Berlin, BRD (Weltexpress). In der Nacht zum 1. Februar 1968, während des traditionellen Tet-Festes, setzte im Befreiungskampf im Süden Vietnams mit der so genannten Tet-Offensive die strategische Wende ein, die im April 1975 zum Sieg über die USA-Aggressoren führte. Unter den angegriffenen Positionen befanden sich 43 Kreis- und Provinzhauptstädte, Hunderte kleinere von amerikanischen oder südvietnamesischen Truppen besetzte Ortschaften sowie 20 Stützpunkte und Luftwaffenbasen, darunter die größten wie Bien Hoa, Da Nang, und Pleiku, die wochenlang im Feuer von Raketen und Granaten der Angreifer lagen.

Westliche Presseberichterstatter räumten ein, dass Kampfhandlungen dieses Ausmaßes nur mit Unterstützung der Bevölkerung möglich waren und es in vielen Städten zu regelrechten Erhebungen, darunter in Hue und Saigon, kam. In Hue fanden über vier Wochen lang erbitterte Straßenkämpfe statt, wehte die Fahne der Front National de Liberation (FNL), der führenden Kraft der Befreiungskämpfer, auf der Zitadelle der alten Kaiserstadt, ehe es der 1. amerikanischen Luftlandedivision und Marines gelang, die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Die FNL zog sich schließlich zurück, um weitere Verluste zu vermeiden. Denn dort, wo sie sich festgesetzt hatte, bombardierte die US-Air Force ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung die Stadt. Auf den angegriffenen Luftwaffenstützpunkten zerstörte die FNL über 100 Flugzeuge und machte die meisten Startbahnen unbrauchbar.

In Saigon griffen die FNL-Truppen das Hauptquartier General Westmorelands, den Generalstab der Marionettenarmee, den Präsidentenpalast und die Polizeizentrale an. Ein Stoßtrupp von 19 Kämpfern drang in den schwer bewachten Sitz des US-Statthalters, das „Weiße Haus von Saigon“, wie die amerikanische Botschaft genannt wurde, ein und schlug sechs Stunden die Angriffe Hunderter Marines und Special Force zurück. Den meisten Kämpfern gelang es, unterstützt von Einheiten vor der Botschaft, sich zurück zu ziehen. Bei einem Angriff auf den Saigoner Flugplatz Tan Son Nhut wurden 20 Flugzeuge zerstört. Die Straßenkämpfe in Saigon dauerten noch monatelang an. In den Städten, aus denen sich die FNL nach den Kämpfen zurück zog, blieben gefestigte oder neue Stützpunkte des Widerstandes zurück. War der Kampf bis dahin vor allem auf dem Lande geführt worden, so trug ihn die Tet-Offensive in die Städte, aus denen er nicht mehr verdrängt werden konnte.

Eine Schlacht bis dahin ohnegleichen fand um den schwer befestigten US-Stützpunkt Khe Sanh statt. Er lag auf der Hochebene im nördlichen Teil Südvietnams an der Straße Nr. 9 etwa 50 km südlich der Demarkationslinie am Ben Hai und 30 Kilometer von der laotischen Grenze entfernt. Seine Besatzung zählte 6.000 amerikanische Soldaten und Offiziere, von denen ein großer Teil während einer 170 Tage dauernden Belagerung vernichtet wurde. Nachdem Khe Sanh nur noch aus der Luft versorgt werden konnte, evakuierte das USA-Oberkommando seine restliche Besatzung.

Die Planung der Tet-Offensive schloss von Anfang an ein, dass die eingenommenen Städte, Stützpunkte und Stellungen des Gegners nach einer gewissen Zeit wieder aufgegeben werden mussten. Das als Niederlage der FNL zu bezeichnen, ging an der Realität vorbei. Es handelte sich im Gegenteil um die schwerste militärische Niederlage, welche die Amerikaner bis dahin erlitten. Davon zeugte auch, dass die Befreiungsarme im Verlaufe der Tet-Offensive Saigoner Truppen in einer Stärke von rund 200.000 Mann vernichtete oder außer Gefecht setzte, 1.300 Panzer und SPW sowie 90 Kriegsschiffe und Kampfboote auf Flüssen zerstörte oder schwer beschädigte. In 14 Stützpunkten kapitulierten die südvietnamesischen Besatzungen. Tausende Soldaten liefen zu den Befreiungskämpfern über, ebenso viele desertierten. Bei den Amerikanern verlor die 173. Luftlandebrigade zwei Drittel ihrer Soldaten. Eine Luftkavallerie- und zwei Infanteriedivisionen erlitten schwere Verluste.

Die erfolgreiche Tet-Offensive stellte für das Pentagon auch eine öffentliche Blamage dar. Es hatte immer wieder verkündet, die FNL sei militärisch erledigt. Heeresgeneralstabschef Harold Johnson hatte gegenüber UPI am 22. August 1967 von „Fortschritten bei der Ausschaltung des Vietcong“ gesprochen. Erich Wulff schilderte aus seinem südvietnamesischen Alltag, dass derartiger „Optimismus“ „über den baldigen Zusammenbruch des Gegners“ periodisch verbreitet wurde: „Seine Streitkräfte bestünden zum großen Teil nur noch aus Frauen und Kindern; sie hätten nichts mehr zu essen, seien von den ständigen Bombenangriffen völlig demoralisiert; nur noch durch Terror brächten sie ihre Soldaten zum kämpfen.“1

Auch die Niederlage während der Tet-Offensive hielt das US-Oberkommando in Saigon nicht davon ab, nach dem die Kämpfe im Mai – von Khe Sanh abgesehen – zum Erliegen gekommen waren, erneut Zweckoptimismus zu verbreiten und „einen vollkommenen Sieg“ zu verkünden. Die Lage sei wieder „völlig unter Kontrolle“, dem „Viet Cong“ eine „schwere Niederlage“ beigebracht worden. Davon blieb nichts, aber auch gar nichts übrig, als die FNL im Mai/Juni zu einer zweiten Offensive antrat. Sie griff gleichzeitig erneut über 120 Zentren des Gegners an. Einen Schwerpunkt bildete das Mekong-Delta, wo in 16 Provinzen Kämpfe stattfanden. Auch in Saigon kam es wieder zu schweren Gefechten. Westlich von Hue erlitten die Amerikaner und ihre Saigoner Söldner im A-Shau-Tal große Verluste. Insgesamt wurden 30.000 Mann außer Gefecht gesetzt, etwa 1.000 Flugzeuge abgeschossen oder am Boden zerstört, der Gegner verlor 2.200 Militärfahrzeuge, über 100 Treibstofflager oder Munitionsdepots wurden gesprengt.

Diese zweite Offensive verdeutlichte ein weiteres Mal, dass die Amerikaner die strategische Initiative verloren hatten. Zwar fanden um viele befreite Dörfer in der Ebene weiterhin Kämpfe statt, aber die FNL bestimmte von nun an die Orte größerer militärischer Auseinandersetzungen. Gleichzeitig kombinierte sie die militärische Auseinandersetzung mit ihrem politischen Auftreten und ihren diplomatischen Aktivitäten auf internationaler Ebene. Ausdruck ihres herausragenden Erfolges war, dass sie von den USA nach diesen glänzenden militärischen Siegen in Paris ab November 1968 als gleichberechtigter Verhandlungspartner zu den Friedensverhandlungen der vier Seiten (DRV/FNL und USA/Saigoner Regierung) akzeptiert werden musste.

Einen weiteren Aufschwung des politischen Kampfes markierte am 8. Juni 1967 die Ausrufung der Republik Südvietnam und die Bildung einer Provisorischen Revolutionären Regierung. Die diplomatische Anerkennung der RSV durch mehr als 20 sozialistische und national befreite Staaten, aber auch blockfreie wie Schweden, erhöhten das Prestige im nationalen und internationalen Rahmen, was ihre Position in Paris stärkte.

Anmerkungen:

1 Erich Wullf, der als westdeutscher Mediziner in Saigon arbeitete und mit der FLN sympathisierte, veröffentlichte unter dem Pseudonym George Alsheimer „Vietnamesische Lehrjahre, Bericht eines Arztes aus Vietnam 1961-1967“, Frankfurt/Main 1968, 1972.

Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema mit seiner Frau „Sieg in Saigon – Erinnerungen an Vietnam“, Pahl Rugenstein Nachf., Bonn 2005, zweite Aufl. 2006, und „Vietnamkrieg“, PapyRossa, Köln 2013, zweite Auflage 2023.

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