Putin war’s – Warum jede Gelegenheit genutzt wird, sich als Opfer Russlands darzustellen

Wladimir Putin. © Präsididalamt der Rußländischen Föderation, Ort und Datum der Aufnahme: Petersburg, 6.6.2024

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Jetzt soll also ein Brand bei Diehl in Berlin vor einigen Wochen russische Sabotage gewesen sein. Auch wenn das gar kein Rüstungsbetrieb war. Irgendwie scheint es einen ganz dringenden Bedarf für solche Geschichten zu geben. Das riecht nach mehr.

Es ist schon interessant, wenn das Geraune aus „ausländischen Nachrichtendiensten“ einen höheren Stellenwert erhält als das Gutachten der Brandversicherung. So scheint das jedenfalls derzeit in der deutschen Presse bezogen auf den Großbrand im Galvanisierungswerk der Firma Diehl in Berlin der Fall zu sein.

Witzig übrigens, denn Galvanisierung und Rüstungsproduktion, das passt schlecht zusammen. Und der Gutachter kam zu dem Schluss, es habe sich um einen technischen Defekt gehandelt. Aber da ist dieser „ausländische Nachrichtendienst“, und da ist auch eine Veröffentlichung im Wall Street Journal, was ganz nebenbei nahelegt, dass es sich dabei um die CIA handelt. Die natürlich rein gar keine Interessen verfolgt, in Bezug auf Russland, und deshalb aus reinem Edelmut Informationen weiterreicht, die deshalb auch absolut über alle Zweifel erhaben sind.

Roderich Kiesewetter, für seine Friedfertigkeit berüchtigt, musste da natürlich gleich einhaken, und spekulieren, ob das unter die Beistandsklausel des NATO-Vertrags falle. „Russland testet die Grenzen von Artikel 5 aus, um Unsicherheiten zu schüren“, erklärte er, und bezog das dann auch gleich auf die anstehenden Landtagswahlen. Und hängte gleich auch noch „unzählige Cyberangriffe“ an.

Wonach die Welt auch noch gleich einen weiteren CDU-Kriegspolitiker zitiert, Nico Lange, der derzeit seine Brötchen bei der Münchner Sicherheitskonferenz verdient: „Ob bei solchen Angriffen der Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen werden kann, ist eine heikle Frage. Man scheut sich derzeit noch, die Dinge klar zu benennen, weil man fürchtet, dann handeln zu müssen.“

Irgendwie praktisch. Im Verhältnis zu den Ereignissen in der wirklichen Welt. Schließlich lassen sich die von Lange angedeuteten „Konsequenzen“ einfach aufzählen: die Lieferung von Taurus-Raketen und der Einsatz eigener Truppen in der Ukraine, mehr Optionen sind da nicht mehr im Angebot. Oder, um es andersherum zu formulieren, Deutschland hat ohnehin schon seine Eskalationsleiter weitgehend bestiegen. Wenn also jetzt weiter auf der Spionagenummer herumgeritten wird, diese schmerzhaft dünne Suppe wieder und wieder aufgekocht werden muss, dann kann der angestrebte Effekt, auf den Herrschaften wie Kiesewetter schon aus Reflex abzielen, nur in einer dieser beiden Stufen bestehen.

Aber da ist noch etwas anderes, was die Vermutung fördert, dass dieses dünne Süppchen noch deutlich stärker blubbern muss – das ist die russische Reaktion auf den Terrorangriff in Sewastopol. Denn eine Behauptung ist für das ganze deutsche Verhalten bisher zentral: Das ist alles keine Kriegsbeteiligung. Als wäre das ein Punkt, den die Russische Föderation mit dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages klärt, oder bei dem sie erst einige Völkerrechtler befragen würde, die bundesdeutsche Fernsehsender so auf ihren Interviewlisten haben.

Die Wirklichkeit ist jedoch schon seit Längerem genau so: Die Voraussetzungen dafür, das westliche, eingeschlossen das deutsche, Verhalten als Kriegsbeteiligung zu werten, sind schon längst gegeben, was ebenso lang bedeutet, dass die Entscheidung darüber, wann darauf reagiert wird, allein bei Russland liegt. Man kann nicht oft genug betonen, wie dumm ein solcher Schritt ist. Aber das ist weder die erste noch die einzige Dummheit seitens der westlichen Regierungen, eingeschlossen die deutsche.

Allerdings hat diese verschwiegene Tatsache seit Neuestem eine ganz andere Brisanz gewonnen, seit eben auf besagten ATACMS-Angriff in Sewastopol aus Moskau die klare Aussage kam, das sei eine Kriegsbeteiligung der USA. Nicht, dass nicht schon zuvor auch die verschwiegenen NATO-Vertreter gelegentlich mit den von ihnen betreuten Gerätschaften oder in entsprechenden Kommandostellen in der Ukraine Angriffsziele waren.

Aber ohne die von westlichen Stellen gelieferten Aufklärungsdaten wären derartige Angriffe nicht machbar. Doch bisher wurden selbst die ständig herumkreisenden US-Drohnen unangetastet gelassen, weil sie außerhalb des russischen Luftraums über dem Schwarzen Meer unterwegs sind.

Was sich womöglich geändert haben könnte. Und die Tatsache, dass die US-Botschafterin ins russische Außenministerium einbestellt wurde, um ihr mitzuteilen, dass man die USA jetzt als Beteiligten sieht, dürfte auch in Deutschland zumindest ein wenig für Verunsicherung sorgen. Weil sich damit andeutet, dass das Spielchen, noch mit der Hand in der Keksdose die Unschuld zu mimen, bald vorüber sein könnte.

Da wird es dann besonders wichtig, zumindest der eigenen Bevölkerung gegenüber so zu tun, als sei man Opfer, nicht Täter. Eine Kunst, die man in Deutschland spätestens seit 2014 bestens eingeübt hat, als erst mit einem Ultimatum der EU der Maidan-Putsch provoziert und dann auch durch falsche Versprechungen des deutschen Außenministers Steinmeier gewissermaßen am Händchen zum Sieg geführt wurde. Ganz zu schweigen von der Heuchelei der Minsker Vereinbarungen, gekoppelt mit eisernem Schweigen zu den Angriffen auf die Zivilbevölkerung im Donbass. Je aggressiver das eigene Handeln war, je mehr man sich mühte, die Wahrheit über den Zustand der Ukraine und die Wirklichkeit des Bürgerkriegs zu verbergen, desto lauter wurden die Beschwörungen, wie finster doch die russischen Absichten seien.

Man muss sich demnächst also nicht wundern, wenn beliebige Unglücke, Brände und andere Zwischenfälle mit dem beliebten Etikett „Putin war’s“ versehen werden. So wie der Brand im Berliner Galvanisierungsbetrieb von Diehl. Selbst die Verspätung der Deutschen Bahn könnte demnächst zum Ergebnis russischer Sabotage erklärt werden; irgendein Geraune aus Langley wird sich dazu schon auftreiben lassen.

Kiesewetter und seinesgleichen werden jedenfalls immer lauter tönen, das arme unschuldige Deutschland werde ohnehin ständig von Russland angegriffen. Und sie werden mit dieser Begründung die zwei verbliebenen Leitersprossen in den Blick nehmen, während sie alles tun, um einen Krieg zu verlängern, der längst verloren ist. Das geht ja auch gut, wenn man andere bluten lässt. Für den Tag jedenfalls, an dem Russland auch bezogen auf Deutschland die Faxen dicke hätte, müsste die Erzählung schon längst fest etabliert sein, dass man eigentlich nur Opfer ist. Schließlich kann man fast alles dahinter verschwinden lassen, wie Bundeswirtschaftsminister Habeck immer wieder beweist, der auf alle seine katastrophalen Entscheidungen einfach das beliebte Bildchen klebt: „Putin war’s“.

(Eigentlich nur erstaunlich, dass die NATO-treue Opposition noch nicht auf den Gedanken gekommen ist, die ganze Ampelkoalition zu Putins Sabotagetruppe zu erklären; immerhin ist ihre zerstörerische Leistung durchaus beeindruckend.)

Außerdem ist da noch ordentlich was abzuarbeiten; schließlich ist der einzige wahrhaft beeindruckende Akt der Sabotage gegen Deutschland nicht auf der russischen Liste. Um die Folgen der Sprengung von Nord Stream zu erreichen oder gar zu überholen, braucht es noch eine Menge derartiger Vorwürfe. Egal, wie fadenscheinig sie sein mögen. Sonst kommen die Deutschen doch noch auf dumme Gedanken und suchen den Angreifer unter einer ganz anderen Adresse.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn mit dem Titel „Putin war’s – Warum jede Gelegenheit genutzt wird, sich als Opfer Russlands darzustellen“ wurde am 25.6.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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