Leipzig, Sachsen; Berlin, BRD (Weltexpress). Während sich Berlin auf das Jubiläum der Maueröffnung am 9. November vor 35 Jahren vorbereitet, lädt die Messe- und Handelsstadt Leipzig ihre Besucher dazu ein, sich der Friedlichen Revolution am 9. Oktober mit einem Lichtfest zu erinnern. Oberbürgermeister Burkhard Jung präsentierte dazu auf einer Pressekonferenz in der Alten Nikolaischule das außergewöhnliche Programm, das in diesem Jahr den gesamten Innenstadtring umfasst. Hier und in der benachbarten Nikolaikirche versammelten sich am 9. Oktober 1989 Tausende zu Friedensgebeten, von hier strömten sie mit den Rufen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“ zum innerstädtischen Ring und reihten sich in den Demonstrationszug von insgesamt 70.000 Menschen ein.
In diesem Jahr werden entlang der ursprünglichen Demonstrationsroute lokale und internationale Künstlerteams über 20 Lichtprojekte zeigen. Mit dabei sind auch die vier Partnerstädte Frankfurt am Main, Lyon, Krakau und Brünn. Kostenfrei werden 20.000 wiederverwendbare Kerzenbecher mit Kerzen an die Besucher ausgegeben.
Zu den ausgewählten Lichtprojekten gehört die originelle Installation der Leipziger Tom Ritschel und Felix Ruffert am Georgiring mit dem Titel: „Der Erste macht das Licht an“. Damit wird auf das geflügelte Wort angespielt, das damals die wachsende Ausreisewelle begleitete: „Der Letzte macht das Licht aus“. Die beiden Künstler setzen dabei die Lautstärke der vorbeiziehenden Lichtfestbesucher durch akustische Kameras in Energie und Farben um. Die Besucher steuern also selbst durch Klatschen, Rufen oder Singen die Klangkunstcollage.
Eine weitere Licht- und Klanginstallation stammt von der Künstlergruppe Fils de Créa aus Lyon. Sie errichten am Wilhelm-Leuschner-Platz einen überdimensionalen Durchgang aus etwa 500 recycelten Lampen und Leuchten. Das „Passage“ genannte Kunstwerk symbolisiert die Grenzen und ihre Öffnung. Noch bis zum 2. Oktober können die Leipziger mit einer Lampenspende zum Gelingen des Projektes beitragen. Ein Mix aus originalen Tonaufnahmen vom 9. Oktober 1989, Soundeffekten und Musik komplettiert die Installation.
Am Beginn des 9. Oktober 2024 in Leipzig steht ein Festakt im Gewandhaus Leipzig mit Reden der politischen Prominenz. Es ist zu wünschen, dass dabei auch die vor 35 Jahren historisch wichtige Rolle des Gewandhauses einen würdigen Platz einnimmt. Denn hier trafen sich Vertreter der DDR-Staatsführung und der Opposition – drei Vertreter der SED-Bezirksleitung, ein Pfarrer, ein Kabarettist und Gewandhaus-Kapellmeister Kurt Masur – und verabschiedeten einen gemeinsam formulierten Aufruf gegen Gewalt.
„Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.“
So heißt es im „Aufruf der Leipziger Sechs“, den Kurt Masur verliest. Über den Stadtfunk wird der Aufruf verbreitet, er ist an allen Straßenbahnhaltestellen, auf den Straßen und Plätzen der Stadt zu hören und wird kurze Zeit später auch in Kirchen verlesen und im Radio ausgestrahlt.
Tatsächlich verläuft die folgende Demonstration an diesem Montagabend erstmals ohne jede Gewaltanwendung. Als die Menschenmassen am Hauptbahnhof vorbeiziehen, ziehen sich die Sicherheitskräfte zurück.
Der 9. Oktober 1989 wird heutzutage im Osten Deutschlands als Schlüsselereignis und als ein Wendepunkt hin zur friedlichen Revolution in der DDR angesehen. Bedeutete der beginnende Dialog doch auch, Probleme im Land überhaupt erstmal anzuerkennen, anstatt den Unmut der Menschen weiter zu ignorieren und totzuschweigen. Die Rolle des in der Bevölkerung hoch angesehenen Dirigenten Kurt Masur kann dabei nicht genug gewürdigt werden.
Die Touristenstadt Leipzig hat für ihre an jüngster deutscher Geschichte interessierten Besucher viele Ansichtsorte zu bieten, an denen die Friedliche Revolution von 1989 erlebbar wird. Überall in der Innenstadt von Leipzig informieren Stelen über die historischen Orte des Jahres 1989. Sie sind Teil des Europäischen Kulturerbes „Eiserner Vorhang“. Dazu gehört auch das Museum „Runde Ecke“ im Gebäude der früheren Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, an dem die Demonstranten direkt vorbeizogen und dort Kerzen auf den Treppen platzierten.
Im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig steht nicht allein die friedliche Revolution und Wiedervereinigung im Mittelpunkt, sondern auch das politische System und der Alltag in der DDR. Es bietet viele interessante Ausstellungsstücke und Einblicke, allerdings findet der aufmerksame Betrachter gerade in der Darstellung des deutsch-deutschen Zusammenwachsens viele Beispiele dafür, dass auch heute, 35 Jahre nach dem Mauerfall, sich der Westen als Norm definiert und den Osten als Abweichung betrachtet. Bestsellerautor Dirk Oschmann wird sich bestätigt fühlen. Die gerade in Gang gesetzte überfällig Debatte über die Dominanz westdeutscher Perspektiven sollte auch in den historischen Museen unseres Landes und gerade im Osten des Landes reflektiert werden. Fakt ist: Die Hoffnungen vieler, die damals die Friedliche Revolution herbeigeführt hatten, wurden bitter enttäuscht. Einer der „Leipziger Sechs“, der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, formulierte das am 14. Juli 2024 in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung so: „Tatsächlich ging die Revolution (…) nur vom 9. Oktober bis zum 9. November 1989. Nach dem Fall der Mauer war das vorbei. … Während wir in Leipzig noch um den Ring gingen, hatten Immobilienhändler aus dem Westen die Häuser am Ring bereits für sich reserviert. Viele Menschen im Osten sind auf der Straße gelandet, auf der sie gerade noch demonstriert hatten.“
In dem Kontext der Ausstellung wäre es auch mehr als angemessen, sich auch der am 4. November 1989 von Theatermachern organisierten Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz zu widmen. Es war im Unterschied zu den Demonstrationen auf dem Leipziger Ring die erste genehmigte nichtstaatliche Demonstration in der DDR. Sie war mit rund einer Million Teilnehmern die größte Demonstration überhaupt in der deutschen Geschichte und hat wohl bei den Machthabern in Ost wie auch in West Erstaunen und Erschrecken hervorgerufen.
Vor dem Gebäude steht die im Jahr 1984 entstandene Plastik des Leipziger Künstlers Wolfgang Mattheuer „Der Jahrhundertschritt“: Ein Meisterwerk, das wie kein anderes die Zerrissenheit unserer Zeit abbildet.
Und noch einen anderen spannenden Jahrestag hält Leipzig parat: Im nächsten Jahr wartet das 500. Jubiläum des Auerbachs Keller. Es ist Leipzigs ältestes durchgängig bewirtschaftetes Lokal und deutschlandweit berühmt. Dafür sorgte schon Goethe, der mit der Szene in Auerbachs Keller seinem Studentenlokal ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Bilder von Goethe, Faust und Mephisto und dem berühmten Fassritt sind in den Gewölben des Auerbachs Keller allgegenwärtig.
Der Eingang zum Auerbachs Keller befindet sich in der Mädler-Passage – einer von rund 40 Passagen und Messehöfen, die das Flair der Leipziger Innenstadt prägen. Ob Steibs Hof, Speck’s Hof, Zentralmessepalast oder Jägerhof – die Bauten beeindrucken mit ihrem architektonischen Anspruch, ihrer Pracht und Monumentalität. Heute finden Besucher in den Passagen und Messehäusern ein stimmungsvolles Ambiente vor, mit Hunderten von Geschäften, Kleinkunstbühnen und einer typisch sächsischen Gastronomie.
Ein weiteres Kunst-Highlight liegt etwas außerhalb des Innenstadtringes und sollte bei keinem Besuch der Messestadt fehlen: Das Panometer. In dem ehemaligen Gasspeicher der Stadtwerke Leipzig, ist noch bis 2025 das monumentale 360-Grad-Panoramabild der „Kathedrale von Monet“ des Künstlers Yadegar Asisi zu bewundern. Inspiriert wurde er durch eine Gemäldeserie von Claude Monet, die den Kathedralplatz von Rouen unter verschiedenen Lichtverhältnissen zeigt.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Dr. Ronald Keusch wurde am 27.8.2024 in Keusch-Reisezeiten erstveröffentlicht.
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