Berlin, BRD (Weltexpress). Vor 80 Jahren fand in Italien in Marzabotto eines der bestialischsten Verbrechen des Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht statt. Am 28. September fiel die Aufklärungsabteilung der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ unter dem Kommando von Obersturmbannführer Reder mit Wehrmachtseinheiten und ihren Mussolini-Vasallen in die Gemeinde in der Toskana nahe Bologna ein und brachte bis zum 5. Oktober 1836 Menschen, alle Zivilisten, darunter viele Kinder und alte Menschen um. 1 Wie wenige Überlebende später berichteten, wurden auf dem Friedhof 147 Personen, darunter 50 Kinder zusammengetrieben und mit Maschinengewehren niedergemacht. Im Ortsteil Casaglia wurde ein Menschenmenge beim Gottesdienst mit fünf Priestern in der Kirche umgebracht. Die SS-Mörder warfen, wie die Historiker Roberto Battaglia und Giuseppe Garritano in „Breve Storia della Resistenza italiana” (Mailand 1964) schrieben, „Kinder lebend ins Feuer“, brachten „Säuglinge an der Brust ihrer Mütter“ um und „verstümmelten Leichen“, auf den Strassen wurden „Frauen, Greise und Kinder wie Spatzen abgeschossen“.
Marzabotto lag rund 30 Kilometer südlich von Bologna und gehörte zur sogenannten Goten-Linie genannten Verteidigungsstellung der Wehrmacht auf dem Apennin, die den Durchbruch der Alliierten in die Po-Ebene verhindern sollte. In der Gemeinde befand sich keine einziger Partisan. Das Massaker war ein Racheakt gegen die Brigade Stella Rossa“ (Roter Stern) die in dem Gebiet der Wehrmacht schwere Verluste zufügte. Am 10. September hatten Partisanen das Tal von Ossola in Piemont befreit und eine Partisanenrepublik ausgerufen. Zehn Tage später in Friuli eine weitere Partisanenrepublik proklamiert.
Die Partisanentruppen wuchsen zu einer schlagkräftigen, nach regulären militärischen Grundsätzen aufgebauten Armee an. Im November 1943 wurde auf Initiative der IKP ein einheitliches Generalkommando gebildet, dem alle Partisaneneinheiten unterstellt wurden. Es nahm seinen illegalen Sitz in Mailand. Das Kommando verfügte über einen Aufklärungs- und Sicherheitsdienst, eine Militärgerichtsbarkeit und ein Polizeikorps. Danach wuchsen die Partisanenaktionen weiter an, gegen die seit Beginn des Jahres 1944 die Besatzer 15 Divisionen einsetzen mussten. Ein »Sicherheitsbericht« des Wehrmachtskommandos gab im Juni 1944 an, dass im Mai des Jahres 2.035 und im Juni ungefähr 2.200 Partisanenaktionen stattfanden, dabei im Juni 17 Munitionsdepots und 24 Kasernen und Garnisonen des republikanischen Heeres (die faschistischen Hilfstruppen Mussolinis) sowie eine deutsche Kommandantur angegriffen wurden. Darunter fiel der als „kühner Handstreich von Belluno“ bekannt gewordene Überfall der Brigade „Nino Nanetti“ auf das schwer bewachte Wehrmachtsgefängnis der Stadt. Elf Partisanen, sieben davon in deutschen Uniformen und vier in der Rolle von Gefangenen mit Handschellen, überwältigten die Wachmannschaften und befreiten 73 politische Häftlinge. Nach 20 Minuten entkam das Kommando zu seinem Stützpunkt in den Bergen. Um die peinliche Niederlage zu verhüllen, verbreitete die Wehrmachtskommandantur, die Stadt sei von 3.000 Partisanen umzingelt worden, 600 hätten das Gefängnis überfallen. Der Handstreich fand große Zustimmung vor allem unter Jugendlichen, von denen Hunderte danach zu der Brigade in die Berge gingen.
Vom 28. Juli bis 3. August 1944 bildeten Partisanen in der Emilia Romagna um die Ortschaft Montefiorino auf dem strategisch wichtigen 800 Meter hohen Apennin eine befreite Zone von etwa 400 Quadratkilometern, die einen Keil in die deutsche Verteidigungsstellung, die so genannte Gotenlinie, trieb. Das befreite Gebiet verteidigten 8.000 Kämpfer gegen drei deutsche Divisionen, die mit schwerer Artillerie (152-mm- und 88-mm-Geschütze), Panzern und Flammenwerfern in drei Richtungen angriffen. Die Angreifer verloren 2.080 Tote. Bei den Partisanen fielen 250 Kämpfer, 70 wurden verwundet. Bis zum Ende des Befreiungskrieges gelang es den Besatzungstruppen nie, die freie Zone von Montefiorino zurück zu erobern. Insgesamt entstanden im Ergebnis des Befreiungskrieges 20 befreite Gebiete bzw. Partisanenrepubliken, in denen die örtlichen Befreiungskomitees überwiegend mit Kommunisten und Sozialisten an der Spitze die Macht ausübten und antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen einleiteten.
Vom mutigen Kampf der Partisaninnen und Partisanen zeugen unzählige Heldentaten. Giani Nicolò, genannt Gianni, ein Kämpfer der Patriotischen Kampfgruppen (Gruppi di Azione Patriottica – GAP),2 verteidigte sich am 16. Juli 1944 fünf Stunden allein in den Trümmern eines Hauses gegen rund Einhundert deutsche und italienische Faschisten, Als er keine Munition mehr hatte, warf er mit Steinen und fiel mit dem Ruf „Mörder! Verräter des italienischen Volkes! Meine Genossen werden mich rächen“. Die GAP waren regionale, vor allem in den Städten operierende kleine Kampfgruppen, die oft nur 3 bis 4 Mitglieder, meist aus Kommunisten oder ihren Sympathisanten bestanden und insgesamt etwa 400.000 Kämpfer zählten. Unter anderem führten sie am 23. März 1944 in Rom den Überfall auf eine deutsche SS-Einheit in der Via Rasella aus, bei dem 32 Mann getötet wurden, ein weiterer Mann starb an seinen Verwundungen. Der SS-Polizeichef von Rom, Herbert Kappler, ließ daraufhin am 24. und 25. März zur Vergeltung in den Ardeatinischen Höhle in einem barbarischen Massaker 335 Geiseln erschießen. Rechte und faschistische Kreise versuchten nach 1945 die Teilnehmer an der Aktion in der Via Rasella als Organisatoren einer illegitimen Operation anzuklagen. Die I. Sektion des Appellationsgerichts von Rom wies die Klage in allen Punkten zurück und stellte fest, dass es sich um eine in »voller Rechtmäßigkeit« durchgeführte »Aktion des Krieges handelte«. In der Begründung, die sich auf die Kriegserklärung der Badoglio-Regierung an Deutschland bezog, hieß es: »Wer, wenn der Krieg erklärt ist, im Interesse der Nation handelt, erfüllt höchste Bürgerpflicht«. Gegen den Widerstand führten in der Salò-Republik Mussolinis (dem nach seinem Sturz im Juli 1943 im Oktober unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht gebildeten Republicca Sociale Italina (RSI) genannten Rumpfitalien mit Sitz in Salo am Gardasee) Wehrmacht, SS, SD, Gestapo und Sicherheitspolizei mit ihren italienischen Erfüllungsgehilfen – den Camice Nére (Schwarzhemden) und der Miliz – einen grausamen und erbarmungslosen Vernichtungskrieg. Wie der westdeutsche Historiker Gerhard Schreiber in „Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, München 1996) festhielt, wurden in der Salò-Republik im statistischen Mittel – ohne die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten einzubeziehen – täglich 165 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters umgebracht.
Zu den zahlreichen Massakern gehörte am 12. August 1944 bereits der Überfall Abteilung von Obersturmbannführer Reder in Sant Anna di Stazzema in der Toskana ,bei dem 560 Einwohner auf dieselbe Weise bestialische ermordet wurden. Zwei Tage später wurde Irma Bandiera, Kurier einer GAP-Gruppe, grausam ermordet. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie gefoltert und, als sie den Stützpunkt ihrer Brigade nicht preisgab, geblendet und dann auf offener Straße erschossen. Unvergessen sind die sieben Brüder der Familie Cervi, die alle im bewaffneten Kampf den Tod fanden.
Anmerkung:
1 Nach einem Bericht der Chronik „I Giorni della Storia d‘ Italia“, Novara 1991, S. 506.