seine erste Publikation im Westen, der noch im Osten verfasste Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne schlägt ein wie eine Bombe. Kritiker und Kollegen sind gleichermaßen über den neuen Freidenker in ihren Reihen begeistert. In der Folge wird Brasch mit Preisen und Stipendien förmlich zugeschissen. Dass er auf der Bühne des freien Westens in erster Linie die Rolle des politisch Verfolgten und des vom Vater verratenen DDR-Dissidenten geben darf, ist ihm durchaus bewusst. Verweigern tut er sich dieser Rolle nur teilweise. Geld und Erfolg sind dem Künstler Brasch nicht weniger wichtig, als anderen.
Als die Mauer fällt, fällt auch Braschs Bühne, wie ein Kartenhaus, in sich zusammen. Ostdeutsche Dissidenten sind nicht mehr von Nöten, der Ostblock hat sich selbst zerlegt. Brasch zieht an den Schiffbauerdamm. Hier, im Herzen des wiedervereinigten Berlins gegenüber des Berliner Ensemble will er sich neu erfinden. Doch wer in der Lage ist für eine Wohnung 2.700 DM Miete zu zahlen, hat mit dem, um ihn herum tobenden, Existenzkampf nichts mehr zu tun. Brasch lässt sich treiben, zieht sich in sich zurück und baut sich eine eigene, innere Front auf. Leider kommt ihn der Versuch sich und die eigenen Untiefen bis zum Letzten auszuloten, teuer zu stehen. Sein exzessiver Lebenswandel, diverse versteckte Infarkte und ein, in Folge eines chirurgischen Fehlgriffs, entstandener Herzschaden bringen ihn beinahe um. Die Mediziner geben Brasch nur noch wenige Monate. Etwa zur gleich Zeit setzt Christoph Rüter mit seinem gefilmten Porträt an. Noch ein Mal rappelt sich das Genie Brasch auf. Noch ein Mal schafft er es, seine Stücke und Dramen auf den großen Berliner Bühnen zu platzieren. Den Ruhm aber kann der ewige Rebell nur noch wenige Wochen genießen. Am 3. November 2001 stirbt Thomas Brasch an Herzversagen.
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BRASCH – das Wünschen und das Fürchten
ein Film von Christoph Rüter,
Deutschland 2011
Im Verleih bei Neue Visionen
Kinostart: 03.11.2011