Karl Marx‘ wissenschaftliches Hauptwerk ist „Das Kapital“. Sein eigenes Kapital war seine Frau Jenny“ – Aus dem Leben einer leidenschaftlichen Sozialistin, die zu Unrecht oft im Schatten des großen Theoretikers steht

"Jenny Marx" von Angelika Limmroth. © Copyright Karl Dietz Verlag Berlin GmbH

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Bei den Recherchen zu den Gestalten der Revolution von 1848/49 bin ich auch auf Karl Marx‘ Frau Jenny gestoßen. Über diese bewundernswerte Frau, die oft im Schatten des großen Theoretikers steht, ist wenig bekannt. Wenn man sich mit ihrem Leben befasst, wird offenbar, dass Karl Marx das von ihm bewältigte ungeheure Pensum an wissenschaftlichen Leistungen ohne ihre Teilnahme nicht hätte vollbringen können. Wer sich näher mit ihrem Leben an der Seite von Karl Marx bekannt machen möchte, dem ist eine im Karl Dietz Verlag Berlin vor 10 Jahren zu ihrem 200. Geburtstag am 12. Februar 2014 herausgebrachte Biografie und Briefe von Jenny von Westfalen, der Ehefrau und Kampfgefährtin von Karl Marx, zu empfehlen. Die Lebensbeschreibung stammt von Angelika Limmroth, die Briefe hat die Autorin mit Rolf Hecker zusammengestellt. Die Autoren haben dazu 329 Briefe aus dem schriftlicher Nachlass ausgewertet: Briefe, Briefentwürfe und –Fragmente, Denksprüche, finanzielle und erbschaftsrechtliche Aufstellungen. Darunter befinden sich neben Briefen von und an Karl Marx und Friedrich Engels als Absender und Empfänger Briefe an bzw. von Joseph Weydemeyer und Louis Kugelmann, Ferdinand Freiligrath, Ferdinand Lassalle, Emma Herwegh, Heinrich Heine, Karl Schapper, Johann Philipp Becker, Wilhelm Liebknecht, um die wichtigsten Partner zu nennen. Etwa 100 Briefe werden erstmals veröffentlicht. Sie geben Einblick in das vertraute Verhältnis einer sich neben der umfangreichen Arbeit an der Seite ihres Mannes um die Kinder und Enkel sorgenden Mutter bzw. Großmutter, die verständnisvoll auf die Entwicklung gebildeter und selbstbewusster Persönlichkeiten einwirkte. 54 Briefe von Jenny Marx an Engels und zwölf von ihm an sie offenbare eine besondere vertraute Beziehung, die zwischen beiden bestand.

Wenn der Titel „Briefe“ und nicht „Briefwechsel“ lautet, dann deshalb, weil nicht alle von Jenny Marx geschriebenen bzw. an sie gerichteten Briefe erfasst werden konnten, da nicht alle überliefert sind. So haben die Töchter Eleanor Marx und Laura Lafargue nach dem Tod ihrer Eltern Briefe, die sie wegen privater Äußerungen oder auch unverblümter Charakterisierung von Freunden und Bekannten, aussortiert und vernichtet. Auch Engels habe, wie Eleanor Marx-Aveling berichtete, eine Menge Briefe, die sich auf ihn bezogen, verbrannt. Wie zu vermuten dürften sich darunter auch die Briefe befunden haben, die sich auf Max‘ unehelichen Sohn bezogen, für den sich Engels als Vater ausgab. Daraus resultiert, dass nur 25 Briefe von Jenny an ihren Ehemann und zwölf von ihm an seine Frau enthalten sind.

In der Biografie wird dem Leser eine eigenwillige und engagierte, kluge und gebildete Frau von außergewöhnlicher Schönheit vor Augen geführt, die in einer zum Beamtenadel gehörenden Familie mit gehobenem Lebensstandard und gesellschaftlichem Ansehen aufgewachsen, sich für das entbehrungsreiche Leben an der Seite eines revolutionären Mannes der Wissenschaft entschied, der nicht nur von der Gesellschaft abgelehnt wurde, sondern auch von ihrer Familie. Der Leser erfährt, dass Jenny von Westfalen, als „Ballkönigin“ der Trierer Gesellschaft Aufsehen erregte, bevor sie ihren Karl kennenlernte, schon einmal verlobt war und auch ehe sie die Persönliche Bekanntschaft von Friedrich Engels machte, Sympathisantin des „Jungen Deutschland“ war, dem der engste Freund von Marx unter dem Namen Friedrich Oswald angehörte.

Mit Leidenschaft und großem Verständnis nahm Jeny an den gewaltigen Arbeiten und Kämpfen ihres Mannes teil. Die Niederlagen in den Revolutionen 1948/49 zwangen beide, Deutschland zu verlassen. Mehrjährigen Aufenthalten in Paris und Brüssel folgen dreißig Jahre in London, das immer Exilort blieb, nie zur Heimat wurde. Gemeinsam mit Marx bewältigte Jenny dass von Geldsorgen, Ausweisungen und Anfeindungen belastete Exilleben. In biterster Armut brachte sie sieben Kinder zur Welt, von denen nur drei Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Sie schrieb die schwierigen Manuskripte ihres Mannes ab, korrespondierte in seinem Namen mit Joseph Weydemeyer, Louis Kugelmann und anderen internationalen Partnern, führte Verhandlungen mit seinen Verlegern, besuchte für ihn politische Versammlungen. Sie wurde zur engagierten Sozialistin der europäischen Arbeiterbewegung und aktive Mitstreiterin des Theoretikers und Begründers ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung, der auf ihr Urteil stets großen Wert legte. „Ohne Jenny von Westfalen“, bekannte ihre Tochter Eleanor Marx-Aveling, „hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war“. Angelika Limmroth verheimlicht nicht, dass diese großartige Frau mit Karl Marx Krisen erlebte und meisterte, darunter auch die Geburt seines außerehelichen Sohnes, was in Marx-Biografien früherer sozialistischer Länder, darunter auch in der DDR, verschwiegen wurde, obwohl gerade diese menschliche Schwäche den großen Klassikers der revolutionären Lehre ihn seinen Anhängern noch näher gebracht hätte. Der Verlag gab der Biografie auf den Weg: Karl Marx‘ wissenschaftliches Hauptwerk ist „Das Kapital“. Sein eigenes Kapital war seine Frau Jenny“.

Bibliographische Angaben:

Herausgeber: Rolf Hecker, Angelika Limmroth, Titel: Jenny Marx. Die Briefe. 608 Seiten, Verlag: Karl Dietz Verlag Berlin GmbH, Berlin 27.1.2014, ISBN: 978-3-320-02297-6, Preis: 39,90 EUR (Deutschland)

Autorin: Angelika Limmroth: Jenny Marx. Die Biographie, 286 Seiten, Bindung: Broschur, Verlag: Karl Dietz Verlag Berlin GmbH, Berlin 2014, ISBN: 978-3-320-02346-1, Preis: 15 EUR (Deutschland)

Herausgeber: Jörn Schütrumpf, Jenny Marx oder: Die Suche nach dem aufrechten Gang, 144 Seiten, Verlag: Karl Dietz Verlag Berlin GmbH, Berlin 23.9.2008, ISBN: 978-3-320-02147-4, Preis: 14 EUR (Deutschland)

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Bildungs- und Studienreisen –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Vorheriger ArtikelStaromajorskoje in der Donezker Volksrepublik befreit
Nächster ArtikelApple stellt iOS 18 mit aktualisierten und neuen Funktionen in bestehenden Apps vor