Das kann man sich gut vorstellen, daß in Krisenzeiten sich der Kunstgeschmack kleineren Objekten zuwendet, die man Huckepack mitnehmen kann, wenn Belagerungen und Plünderung drohen. Diese Ausstellung der Elfenbeinpracht wäre ohne das Kunsthistorische Museum Wien nicht zustandegekommen und auch nicht ohne deren Erarbeitung einer Neupräsentation der Kunstkammer, der größten Europas, deren Eröffnung für Dezember 2011 geplant ist. Denn derzeit sind die dortigen Objekte in die Depots verbannt, aus denen nun 23 Leihgaben ins Liebieghaus nach Frankfurt kamen und das auch nur wegen der bisherigen guten Zusammenarbeit zwischen beiden Museen, repräsentiert durch den Wiener Max Hollein als hiesigem Direktor und Kustodin Maraike Bückling, die zusammen mit Sabine Haag diese Ausstellung kuratiert hat.
Eigentlich sollte man sich sofort den durch Leihgaben auf 26 angewachsenen Kunstwerken zuwenden, aber tatsächlich sind die kulturhistorischen Implikationen schon für sich hochinteressant. Denn das Elfenbein, ein beliebtes und kostbares Material schon in der Antike und dann der christlichen byzantinischen Kunst, in Europa bis ins Spätmittelalter, aber in der Renaissance eindeutig „out“, bekam nach den Entdeckungen zuvor unbekannter Erdteile eine neue Dimension von Exotik und weiter Welt. In Verbindung mit den Kunstkammern ging es also darum, edles Material in eine spielerisch leichte, barocke Form zu bringen, die tatsächlich nur mit Elfenbein zu schaffen war und hohe Kunstfertigkeit voraussetzte.
Diese Werke zu betrachten, war – anders als große Denkmäler auf öffentlichen Plätzen – nur für einen kleinen Kreis möglich. Umso mehr wuchs der Geruch von Exklusivität und die Herausbildung von neuen Berufsbezeichnungen auch. Waren seit der Renaissance aus den früheren Handwerker schon die eigenständigen Künstler geworden, so differenzierte sich dies noch einmal, denn es waren die Hofdrechsler und Kammerbeinstecher, die in Wien, dem Zentrum der barocken Elfenbeinkunst, nun das Sagen hatten und als Hof- und Kammerkünstler ihrem Dienstherren ihre Kunstfertigkeit exklusiv zur Verfügung stellen mußten, wollten sie diesen besoldeten Ehrentitel erhalten. Der erste davon war Adam Lenckhardt (1610-1661) als erster Kammerkünstler – denen also, denen der Zugang zu den Kammern des Herrn erlaubt war – des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, der Lenckhardt als Kammerbildhauer bezeichnete.
Deutschen muß man oft erst erklären, daß das heutige Land Liechtenstein ursprünglich Landbesitz der in Wien beheimateten Fürsten Liechtenstein war und diese Wien erst der Nazis wegen 1938 nach dem Anschluß mitsamt ihrer herrlichen Bildersammlung verließen, ihr Sommerpalais in Wien heute als Museum wieder hochrangige, häufig barocke Gemälde versammelt, der Hauptteil aber in Liechtenstein blieb. In Wien gab es seit jeher ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen Kaiser und den Fürsten zu Liechtenstein, was in der Bestellung des ersten Kammerkünstlers durch einen Liechtenstein zum Ausdruck kommt, den Kaiser Leopold I. „ausleihen“ durfte, um seine Kunstkammer zu füllen. Und aus den kaiserlichen Sammlungen wiederum ist das Kunsthistorische Museum Wien hervorgegangen.
Das Elfenbein, ein so hartes, wie auch die feinste Ziselierung überstehendes Material, wurde von den Schnitzern für alle Formen und jegliche Aussagen verwandt. Da gibt es die Statuetten, die Pokale, aber es überraschen auch große Reliefs, die Kannen, Schalen und immer wieder Kleindarstellungen aus möglichst dramatischen Geschichten. Denn es ging ums Erzählen bei diesen Darstellungen, nicht um etwas Statisches, das nun im Raum herumsteht, sondern um die Verlebendigung der toten Materie Elfenbein, die benutzt wurde, um Theatralik in großem Stil herzustellen, auch deshalb, weil sie sich für solche Exaltiertheiten menschlicher Körper im Verbund mit der Darstellung von Flora und Fauna besonders gut eignete. Fortsetzung folgt.
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Bis 26. Juni 2011
Katalog: Elfenbein. Barocke Pracht am Wiener Hof,hrsg von Maraike Bückling und Sabeine Haag, Michael Imhof Verlag 2011
Wir sind ja schon gewohnt, daß heutzutage Kataloge in sehr guter Qualität geliefert werden. Wie es aber dem Michael Imhof Verlag diesmal gelingt, schon auf dem Titel als Abdruck ein transparentes und luftausblasendes Gesicht in seinem Schmelz und Glanz technisch wiederzugeben, das ist ein neuer Höhepunkt der Kunst der Katalogerstellung. Dies setzt sich durch wunderbare Aufnahmen im Inneren fort, die auch deshalb so wichtig sind, weil gerade bei den kleinen Werken die Vergrößerungen nun zeigen, wie in die Tiefe gearbeitet wurde.
Schön auch, daß der Katalogteil eingeleitet wird mit einer doppelseitigen Vorstellung, wie die Kunst- und Wunderkammer der Habsburger einst aussah, mit den großen Gemälden hoch oben an den Wänden, darunten in verglasten Wandschränken die kleinenen Skulpturen und Gegenstände und auf ihren Sockeln dazwischen die halbgroßen Skulpturen.
Natürlich sind die guten Reproduktionen nur die eine Seite eines Kataloges. Aber da diesen die beiden Kuratorinnen geschrieben haben, ergibt sich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Darstellungen im Foto und ihren Beschreibungen. Vorneweg die notwendigen historischen und fachlichen Analysen, die erklären, weshalb das Elfenbein in Mode kam und welche Funktion es im kaiserlichen Wien der Barockzeit erhielt, ausstrahlend auf ganz Europa.