Vor 10 Jahren erhielt das frühere DDR-Studio H&S den Willy Haas-Preis – In dem Atelier entstand auch „Piloten im Pyjama“ – Der internationale Bestseller brachte einst ein Lügengebäude der USA zum Einsturz

Pressekonferenz 1968 in Hanoi mit zwei abgeschossenen US-Piloten. Rechts aussen: der damalige DDR-Kriegsreporter Gerhard Feldbauer. © Foto: Irene Feldbauer, Ort und Datum der Aufnahme: Hanoi, 1968

Berlin, BRD (Weltexpress). Vor 10 Jahren, im November 2014. wurden auf dem XI. Internationalen Festival des deutschen Film-Erbes in Hamburg die DEFA-Stiftung und absolut MEDIEN für ihre gemeinsame Edition „Studio H&S. Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Filme 1964-1989“ mit dem für herausragende Buch- und DVD-Editionen vergebenen Willy Haas-Preis ausgezeichnet. Die Jury würdigte die DDR-Filmer Heynowski und Scheumann „als polemische, aber auch vielschichtige Dokumentaristen“, die sich „der großen Konflikte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts annahmen“.

Der größte Konflikt dieser Zeit war der Krieg, den die USA in Vietnam führten, um das Land ihrer Weltherrschaft zu unterwerfen. Nach der Errichtung eines Marionettenregimes im Süden begannen sie im August 1964 einen barbarischen Luftkrieg gegen den Norden der Demokratischen Republik Vietnam (DRV), um den Weg für eine Okkupation frei zu bomben. Im Frühjahr 1967 reisten H&S nach Hanoi und interviewten zehn in Gefangenschaft geratene US-Piloten. Den Filmtitel „Piloten im Pyjama“ wählten die DDR-Filmer nach der gestreiften Gefangenenkleidung, die oft dunkel und hellblau gestreift war.

Bevor auf das Verhalten der Piloten eingegangen wird, einige Vorbemerkungen: Bei dem Luftterror der USA gegen Nordvietnam handelte es sich um einen nichterklärten, völkerrechtswidrigen Krieg, mit dem Washington gegen die Haager Landkriegsordnung verstieß. Bereits 1907 verabschiedet, legte sie fest, dass die Eröffnung von Kampfhandlungen „eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muss“. Der USA-Luftaggression ist nichts dergleichen vorausgegangen. Daraus ergab sich, dass die gefangen genommenen Flieger keinen Anspruch auf eine Behandlung gemäß der Genfer Konvention als Kriegsgefangene hatten. Auch wenn die DRV ihnen den Status als Kriegsgefangene nicht zuerkannte, gewährte sie ihnen eine Behandlung, die voll den Ansprüchen der Konvention entsprach.

H&S waren die ersten ausländischen Filmleute, welche die Gelegenheit erhielten, ein Lager gefangener Piloten zu besuchen und eine größere Gruppe von Fliegern zu befragen. Die Dienstgrade bewegten sich zwischen Oberleutnant und Oberst. Letztgenannten Rang begleitete ein Robinson Risner, der sich im Koreakrieg besonders hervorgetan hatte und eine der höchsten Dekorierungen, das „Distinguished Flying Gross“ (Außerordentliche Fliegerkreuz), erhalten hatte. Es handelte sich um Piloten im Alter zwischen 25 und 42 Jahren, darunter solche, die sich schon längere Zeit in Gefangenschaft befanden, andere, die erst wenige Tage zuvor abgeschossen worden waren.

Für die Gespräche der Autoren waren 12 Piloten angesprochen worden, die aus neun verschiedenen Lagern stammten. Lediglich zwei lehnten ab. Bei einem der beiden handelte es sich um den Korvettenkapitän Robert H. Shumaker, der später zur Astronautentruppe der USA gehörte. Mit seiner Ablehnung demonstrierte Shumaker indessen nicht besondere moralische Standhaftigkeit, wie man geneigt sein konnte, zu schlussfolgern. Er befürchtete, in einem Gespräch könnte sein Verhalten bei der Gefangennahme zur Sprache kommen. Denn als bewaffnete Bauern sich ihm näherten, hatte er erwartet, getötet zu werden, nun aber nicht seine Waffe gezogen, um sich zur Wehr zu setzen, sondern sich auf die Knie geworfen und um sein Leben gefleht. Entgegen dem Präsidenten-„code“, sich „niemals freiwillig (zu) ergeben“, hatte er, wie alle anderen auch, genau das getan.

H&S sprachen mit dem ersten abgeschossenen Piloten, dem Marineflieger Oberleutnant Everett Alvarez. Mit seiner „Skyhawk“ wurde er bereits am 5. August 1964 abgeschossen, dem Tag, an dem nach der Tongking-Provokation amerikanische Jagdbomber zum ersten Mal die DRV bombardierten. Die Befragung von Alvarez hatte deshalb eine besondere Bedeutung. Pentagon leugnete zunächst Abschüsse über der DRV, vor allem in der Anfangsphase der Luftaggression und erst recht, dass es bereits am ersten Tag Verluste gegeben habe. Nun wurde der betreffende Pilot der Öffentlichkeit vorgezeigt und das Pentagon der Vertuschung der Verluste überführt. Bereits 1966 hatte die DRV das Leugnen Washingtons enthüllt, in dem über 100 dieser Flieger durch die Straßen von Hanoi geführt wurden.

Der „code of conduct“

Wenn ein Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte gefangen genommen wurde, war für ihn laut Weisung des Präsidenten und Obersten Befehlshabers der US-Streitkräfte der „code of conduct“, übersetzt Verhaltenskodex, die Richtlinie seiner Handlungsweise. Für den Fall, dass er in „Feindesland“ in eine „missliche“ Lage geriet, führte er ein beschriftetes sogenanntes Überlebenstüchlein bei sich, das ihm die Aufnahme von Kontakten zu Einwohnern des Landes ermöglichen sollte, um sich ihre Hilfe zu sichern.

Der code of conduct legte fest:

„1. Ich bin ein amerikanischer Kämpfer. Ich diene in den Streitkräften, welche mein Land und unsere Art zu leben, verteidigen. Ich bin bereit, mein Leben zu ihrer Verteidigung zu lassen.

2. Ich werde mich niemals freiwillig ergeben. Wenn ich das Kommando habe, werde ich meine Männer niemals übergeben, solange sie noch Mittel zum Widerstand haben.

3. Wenn ich gefangen genommen werde, werde ich fortfahren, mit allen möglichen Mitteln Widerstand zu leisten. Ich werde jede Anstrengung machen, zu entkommen und anderen beim Entkommen zu helfen. Ich werde weder Parole1 noch besondere Vergünstigen vom Feind annehmen.

4. Wenn ich Kriegsgefangener werde, werde ich meinen Mitgefangenen treu bleiben. Ich werde keine Informationen geben oder an irgendeiner Handlung teilnehmen, die meinen Kameraden schädlich sein könnte. Wenn ich der Älteste bin, werde ich das Kommando übernehmen. Wenn nicht, werde ich den gesetzlichen Befehlen derjenigen gehorsam sein, die über mich gesetzt sind, und werde sie in jeder Weise unterstützen.

5. Wenn mir als Kriegsgefangenem Fragen gestellt werden, bin ich nur verpflichtet, Namen, Rang, Dienstnummer und Geburtsdatum anzugeben. Ich werde es bis zum Äußersten meiner Fähigkeit vermeiden, weitere Fragen zu beantworten. Ich werde keine mündlichen oder schriftlichen Erklärungen abgeben, die gegenüber meinem Land oder seinen Verbündeten unloyal sind oder ihre Sache schädigen.

6. Ich werde niemals vergessen, dass ich ein amerikanischer Kämpfer bin, verantwortlich für meine Handlungen und den Grundsätzen verpflichtet, die mein Land frei machen. Ich werde meinem Gott und den Vereinigten Staaten von Amerika vertrauen.“

Um„mit allen möglichen Mitteln Widerstand zu leisten“, führte jeder Pilot in einer Tasche seiner Kombination rechts in Gürtelhöhe oder am rechten Bein seine persönliche Waffe bei sich, einen 9mm Trommelrevolver Smith & Wesson mit 30 Patronen im Gurt. Zu seiner Überlebensausrüstung gehörten ferner etwa 30 Gegenstände, die in seiner Kombination untergebracht oder an ihr befestigt waren, darunter Schlauchboot, Notsender, Buschmesser mit Säge, Spaten und Beil, Behälter für Notausrüstung, Signalgebungsgerät, Eiserne Ration, Rettungsring, Chemikalien gegen Haifische, Signalkerzen. Medikamente.

Das „Überlebenstüchlein“, zeigte die US-Flagge, darunter ein Hilfsersuchen in Sprachen der Einsatzregion, das Landesbewohnern vorgezeigt werden sollte.Darauf stand in der „Südostasien-, West- und Zentral-Pazifik-Ausgabe“ in 14 verschiedenen im Einsatzgebiet gesprochenen Sprachen folgendes zu lesen:

„Ich bin ein Bürger der USA. Ich spreche ihre Sprache nicht. Durch Missgeschick bin ich gezwungen, bei ihnen Hilfe in Beschaffung von Nahrung, Unterkunft und Schutz zu suchen. Bitte bringen sie mich zu jemanden, der gewillt ist, für meine Sicherheit zu sorgen und mich zu meinen Landsleuten zurückzuführen. Meine Regierung wird sie belohnen.“

Den „code of conduct“ erließ Präsident Dwight D. Eisenhower am 17. August 1955. Den Anlass bildeten für das Pentagon schockierende Erfahrungen aus der Zeit des Koreakrieges. Dort gerieten eine große Zahl amerikanische Soldaten, darunter Piloten der Air Force, in nordkoreanische Gefangenschaft, von denen Tausende „mit dem Feind zusammenarbeiteten“, wie ein Untersuchungsausschuss einschätzte. An dieser „Kollaboration“ beteiligten sich in einem KVDR-Lager etwa 2.400 Gefangene. Aus einem „Report of the Secretary of Defense´s Advisory Committee on Prisoner of Ware”, der erst 1963 erschien, ging hervor, dass insgesamt ein Drittel der Kriegsgefangenen „mit dem Feind kollaboriert“ hatte. Sie seien nicht in der Lage gewesen, moralischen Widerstand zu leisten. Sie schrieben ihren Angehörigen Briefe und baten sie darin, alles zu unternehmen, um einem Friedensabschluss zu beschleunigen. Sie sollten sich an den Kongress wenden, an Abgeordnete und Senatoren, und sie auffordern, „der Schlächterei ein Ende zu machen“. Eine Anzahl der Gefangenen sprach auch über das Radio der Hauptstadt Seoul, die sich zu dieser Zeit in nordkoreanischen Händen befand.

Nach der Rückkehr der Gefangenen in die USA befassten sich Kriegsgerichte mit den Vorfällen. Zu den Anklagepunkten gehörten sogar von Gefangenen abgeschickte verhältnismäßig harmlose Weihnachtsgrüße an die Eltern, die Ehefrau oder die Kinder, weil das im Widerspruch zu den in den USA über die Kommunisten verbreiteten Horrormärchen stand und diese dadurch in ein günstiges Licht gerückt wurden. Die Armeeangehörigen wurden befragt, ob man sie einer „Gehirnwäsche“ unterworfen, in licht- und luftlose Keller gesperrt, sie unzureichende oder schlechte Nahrung erhalten, man sie gefoltert oder geschlagen hatte; ob ihnen Vergünstigungen wie mehr Bewegungsfreiheit oder Frauen versprochen wurden, wenn sie sich den Wünschen der Nordkoreaner fügten. Die Befragten antworteten in allen Fällen mit „Nein“.

Schweigebefehl für den Einmarsch in Nordvietnam

Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des „code of conduct“ hatte das Pentagon bereits seine erste Gruppe Militärberater nach Saigon entsandt, dort begonnen, keine freien Wahlen zuzulassen und eine südvietnamesische Armee unter amerikanischem Kommando aufzubauen, die eines nicht allzu fernen Tages nach Nordvietnam marschieren sollte. Man geht kaum fehl in der Annahme, dass das beim Erlass des „Schweigebefehls“ eine Rolle spielte. Es blieb auch nicht beim bloßen Erlass. Das Pentagon ergriff Maßnahmen, welche die physische und psychische Widerstandskraft seiner Soldaten und Offiziere heben sollte und verschärfte den ohnehin für die US-Armee typisch militaristischen Drill in sadistische Züge annehmender Weise.

Zur Sicherung der Einhaltung des „code of conduct“ brachte das Pentagon etwa sechzig Direktiven, Filme und Broschüren heraus. Ausgehend von Horrorszenen in „kommunistischer Gefangenschaft“ sollten die Materialien den Offizieren und Soldaten einbläuen, den „Schweigebefehl“ auch unter schlimmster Folter einzuhalten. Der Pariser „Match“ und der Hamburger „Stern“ brachten nach dem Beginn der USA-Luftaggression gegen die DRV Wort-Bild-Reportagen über Ausbildungslager in den USA, in denen Soldaten auf das, was sie angeblich in nordvietnamesischer Gefangenschaft erwarte, vorbereitet werden sollten. In einem Text des „Stern“ hieß es: „Sie werden gefoltert und geschlagen. Nachts werden sie immer geweckt, mitten in dem Schlaf, den sie brauchen, um den nächsten Tag zu überleben. In diesem Lager bei Columbus (USA) werden die Soldaten auf das vorbereitet, was ihnen in nordvietnamesischer Gefangenschaft widerfahren kann – auf die Gehirnwäsche und ihre furchtbaren Praktiken. Wenn die Lehrgangsteilnehmer entlassen werden, sind sie, so sagt die Armee, stärker an Leib und Seele. Und bereit für jeden Feind.“

Bei den gegen die DRV eingesetzten Piloten handelte es sich um hochqualifizierte Flieger, die ihre Maschinen ausgezeichnet beherrschten. Viele waren bereits in Korea geflogen und manche sogar im Zweiten Weltkrieg. Wie hielten sie in Gefangenschaft den „code of conduct“ ein? Machten sie von ihrem „Überlebenstüchlein“ Gebrauch? Wie war ihr Leben in den Gefangenenlagern, wie schätzten sie nach der Gefangennahme ihre eigene Verantwortung für die begangenen Kriegsverbrechen ein?

Widerstandslos in Gefangenschaft

Dabei gab es durchaus Situationen, in denen Widerstand abgeschossener Flieger zunächst nicht aussichtslos gewesen wäre. Ein Pilot wurde von einem barfüssigen jungen Mädchen, das der Flieger um mehr als Kopfeslänge überragte, gefangen genommen. In einem anderen Fall ergab sich ein Pilot in einer einsamen Bergregion der Thai zwei Einwohnern, die nur mit einem Buschmesser und einer Armbrust bewaffnet waren. Oberstleutnant Lindberg Hughes sagte, er sei von einer Gruppe von Bauern gefangen genommen worden, von denen nur ein Mann eine Waffe trug. Trotzdem, „ich unternahm keinerlei Versuch, die Sache sozusagen zu Ende zu schießen“. 2

Als die Autoren im Oktober 1967 ihre erste Reportage über die interviewten Flieger brachten, wurde diese von den größten Illustrierten der Welt, darunter „Life“, „Paris Matsch“ und „Stern“ übernommen. Der „Stern“ brachte in Nr. 43/1967 ein Interview mit H&S. Die große amerikanische Fernsehgesellschaft „NBC“ strahlte Filmbilder der „Piloten im Pyjama“ in der Hauptsendezeit des Abends für ein 40-Millionen-Publikum aus. Dem Sonderbeauftragten des USA-Präsidenten für die Gefangenen in Vietnam, Botschafter Averell Harriman, fiel nichts dümmeres ein, als unmittelbar nach Ausstrahlung der Sendung zu erklären, die Zuschauer seien „Zeuge einer großangelegten Fälschung“ geworden. Darin kam die Furcht zum Ausdruck, die im Wachsen begriffene Bewegung gegen den Krieg in Vietnam werde noch mehr bestärkt werden und sich das auf die bereits angeschlagene Moral der Armee auswirken.

Die Heuchelei des Pentagon betraf nicht nur die gefangen genommenen Piloten, sondern auch die, welche beim Absturz ums Leben kamen. Karlheinz Zydorek, Presseattaché an der Botschaft der DDR in Hanoi, befasste sich in einem seiner Hörspiele mit dem authentischen Schicksal eines solchen Piloten. Er ging mit seinem Fallschirm in einem schwer zugänglichen Dschungelgebiet nieder und blieb in den dichten Ästen der Bäume hängen. Er war nicht in der Lage, sich zu befreien. Sein Skelett wurde erst Wochen später gefunden. Zydorek schilderte kein Einzelschicksal. Es gab nicht wenige Piloten, die beim Absturz ums Leben kamen. Sie schafften es nicht mehr, den Schleudersitz auszulösen, verbrannten in ihren Maschinen, stürzten in zu spät geöffneten Fallschirmen zu Tode, verhungerten in undurchdringlichen Dschungeln. Andere landeten weitab von der vietnamesischen Küste im Meer, wo sie auch vom amerikanischen Rettungssystem oft nicht geborgen werden konnten.

Das Lügengebäude des Pentagon

Das Pentagon bezichtigte die DRV der Geheimhaltung der Zahl der toten und lebend abgeschossenen Piloten. Das entsprach mitnichten den Tatsachen. Fakt war, dass die DRV keine offiziellen Angaben dazu veröffentlichte. Jeder Gefangene konnte jedoch seinen Angehörigen schreiben, wovon auch alle Piloten Gebrauch machten. Damit war dem Pentagon die Anzahl bekannt. Aus der Differenz zwischen den Fliegern in den Gefangenenlagern der DRV und der Gesamtzahl der verlorenen Piloten ergab sich die Zahl der Toten. Es war jedoch das Pentagon, das die Zahl seiner toten Piloten geheim hielt. Während die Angehörigen der inhaftierten Flieger aufgefordert wurden, über den Erhalt von Briefen Stillschweigen zu bewahren, wurde behauptet, nur einige der Piloten dürften in Gefangenschaft schreiben, die meisten säßen in „Schweigelagern“. Auch in dieser Hinsicht trugen die Gespräche, die H&S führten, dazu bei, das Lügengebäude des Pentagon zum Einsturz zu bringen.

Die Vertuschung der tatsächlichen eigenen Verluste ergab sich auch aus den Gesprächen mit gefangenen Fliegern, die den zunehmenden Pilotenmangel bestätigten. Oberstleutnant Hughes dazu: „Bei unseren Verlustquoten ist die Nachfrage nach Piloten ständig sehr hoch, und es ist wahr, dass wir jetzt Piloten in die Kanzeln zurückholen, die zuvor auf den Boden versetzt worden waren oder schon eine Zeit lang nichts mehr mit der Fliegerei zu tun gehabt hatten.“

Alle Piloten erklärten schriftlich, dass sie sich freiwillig und ohne Druck zu einem Gespräch bereit erklärt hatten. Es wurde Ihnen mitgeteilt, dass ihre Interviewer aus der DDR kamen und sie ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, dass ihnen der „code of conduct“ verbiete, außer den vier genannten Fragen weitere zu beantworten. Keiner der Interviewten sah einen Grund, sich an den „code“ zu halten. Geschwaderkommandeur Oberst Risner, der bereits in Korea die Niederlage der USA erlebt hatte, dazu: „Ja, ganz sicher. Ich habe die Bestimmungen des Verhaltenskodex gebrochen und andere Dinge, die man mich gelehrt hat, zu achten und zu befolgen. Aber meine Lage hier ist eine, mit der ich nie gerechnet habe, und ich kann sagen, dass ich nicht in der Lage bin, die Dinge zu tun, von denen ich immer dachte, ich könnte und würde sie tun.“ Er bekannte auch, „dass wir zu dem Genfer Abkommen zurückkehren müssen, um das zu regeln, statt Nordvietnam zu bombardieren.“ Militärischen Verrat beging dabei keiner der Offiziere. H&S betonten, dass es nicht darum ging, „unsere Partner zur Aufgabe ihrer Position zu bringen und ihnen ‚Schuldbekenntnisse’ abzuringen. Vielmehr legten wir Wert darauf, dass sich die Piloten so frei wie möglich fühlten: Sie sollten ‚aus sich herausgehen’. Wir betrachteten es nicht als unseren Auftrag, durch Rede und Gegenrede zur menschlichen ‚Läuterung’ der Inhaftierten beizutragen.“

Keiner der Piloten hatte sich bei der Gefangennahme zur Wehr gesetzt oder sein „Verhaltenstüchlein“ benutz. Alle erklärten, dass sie keinen Misshandlungen oder irgendwelchem Druck ausgesetzt wurden, sie nach der Gefangennahme, wenn erforderlich, sofort ärztliche Betreuung erhielten, den Umständen entsprechend gut behandelt, ausreichend verpflegt wurden und regelmäßig nach Haus schreiben konnten. Ein Pilot hatte in knapp drei Jahren 20 Briefe geschrieben und selbst 40 empfangen. Zur gesundheitlichen Fürsorge gehörte, dass jeder unter einem Moskitonetz schlief. Ihnen stand allgemeinbildende englischsprachige Literatur, darunter aus Verlagen der USA, zur Verfügung. In den Leseräumen konnten sie amerikanische Zeitschriften lesen und die englischsprachige Sendung des DRV-Radios „Stimme Vietnams“ hören, die für die Piloten zum Beispiel auch die Ergebnisse der Baseball-Ligen der USA mitteilte. Andere Sender zu hören war nicht möglich. Die Gefangenen konnten frei ihre Religion ausüben. Alle Befragten bekannten, dass ihre Behandlung nicht den antikommunistischen Klischees entsprach, die ihnen während ihrer Ausbildung vermittelt wurden. Sie sprachen sich alle mehr oder weniger allgemein für ein baldiges Ende des Krieges aus. Hier ist einzufügen, dass für Medien verschiedener Länder und für Buchpublikationen mehrere Dutzend „Piloten im Pyjama“ Interviews gaben, in denen diese Angaben grundsätzlich bestätigt wurden.

In schockierendem Kontrast zu dem in der Regel hohen Bildungsniveau der Piloten, von denen nicht wenige neben der militärischen Ausbildung Universitätsabschlüsse, darunter in Pädagogik, Geisteswissenschaften oder Internationalen Angelegenheiten, vorzuweisen hatten, war die moralische Haltung zu ihren Einsätzen gegen Nordvietnam. Sie bezogen sich ohne Ausnahme darauf, dass sie bei ihrem „Job“ Befehle ausgeführt hatten, wozu sie ihrem Land gegenüber verpflichtet seien. Sie erhielten für je zehn Luftangriffe eine Verdienstmedaille. Vorher in der Bundesrepublik stationierte Piloten äußerten, dass sie auf Befehl hin bedenkenlos auch Angriffe gegen Ostdeutschland und andere Warschauer Paktstaaten geflogen wären, und zwar auch mit Kernwaffen. Die lockere Gesprächsatmosphäre, die H&S pflegten, verführte den einen oder anderen Piloten auch zu erstaunlicher Offenheit, was die Söldnermoral betraf. Der neunundzwanzigjährige Oberleutnant Edward Le Hubbard äußerte, „ich bin in ungefähr zwanzig Ländern gewesen, seit ich in den Luftstreitkräften diene, und das hat mir sehr viel Spaß gemacht.“

Nachdenken über begangene Verbrechen

Im Ergebnis der Gespräche räumten die Piloten mehr oder weniger ein, dass die Zivilbevölkerung von ihren Luftangriffen schwer betroffen wurde und sie dafür verantwortlich waren. Dazu trug sicher auch bei, dass sie als Gefangene nun auch den Bombardements ihrer Kameraden ausgeliefert waren. Äußerungen von einigen der Interviewten konnten von bestimmten Einsichten zeugen, vom Überdenken der bisherigen Haltung. Der damals 25jährige Hauptmann Shively gab die Meinung der Air Force-Piloten wieder, dass die „Abwehr hier die gewaltigste sei, der sie je begegnet sind.“ Die Vietnamesen bezeichnete er als „sehr entschlossen“, und meinte, es werde „das Land den Sieg davon tragen, das entschlossener ist.“ Zur Bevölkerung der DRV und ihrem sozialistischen System äußerte er, es sei „ihr Recht, die Regierungsart zu wählen, das Gesellschaftssystem und das Wirtschaftssystem, das sie wünscht.“ Seine Meinung zur Behandlung in Gefangenschaft lautete: „Ich dachte, wenn ich am Leben gehalten würde, dass ich wahrscheinlich nicht sehr gut ernährt würde, gerade genug hätte, um am Leben zu bleiben, und das wäre ungefähr alles. Aber im Gegenteil, ich bin sehr gut behandelt worden. Die Verletzungen, die ich mir beim Herausschleudern aus der Maschine zuzog, sind behandelt worden. Ich esse gut, regelmäßig, gute Mahlzeiten, bekomme täglich Zigaretten zugeteilt.“ Gefragt nach dem „warum“ fügte Shively hinzu: „Es ist schwer für mich, zu erklären, warum mich die Menschen gut behandeln, nach dem Schaden und dem Leid, das ich verursacht habe. Ich glaube es ist im Wesentlichen die Großmut des vietnamesischen Volkes und sein Wunsch, dass ich seinen Standpunkt verstehen lerne. Und vielleicht ist das ein Weg für mich, das Leid, das ich verursacht habe, zu begreifen und darüber nachzudenken, und meinen Wunsch zu zeigen, dass mir das vietnamesische Volk vergibt, was ich getan habe.“

Stärker konnte man auf einen Sinneswandel aus Briefen schließen, welche die Hauptleute Torkelson und Abbbot, Oberst Hughes und Oberstleutnant Thorness H&S zur Beförderung per Post an ihre Ehefrauen mitgaben, in die sie Einblick zustimmten. Im Gespräch hatten sie die darin dargelegten Gedanken so nicht geäußert, offensichtlich um keinen Anlass zu liefern, sie später der „Kollaboration mit dem Feind“ anzuklagen, wie es Korea-Gefangenen wiederfuhr. Denn im Grunde genommen bezogen diese Offiziere bestimmte, wenn auch verhaltene Antikriegspositionen und riefen ihre Angehörigen zur Teilnahme an Protestaktionen auf.

Sie bekannten, dass die Zivilbevölkerung durch die Luftangriffe schwer in Mitleidenschaft gezogen wird, die USA die Genfer Abkommen und das Völkerrecht verletzten, dass der Krieg von den USA beendet werden müsste und riefen ihre Angehörigen auf, Abgeordnete und Senatoren ihrer Wahlkreise aufzufordern, sich dafür einzusetzen. Torkelson ging so weit, zu schreiben, „Protestaktionen und Demonstrationen gegen diesen Krieg und Diskussionen mit Menschen über die Grausamkeit dieses Blutvergießen würden dazu beitragen, das Ende des Krieges zu beschleunigen.“

Abbot nannte die Vietnamesen „ein großmütiges Volk mit einer großen Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit für ihr Vaterland.“ Wenn „die Bombenangriffe eingestellt würden, dann könnte sich zweifelsohne ein Weg zum Frieden eröffnen.“ Hughes schrieb „Mein kurzes Zusammentreffen mit Dorfbewohnern nach meinem Absprung aus dem Flugzeug hat mich davon überzeugt, dass diese Menschen gütig sind und als Bauern leben, wie es meine Großeltern taten, als ich noch ein kleiner Junge war. (…) Die Blutverluste nicht nur der Vietnamesen, sondern auch der Amerikaner sind unerhört groß.“ Die Vietnamesen sind „von starken nationalen Gefühlen beseelt und sind unerschütterlich entschlossen, Vietnam zu befreien. (…) Zu welchem Zweck bin ich hier? Etwa meine Familie oder mein Vaterland zu verteidigen? Nein! Bitte, tue also, was Du kannst.“

Es wurde bekannt, dass sich Ehefrauen und weitere Familienangehörige von Armee-Angehörigen an den Aktivitäten der Bewegung gegen den Krieg in Vietnam beteiligten. Senatoren und Abgeordnete wurden in zahlreichen Briefen aufgefordert, entsprechende Schritte zu unternehmen. Einige kamen dem nach. Ob sich Ehefrauen und Angehörige der hier genannten Briefschreiber an solchen Aktivitäten beteiligten, konnte nicht eingeschätzt werden.

Was ist davon geblieben?

Die Aussagen der zuletzt genannten interviewten Piloten scheinen glaubhaft, wenn man sie im Zusammenhang mit der starken Antikriegsbewegung in den USA, darunter in den Streitkräften, und der Tatsache betrachtet, dass sogar Piloten den Start zu Luftangriffen auf die DRV verweigerten.

Trotzdem drängt sich die Frage auf, was aus bestimmten Einsichten, die interviewte Piloten damals äußerten, nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft geworden ist. Dem versuchte der Regisseur Hasso Bräuer 1996 mit seinem Film „Agentengeschichten, die Geschichten von den ‚Piloten im Pyjama’!“ nach zu gehen. Lassen wir den Titel „Agentengeschichten“, mit dem offensichtlich H&S, denen Bräuer „kommunistische Propaganda“ vorgeworfen wird, sie obendrein zu Agenten gestempelt werden sollten, dahin gestellt. Das Ergebnis des Streifens spricht jedenfalls für H&S. Von den zehn Piloten, die sie einst interviewten, treten nur zwei auf und widerrufen: die Oberleutnante Hubbard und Alvarez. Um es vorweg zu nehmen, die beiden gaben erbärmliche Figuren ab. Alvarez, der einst erklärte, freiwillig und ohne Zwang die Fragen beantwortet zu haben, wollte nun dazu gezwungen und geprügelt worden sein. Durch den „code of conduct“ eigentlich verpflichtet, „mit allen möglichen Mitteln Widerstand zu leisten, wollte er, wie er nun sagt, die Vietnamesen nicht noch provozieren!

Hubbard, der damals erklärte, er befürworte „keine Invasion in Nordvietnam“, der bedauerte, „dazu beigetragen“ zu haben, „unschuldige Menschen zu töten“, erklärt nun in zynischer Arroganz: „es war „notwendig, dass wir dort waren“, und „ich würde es wieder genauso machen“. Nichts dazu gelernt.

Ihnen trat in dem Machwerk von Bräuer der inzwischen verstorbene Gerhard Scheumann entgegen, der sich zum Interview stellte und seinen mit Film, seine darin gegen die US-amerikanischen Kriegsverbrechen bezogene Position klar und entschieden verteidigte und ein bewegendes Bekenntnis zum Kampf des vietnamesischen Volkes ablegte.

Der Frage, wie Piloten zu ihren damals in Gefangenschaft bezogenen Positionen später standen, ging auch der Schriftsteller der DDR Harry Thürk nach, der in Hanoi einst einen Majore Steele interviewte. Das Gespräch fand nach einem für den Piloten schockierenden Erlebnis statt. Beim Transport aus dem Gefangenenlager nach Hanoi gerieten Steele und seine Bewacher an einem späten Nachmittag in einen Luftangriff und sprangen in die bekannten Ein-Mann-Deckungslöcher. In der Betonröhre, in die der Amerikaner sprang, befand sich bereits eine ältere Vietnamesin. Die zierliche Frau war schon am frühen Morgen, von zahlreichen Splittern einer Rakete tödlich getroffen, auf dem Boden des Deckungsloches zusammengesunken und so nicht bemerkt worden. Steele sprang auf den blutigen toten Körper der Frau. Harry Thürk traf den Piloten jedenfalls in einem Zustand des Schocks und der Vorfall führte wohl bei ihm erstmals zu tiefergehenden Gedanken, darüber, was er und seinesgleichen den Nordvietnamesen antaten. Steele, den bis dahin nichts von seiner Haltung, er habe weiter nichts getan, „als dem Ruf seines Vaterlandes zu folgen“ abgebracht hatte, erschütterte das einzelne Schicksal dieser ermordeten Frau jedenfalls so sehr, dass Thürk ihn weinend antraf. „Ich habe gegen sie Krieg geführt, ich hätte das nicht tun dürfen“, brach es aus dem Gefangenen heraus, der das als eine Erfahrung sah, „die sich einbrennt in die Seele“.

Thürk berichtete über die Begegnung erst 1996.3 Drei Jahre später hatte die Bekanntschaft für ihn einen Epilog. Im Frühsommer 1999 bat Steeles Sohn um einen Besuch bei ihm in Weimar. Vor der Tür stand ein junger Mann in der Uniform eines Air Force-Offiziers, der inzwischen in den Fußtapfen des Vaters flog und seine Bomben über Belgrad ablud. Er startete von einer Basis in der Pfalz, wo einst auch sein Vater stationiert war, bevor er nach Vietnam ging, um „dem Ruf seines Vaterlandes zu folgen“. Die Argumente des Sohnes ähnelten denen, die der Vater einst gebrauchte, um seine Terrorangriffe auf Nordvietnam zu rechtfertigen. Thürk schreibt, dass Steele Junior davon sprach, dass er die „Bomben aus absolut guter Absicht abwerfe“, er „viel von der Verletzung der Menschenrechte und Vertreibung“ und von der (durch Bomben zu beseitigenden) „Terrordiktatur gesprochen“ habe. Der Pilot sei „ziemlich nachdenklich“ geworden, als er ihm aufzeigte, dass er es ist, der sich, wie einst der Vater in Vietnam, an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Unabhängigkeit der Völker beteiligt und für die Ziele eines Weltgendarmen Bomben abwirft. 4

Mehr ist darüber nicht bekannt geworden. Natürlich kann man die Väter nicht für das Tun ihrer Söhne verantwortlich machen. Vater Steele nicht dafür, dass es ihm möglicherweise nicht gelang, den Sohn vor seinem Schicksal zu bewahren. Vielleicht teilt er bezüglich Jugoslawien aber auch die Meinung des Sohnes.

Anmerkungen:

1 Aus dem Englischen im Sinne von Haftentlassung, Strafaussetzung

2 Es handelt sich um das Buch zum gleichnamigen Film, das 1968 erschien. Die folgenden Ausführungen stützen sich, wenn keine anderen Quellen angeführt werden, auf dieses Buch.

3 H. Thürk, Goldener Traum Jugend, Berlin 1996, S. 86-106.

4 Ders. Ein offenes Wort, Berlin 2000, S. 4ff.

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