Allein diese Gespräche des Zuschauers mit sich selbst, zeigen, dass Peter Dörfler ein guter Film gelungen ist, denn zunehmend wollen wir von Dokumentarfilm gar nicht mehr sprechen; selbstverständlich dokumentiert der Filmemacher nicht eine wie auch immer geartete Wahrheit, sondern gibt eine filmische Stellungnahme in einem rechtlich und menschlich schwierigen und unübersichtlichen Gelände ab. Dokumentation dann doch auch deshalb, weil man so ein Chaos von Recht, Geschäft, Liebe, Betrug, Politik, Rauschgift, Geld, Berlin und Peru, Tote und Verletzte und Aficionados des Norbert Witte überhaupt nicht erfinden könnte. Das wäre ein ganz schlechter Spielfilm geworden. Eigentlich sagen die Eingangs- und Abschlußsequenzen schon alles über Norbert Witte. Er sitzt auf seiner Achterbahn und fährt vor sich hin, die Kamera hat ihn im Blick und er gibt sich weidlich Mühe in die Ferne zu gucken und das filmische Auge auf seinem Gesicht zu ignorieren. Wir sehen einen müden Melancholiker. Nicht unsympathisch, das sind menschelnde Melancholiker nie. Nur, auch im Abspann ist diese Sicht auf sein Gesicht dieselbe, wir meinten identisch, der Regisseur sagte, nein, nur aus derselben Filmaufnahme. Anfang und Ende, Norbert Witte bleibt immer der Gleiche. Da ist man verblüfft. Ja, hat der Mann denn nichts dazugelernt, hat er denn nicht aus den Vorgängen für sich persönliche Konsequenzen gezogen, außer der, da seine Frau ihn wegen des Sohnes im Gefängnis in Peru, wofür er verantwortlich ist, verlassen hatte � schnell wieder eine neue zu haben. Und diese Irritation, die man im Film gegenüber dem Darsteller seiner selbst, Norbert Witte, gewinnt, bestätigt einem der Regisseur danach, Norbert Witte fehlt Selbstrefexion, ja selbst die Ansätze von selbstreflektivem Verhalten. Er bezeichnet sich zwar als schuldig an diesem und jenem, aber er analysiert nicht, woran es lag und was das speziell mit ihm zu tun hat. Norbert Witte auf seiner Achterbahn, am Anfang und am Ende bleibt also der Gleiche. Dazwischen liegen aber Unglücke der besonderen Art, von Toten auf dem Hamburger Dom beim Zusammenprall seines Katapultes mit dem Nachbarkarussell Skylab im Jahr 1981� ein Vorgang, der im Film nur erwähnt wird, aber keine weitere Rolle spielt, denn es geht nun um den Ruin des von ihm übernommenen Spreewald-Freizeitparks im Berliner Plänterwald und die Folgen. Er meint, der Berliner Senat sei schuld, weil er die Parkplätze eliminierte, er meint auch, dass er Fehler gemacht habe, als er allein sechs seiner Fahrgeschäfte, wie man die Rummelplatzinstallationen nennt, in Container verpackte und heimlich nach Peru ausführte, statt mit ihrem Erlös hier seine Schulden zu bezahlen, und dann in Peru hatte er nicht mal was davon, weil er dort das notwendige Bestechungsgeld für die Zollfreigabe seiner eigenen heimlich abräumten Ware – südamerikanische Sitten- nicht mehr aufbrachte. Sein Hauptfehler aber gilt der Tatsache, dass statt seiner sein Sohn Marcel nun in Peru zu 20 Jahren Gefängnis hart bei den südamerikanischen Sitten dieser Art verknackt ist, der Vater zwar auch verhaftet wurde, hier in Deutschland. Grund, als der Vater mit einer Herzsache in Deutschland im Krankenhaus, hatte er zuvor in Peru einen Deal gestemmt: so etwa 180 kg Kokain hatte er in den Stahlmast des Fahrgeschäftes „Fliegender Teppich“ eingeschweißt, als er diese über Amsterdam zurück nach Berlin schicken wollte. Allein sein Gewährsmann war ein verdeckter Ermittler und die Sache flog auf und nur der Sohn war in Peru greifbar, zudem hatte er die Frachtpapiere unterschrieben. Um diesen Sohn im peruanischen Gefängnis geht es nun im Film und man hat den Eindruck, dass dieser auch bewußt als unschuldig am Vergehen im Film gezeichnet ist, durchaus glaubwürdig, denn jetzt will sich auch der deutsche Staat einschalten, was richtig ist. Der rote Faden der Dokumentation sind die Aufnahmen von einer Art Selbstgesprächen der Mutter Pia, zusammen mit Tochter Sabrina und beider Interpretationen, die den Werdegang erläutern und vor allem das Vorgehen in Peru. Der Film machte es möglich, dass der Bruder im Gefängnis besucht wurde und auch einige Filmaufnahmen gemacht werden konnten. Die eindringlichen allerdings, die vom Elend der Gefangennahme – aber ohne den Deutschen – deutlich sprechen, sind peruanisches Material, auch zum Teil im Fernsehen dort schon gezeigt, wie Regisseur Dörfler mitteilte. Die Reaktion des Publikums war positiv. Alle fanden den Film gelungen und fast alle sprachen in Worten der Sympathie vom Hauptdarsteller Norbert Witte leicht lächelnd über so ein Stehaufmännchen und vor allem voller Sympathie für die beiden Frauen, die sich um Marcel in Haft so eindringlich kümmern. Das sind auch zwei starke Frauen, wie sie standhaft im Film dem Sohn/Bruder helfen wollen. Eigentlich werden sie einem erst im Nachhinein etwas unheimlich. War da irgendwo ein Wort des Bedauerns über die Folgen, die der Konkurs des Norbert Witte für viele Gläubiger, kleine Leute, nicht allein die reichen Banker, brachte. War da irgendetwas, wo man sich selbst als Teil der falsch steuernden Maschinerie verstand. Nein, der Vater war schuld, mehr aber noch die Verhältnisse. Das ist schon richtig, aber nicht alles. Und die Hilfe für den Sohn/Bruder ist menschlich verständlich, aber woher haben diese beiden Frauen all die Zeit und das Geld, das sie augenscheinlich haben, um des Tags über den Kampf für die Entlassung in Peru durchzustehen. Sehr egoistisch kommt einem mit einem Male die Familie Witte vor, insgesamt, aber auch in ihren Teilstücken. Das hat er also nun davon, Regisseur Witte, wenn er sich selbst als moralische Anstalt zurückhält. Seine Kamera entlarvt viel mehr, als ihm vielleicht selber bewußt war. Ein guter Film, gerade deshalb.
Titel: Achterbahn
Start: 2. Juli
Regie und Drehbuch: Peter Dörfler
Mit: Norbert Witte, Pia Witte, Marcel Witte Verleih: Rohfilmverleih