Klöster, Kirchen und Ikonen – Bulgarien bietet mehr als Sandstrand am Schwarzen Meer

Von goldglänzenden Kuppeln gekrönt - die Alexander-Nevsky-Kathedrale in Sofia.

Doch das Tourismusministerium will mehr. Es startet eine Kampagne, um Winter-, Kultur-, Öko-, Dorf-, Wander- und Spa-Tourismus anzukurbeln, vor allem bei den Deutschen, die nach den Rumänen die Haupturlauber sind. Ob das Motto „Lass` die Sonne rein!“ für diese Aktion optimal gewählt ist, bleibe dahingestellt. Jedenfalls stehen allein für die deutsche Kampagne 1,4 Millionen Euro zur Verfügung.

Nur wenige Sonnenanbeter wissen nämlich, dass dieser vom Schwarzen Meer begrenzte und zwischen Rumänien, Griechenland, der Türkei, Mazedonien und Serbien eingeschlossene Staat ein landschaftliches Paradies ist, in dessen Dörfern und Städten der Tourist noch dazu auf Schritt und Tritt kultureller Vergangenheit, erhaltener, restaurierter und gepflegter, begegnet.

Die Städte an der Schwarzmeerküste Varna und Burgas könnten Ausgangspunkt für eine einwöchige Rundreise sein, die man im Sommer mit Badeurlaub kombinieren kann.

Gleich am ersten Tag der Rundreise könnte man einen Höhepunkt erleben: das idyllische Fischerdorf Nessebar, das nur durch eine Landzunge mit dem Festland verbunden ist, in Gänze unter Denkmalschutz steht und zum Unesco Welterbe zählt: zehn Kirchlein und die aus Stein (Erdgeschoss) und Holz (Obergeschoss) gebauten Wohnhäuser mit den tief heruntergezogenen Dächern.

Durch die Thrakische Tiefebene fährt man weiter nach Stara Zagora zur Besichtigung römischer Thermen und Mosaiken und nach Plovdiv, der in Urzeiten von Thrakiern, aber auch Römern, Slawen und Byzantinern besiedelten zweitgrößten Stadt Bulgariens und heute Partnerstadt von Leipzig. Was die Umgebung Plovdivs interessant macht, sind die thrakischen Grabhügel, die sich, inzwischen ihrer Gold- und Schmuckschätze beraubt, alle paar Kilometer aus den Wiesen erheben, manchmal mit einem Kreuz obenauf und immer unübersehbar, so, als hätte es mehr thrakische Fürsten gegeben als normale Sterbliche.

Ein Kuppelgrab aus dem 4. Jahrhundert vor Christus mit bedeutenden Fresken ist in Kazanlak zu besichtigen. In diesem ältesten vollständig erhaltenen antiken Grabmal, 1944 durch Zufall entdeckt, sind nicht seine Fundstücke bemerkenswert, sondern seine einmaligen Wandmalereien. Die Szenen, Pferde und Streitwagen des verstorbenen Stammesfürsten, eine Szene vom Begräbnisschmaus, die Musikerinnen, vermitteln eine Vorstellung von den Lieblingsbeschäftigungen wohlhabender Thraker, ihren Beziehungen und Bestattungsriten.

Die Fahrt auf gut ausgebauten Straßen ist allein ein Erlebnis. Es geht vorbei an Tabak- und Baumwollplantagen, Wein-, Reis-, Lavendel- und Pfefferminzfeldern, immer von Frauen bearbeitet, vorbei an Ziegen- und Schafherden, Störchen und Storchennestern. Oft muss ein Pass überwunden werden – zur Freude der Wintersportler geizt der Balkanstaat nicht mit Gebirgen –, wo einen schon mal ein Schneetreiben überraschen kann, etwa auf dem 1330 Meter hohen Schipka-Pass. Die hier mit fünf vergoldeten Kuppeln errichtete Gedächtniskirche erinnert an die im Russisch-Türkischen Krieg von 1877 gefallenen Russen. Die 17 Glocken wurden aus den Hülsen verschossener Patronen gegossen. Die größte Glocke wiegt mehr als 11.000 Kilo.

Im „Museum der Rose“ in Kazanlak, Zentrum des Tals der Rosen, erfährt der Besucher, wie aus den Blütenblättern der Damaszenerrose und deren Kreuzungen das berühmte süß duftende Rosenöl gewonnen wird. Für zwei Gramm Öl braucht man zehn Kilo Rosenblätter. Folklorefans sollten am ersten Sonntag im Juni beim Rosenfest dabei sein, das seit 1967 zelebriert wird.

Ungewöhnliche Verkehrszeichen fallen auf: „Achtung, Pferdefuhrwerk!“ und „Auf 200 Meter ist der nächste Wasserhahn“. Manch eine Haustür ziert eine überdimensionale „Smoking-Schleife“. Das bedeutet: Bei uns hat es einen Trauerfall gegeben.

Neuerlicher Höhepunkt: das 1147 Meter hoch gelegene Rila-Kloster. Im 10. Jahrhundert von dem Einsiedler Ivan Rilski gegründet, oft zerstört, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder aufgebaut, war es in der Zeit der nationalen Befreiungsbewegungen Zufluchtsort für Revolutionäre und Freiheitskämpfer. Hier gibt es unzählige Ikonen, Heiligenbilder, zu sehen, Belege für die Entwicklung der altbulgarischen religiösen Malerei vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Aber auch wunderschöne Fresken und Holzschnitzereien ziehen den Betrachter in ihren Bann. Eingebettet in die majestätischen Berge des Rila-Gebirges, die bis in die Gipfel mit Mischwald bewachsen sind und von denen im Frühjahr die Schmelzbäche wie Wasserfälle stürzen, könnte das Kloster mit den hölzernen Säulengängen ein Ort der Besinnung sein, wenn nicht die in allen Sprachen schwadronierenden Touristengruppen solch innere Einkehr behinderten.

Ikonen satt bietet auch die Alexander-Nevski-Kathedrale mit den goldglänzenden Kuppeln in Sofia, seit 1879 mit heute 1,5 Millionen Einwohnern Hauptstadt Bulgariens. Die dreischiffige Kreuzkuppel-Basilika mit drei Altären, um 1900 errichtet, ist prächtig ausgestattet in Onyx, Alabaster und mehrfarbigem Marmor und wegen der zahllosen goldenen Wand- und Deckenmosaiken sehenswert. Die Kirche, benannt nach dem russischen Großfürsten Nevski, ist 77 Meter lang, 55 breit und 52 Meter hoch. Die größte ihrer Glocken soll noch in 30 Kilometer Entfernung zu hören sein. Der größte Kronleuchter wiegt 2,5 Tonnen und ist durch 147 Kerzen erhellt. Die Krypta birgt die reichste Ikonen-Sammlung Europas.

Den Namen verdankt die Stadt ihrer Schutzpatronin, der Heiligen Sofia. Die gleichnamige Kirche, ein schlichter, aber atemraubender Backsteinbau aus dem 5./6. Jahrhundert steht ebenso unweit entfernt wie die mit Goldkuppeln gekrönte bulgarisch-orthodoxe Kirche des Heiligen Nikolaus.

Am Fuße des Vitoscha-Gebirges gelegen, lässt sich Sofia auch mit einem Ski- und Wanderurlaub verbinden. Schneesaison ist bis Anfang Mai.

Sofia hat aber auch ein Kuriosum: alte Straßenbahnen haben einen Schlitz für Briefe und Karten – auf dass die Urlaubsgrüße pünktlich zu Hause eintreffen. Als Mitbringsel von einem Wochen- oder Supermarkt eignet sich das Gewürz Tschubritza, eine preisgünstige Kräutermischung, die man zu jedem Essen aufs Fladenbrot streut, die aber auch viele Gerichte verfeinern kann.

Traumhaft zwischen drei Hügeln, auf denen noch Reste von Burgmauern und eines Zarenpalastes zu sehen sind, liegt das Städtchen Veliko Tarnovo, das von 1187 bis 1393 Hauptstadt des zweiten Bulgarenreiches war. Neben der restaurierten Festungsmauer ist unter anderem das beeindruckende Eingangstor erhalten geblieben.

Die schmalen Häuser „kleben“ terrassenförmig an steilen Felshängen. „Sie klammern sich wie eine verängstigte Herde aneinander“, schrieb ein bulgarischer Dichter. Durch das holprige Kopfsteinpflaster ist der Aufstieg bis ganz oben beschwerlich, lohnt aber wegen der herrlichen Aussicht und der romantischen Wohnhäuser.

Von Veliko Tarnovo führt ein Abstecher nach Gabrovo in das ethnographische Freilichtmuseum Etara, wo noch heute Sattler, Messer- und Goldschmiede als touristische Attraktion in Originalwerkstätten arbeiten und die Mühle am rauschenden Bach klappert. Besucher können in speziellen Kursen ganzjährig selbst Hand anlegen und zum Beispiel mit Maisstroh flechten oder mit Naturfarben malen.

Gabrovo, wegen seiner Textilindustrie das bulgarische Manchester genannt und Partnerstadt des schottischen Aberdeen, heißt aber auch Hauptstadt des Humors und der Satire, da es ein Museum des Humors besitzt.

Unter Denkmalschutz stehen auch in der ehemaligen Zarenresidenz Arbanasi 36 Häuser und fünf Kirchen, darunter die Christi-Geburt-Kirche, eine einschiffige Basilika, heute Museum. Halb in die Erde eingegraben, wirkt sie von außen eher bescheiden, ohne Kuppel und Glockenturm, birgt aber im Inneren 3500 Ikonen bedeutender Künstler aus verschiedenen Epochen. An den Wänden ist das Leben und Leiden Christi dargestellt und die einzige Darstellung der Dreifaltigkeit. Das Paradies entspricht einem Blumengarten, während in der Hölle nicht nur der Müller mit dem Mühlstein um den Hals Qualen leidet. Die Heiligenbilder erreichen volle Lebensgröße.

Mit über 140 denkmalgeschützten Gebäuden wirkt Trjawna am Nordhang des Balkangebirges, im Tal des Trewnenska-Flusses, wie ein Freilichtmuseum. Reine Bergluft, jahrhundertealte Wälder, klare Gewässer und Häuser aus der Zeit der „Wiedergeburt“. Durch die engen Gassen spazierend, stößt man auf reiche Holzschnitz-Dekore, die jedes Haus, innen und außen, schmücken.

Inmitten von Sandsteinpyramiden im Piringebirge liegt eindrucksvoll die kleine Stadt Melnik. Die Kamine der Wohnhäuser enden mit Schornsteinen, die sowohl Exterieur wie Interieur prägen. Der Salon des Kordopulov-Hauses aus dem Jahre 1754 hat 24 Fenster aus farbigem venezianischem Glas, durch das das Licht mystisch auf die bemalten Wände und geschnitzten Türen und Schränke fällt. Im Keller, wo der berühmte Rotwein von Melnik lagerte, gibt es eine Weinprobe. Bulgarien erfreut sich übrigens ausgezeichneter Weine, ob weißer Chardonnay oder roter Cabernet Sauvignon. Man sollte neben Melnik und Ruen auch Mavrud und Rubin, eine Cuvée aus Syrah, Nebbiolo und Rubin, probieren. Letztere munden vorzüglich. Die authochtone Rebsorte Gamza, deren Wein wesentlich mehr Säure hat als andere, ist nicht mehr populär und wird nun weniger angebaut.

Was das überreichliche Essen betrifft, können die Deutschen sich sicher nicht beklagen. Den typischen Schopska-Salat, bestehend aus klein geschnittenen Tomaten, Salatgurken, manchmal Paprika und mit geraspeltem Schafskäse überstreut, gibt es heute in vielen Variationen, doch mit denselben Zutaten. Dazu kredenzt man einen Schnaps, dem Grappa oder Brandy ähnlich. Wem diese Vorspeise langweilig wird, sollte wissen, dass viele Bulgaren über hundert Jahre alt werden, was sie sicher auch dieser Rohkost zu verdanken haben.

Ein Hauptgericht kostet höchstens neun Euro, für einen halben Liter Bier zahlt man weniger als zwei Euro. Wein, Wasser, Kaffee, alles ist günstig.

So wie beim Abendessen oft die Folklore dazugehört und – eine schöne Sitte, aber leider der Kosten wegen immer seltener – das Tanzen zwischen den Gängen, steigt einem immer und überall der Duft von gegrillten Cebabceda, jene Hackfleischröllchen, und in Öl gesottenen Sardinen in die Nase, die mit Kopf und Gräten verspeist werden wie bei uns Pommes frites.

Infos:

Reiseziel: Bulgarien liegt auf der Balkanhalbinsel, wobei das bis zu 2400 Meter aufsteigende und 600 Kilometer lange Balkangebirge Süden und Norden des Landes trennt. Die Fläche umfasst etwa 111.000 Quadratkilometer. Auf 378 Kilometer Länge grenzt Bulgarien ans Schwarze Meer.

Anreise: Linien- und Charterflüge

Einreise: Reisepass, der noch 6 Monate gültig sein muss. Kinder müssen im Pass der Eltern aufgeführt sein oder einen eigenen Kinderausweis besitzen.

Währung: Die Währungseinheit ist der Lewa (BGL). 1 Euro entsprechen 2 Lev.

Ortszeit: 1 Stunde später als in Deutschland

Sprache: Bulgarisch, mit kyrillischen Buchstaben geschrieben. In Hotels Deutsch und Englisch.

Klima: Gemäßigtes Kontinental- bzw. Mittelmeerklima,

Auskunft: www.bulgariatravel.org

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