Berlin, Deutschland (Weltexpress). 2018 jährt sich zum hundertsten Mal das Ende des Ersten Weltkriegs. Aber auch noch 100 Jahre nach dem Ende dieses Millionen von Menschen mordenden Völkerschlachtens kann man den Eindruck gewinnen, dass zu viele der heute Mächtigen in Politik und Staat, Wirtschaft und Gesellschaft noch zu wenig ernstnehmen, was Krieg bedeutet. Nach wie vor gibt es also genug Anlässe und Gründe, über Krieg und Frieden nachzudenken und sich die Frage zu stellen: Was kann der Bürger für den Frieden und gegen den Krieg tun?
Auch vor dem Ersten Weltkrieg gab es Mahner und Warner vor einem großen Krieg. Bertha von Suttner, die für ihren Einsatz den Friedensnobelpreis erhielt, ist nur ein prominenter Name unter vielen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war es nicht anders. Und in unserer Zeit? Viele werden sich an die millionenfachen Proteste vor dem März 2003 gegen den drohenden Irakkrieg erinnern. Aber auch diese Proteste haben den Krieg nicht verhindern können. Kann der Bürger also gar nichts tun?
Kriege haben viele Ursachen. Manchmal braucht es Jahrzehnte der Forschung, um sich ein genaues Bild zu verschaffen – wichtige Quellen werden oftmals lange unter Verschluss gehalten, vieles erschließt sich in der Regel erst viele Jahr nach dem Ende eines Krieges. Aber Historiker und andere Interessierte, denen der Frieden ein Anliegen ist, erforschen die Ursachen der Kriege immer auch in der Hoffnung, dass die Menschen künftig präventiv handeln können. Gibt es dabei auch Erkenntnisse, die den Bürgern eine wichtige Aufgabe zuweisen?
Was kann der Bürger in der Frage von Krieg und Frieden tun?
Selbstverständlich! Für eine Erkenntnis braucht es gar kein großes Wissen: Wenn kein Bürger beim Krieg mitmacht, kann auch kein Krieg geführt werden. Aber diese Annahme ist doch recht utopisch. Hinzu kommen die heutigen Waffensysteme, die es erlauben, auf immer mehr aktive Krieger zu verzichten. Die Zeit der Massenheere ist vorbei. Ein paar tausend gedungene Söldner reichen aus, um Verheerendes anzurichten und den ganzen Planeten in Brand zu setzen.
Indes: Kriegsherren und Kriegsdamen aller Zeiten haben immer wieder eines getan, sie haben versucht, ihre Kriege zu rechtfertigen. Sie suchten nach Zustimmung für ihre Kriege. Wir nennen dies Kriegspropaganda. Besser wäre der Ausdruck Kriegslügen. Zumindest im eigenen Land sind sie für die Kriegsherren und -damen unverzichtbar. «Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.» Dieses Zitat des US-Senators Hiram Johnson aus dem Jahr 1914 haben wir alle schon einmal gehört. Und in den Jahren vor einem Krieg gilt dies selbstverständlich auch.
Zwar Feindbilder en gros …
Wir erleben das auch heute wieder. Feindbilder en gros. Um in den eigenen Reihen zu beginnen: Man lese die neue Sicherheitsstrategie der USA, die Erklärungen der EU-Staaten zu sicherheitspolitischen Fragen oder die Reden deutscher Politiker zur Rolle Deutschlands in der Welt. Man lese die Mainstream-Medien. Nur selten wird ehrlich gesprochen oder geschrieben. Man hält es fast nicht aus, wie einseitig und verzerrt die Sachverhalte präsentiert werden, wie wichtige Sachveralte unerwähnt bleiben. Jeder Krieg hat eine ideologische Seite.
Die Erkenntnis ist nicht neu. In der Präambel der UNESCO-Verfassung, der Verfassung der für Kultur und Bildung zuständigen Organisation der Vereinten Nationen, heißt es: «Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.» Das hat gute Gründe.
… aber auch weltweiter Friedenswille
Die Welt hat sich verändert seit 1918 (beziehungsweise seit den Jahren vor 1914). Die Vereinten Nationen haben den Krieg geächtet. Man kann nicht oft genug den Wortlaut des ersten Satzes der Uno-Charta vom 26. Juni 1945 zitieren: «Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat …» Die Welt konnte anknüpfen an das Wirken und die Hinterlassenschaft von Bertha von Suttner und der vielen anderen Persönlichkeiten, die sich in ihrer Zeit (noch) erfolglos für den Frieden eingesetzt haben, aber Orientierungshilfen für die Nachwelt gaben. Der weltweite Protest gegen den Vietnam-Krieg der USA war nicht folgenlos. Die Proteste gegen den Irakkrieg und die Ignoranz der US-Politik und ihrer «Koalition der Willigen» haben der ganzen Welt dokumentiert, dass Unrecht geschieht. Die ehemals «westliche Führungsmacht» hat ihre Reputation verloren. Die Fratze der Macht ist offenbar geworden.
Sicher, die Friedenserziehung in unseren Schulen hat an Gewicht verloren. Friede im eigenen Land galt in den vergangenen Jahren als selbstverständlich. Die vielen Kriege der Welt schienen weit weg zu sein. Sich für den Frieden einzusetzen schien nur etwas für hartgesottene Idealisten zu sein, für weltfremde Weltverbesserer. Man hatte Wichtigeres zu tun. Und trotzdem: Die Mehrheit der Bürger wollte und will noch immer keinen Krieg. Das Elend des Krieges hat sich noch nie vertuschen lassen.
Politiker sagen immer: Wir wollen keinen Krieg!
Deshalb sagt auch kein Politiker und kein Medium: Wir wollen Krieg! Stattdessen: Wir müssen den anderen abschrecken, wir müssen Stärke zeigen, wir müssen aufrüsten, wir müssen für den Ernstfall gerüstet sein.
Das Problem sind immer die anderen
Oder man vergewaltigt die Logik: Wir müssen Kriege für den Frieden führen. Wir müssen die Menschenrechte mit Massenmord schützen. Wir führen mit Staatsstreichen Demokratie ein. Schon der amerikanische Präsident Woodrow Wilson begründete den Eintritt seines Landes in den Ersten Weltkrieg mit dem logischen Unsinn: «the war to end all wars». Wir wissen, was daraus wurde.
Die Mär von der falschen «Appeasement-Politik»
Immer wieder aufgetischt wird eine ganz große Lüge: die Mär von der falschen «Appeasement-Politik» Frankreichs und Großbritanniens vor dem Zweiten Weltkrieg. Darum heißt es jetzt: Wenn der andere «böse» Pläne hat, darf man keinerlei Zugeständnisse mehr machen. Und dass Putin ein «neuer Hitler» (Hillary Clinton) ist, sollen wir ja alle glauben. «Trump tritt Putin ans Schienenbein», heißt es auf der ersten Seite der «Neuen Zürcher Zeitung» am 27. Dezember 2017. Die US-Regierung hat entschieden, Panzer zerstörende Raketen an die Regierung der Ukraine zu liefern. Es gehe für die Ukraine um «die Wiederherstellung von deren Souveränität und territorialer Integrität», schreibt die Zeitung. – Und die gewaltsame Niederschlagung der anderen im Osten der Ukraine … und das Vorrücken der Nato an Russlands Grenze. Aber das wird selbstverständlich nicht gesagt. So wie auch nicht gesagt wird, dass die britische Politik vor dem Zweiten Weltkrieg kein wirkliches Interesse an Frieden hatte, sondern den sich gegenseitig vernichtenden Krieg des nationalsozialistischen Hitler-Deutschlands gegen die kommunistische Sowjetunion wollte und alles dafür getan hat, um das «Projekt Hitler» durchzuziehen.
Persönlichkeiten, die Wege aus der zunehmenden Spannung suchen
Persönlichkeiten wie Matthias Platzeck oder Gabriele Krone-Schmalz stehen für Menschen, die einen Weg aus der zunehmenden Spannung und aus der drohenden Eskalation heraus suchen. Deshalb bemühen sie sich, sich in den «anderen» hineinzuversetzen und dessen Position zu verstehen. (vgl. Zeit-Fragen Nr. 32 vom 19. Dezember 2017) Dabei kommen sie allerdings zu interessanten Ergebnissen: Hitler hatte tatsächlich «böse» Pläne … die instrumentalisiert werden konnten. Aber Wladimir Putin und Russland zum Beispiel haben keine «bösen» Pläne. Im Gegenteil! Bei allen Schwächen und Fehlern: Russland (und wohl auch China) bemühen sich um eine Weltordnung der Gleichberechtigung und der Geltung des Völkerrechts. Sie sind weltoffen und suchen nach Vereinbarungen, die für alle von Vorteil sein könnten. Und: Putin zum Beispiel steht für ein Volk, das in Frieden leben will … aber so, wie es möchte: in seiner Würde geachtet und selbstbestimmt.
Mehr noch: Wenn schon aggressive, «böse» Pläne zu diagnostizieren sind, dann in unseren eigenen Reihen. Auch dies wurde immer wieder belegt. Gabriele Krone-Schmalz hat dies erneut getan. In der Tat: Der größte Beitrag zum Frieden wäre ein demokratischer Wandel in unseren eigenen Ländern.
Völkerverständigung – eine Sache, die Freude macht
Diese Erkenntnis ist auch eine Chance: Ich muss nicht mehr darüber brüten, was ich mit dem «bösen» anderen tue. Im eignen Land für Ordnung zu sorgen ist der entscheidende Schritt.
Wie kann das gelingen? Der direkte Weg ist derzeit verschlossen. Das parlamentarische System der Nato-Staaten erlaubt zu wenig direkte Einflussnahme. Aber es gibt auch einen indirekten Weg: nämlich alle die zu unterstützen und zu stärken, die den Frieden wollen – und Feindbildern entgegenwirken. Völkerverständigung kennt viele Wege: Gute Bücher lesen über das eigene und über das andere Land und Volk, persönliche Begegnungen bei Reisen, Besuchen und Einladungen, gleichwertige Partnerschaften aufbauen: von Mensch zu Mensch, von Verein zu Verein, von Einrichtung zu Einrichtung, von Gemeinde zu Gemeinde, von Stadt zu Stadt und so weiter und so fort.
Am Anfang steht der Wille. Ja, 2018 mache ich zum Jahr der Völkerverständigung. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit. Heute ist es eine große Sache, eine sinnvolle Sache, eine sinngebende Sache – auch eine Freude stiftende Sache.