“Radio Rock Revolution – The Boat that Rocked” basiert auf der Geschichte eines neuseeländischen Piratenradiosenders. Der Film macht sie britisch, im Positiven als modern, aufgeschlossen, witzig und im Negativen als traditionsvernarrt, spießig, streng. Letztes verkörpert Kenneth Branagh als erzkonservativer Minister Dormandy. Der rollt das “R” wie ein deutscher Diktator und ist einerseits herrlich verkrampft inszeniert, andererseits zeigt er indirekt, wie gewöhnlich die Piraten sind, wenn nur ein reaktionärer Popanz sie als Aufwiegler erscheinen lässt. Britisch ist auch der Humor, nur müsste er viel schwärzer sein. Die Komödie von Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis lebt durch ihre kauzigen Figuren und deren talentierten Darsteller. So war es bei “Vier Hochzeiten und ein Todesfall” und bei “Notting Hill”. Exaltierte Mods, Anhänger extravaganter farbiger Mode und Accesoires, und Rocker, die alle schwul sein könnten. Die Homosexualität muss folglich für den Zuschauer politisch korrekt und deutlich erkennbar von der lesbischen Köchin – nein, keine Moderatorin – vertreten werden. So revolutionär, dass sie Frauen hinter das Mikrophon gelassen hätten, sind die Radiopiraten dann doch nicht. Was einiges über den tatsächlichen Geist des Films sagt. Und hat die im Film von 25 Millionen Briten gehörte Radiosendung wirklich noch etwas Piratenhaftes oder ist sie nicht schon wieder Massenmedium?
Das alles hat etwas Tragisches, Nachdenkliches, nicht nur, weil die Zeichen auf Wandel stehen, da Dormandy die Piraten versenken will, auf dass Anstand im Rundfunk herrsche. So mitreißend der Soundtrack und das Ensemble sind, nutzt Regisseur Curtis diesen Aspekt sichtlich aus, um die traurigen Facetten der Figuren zu übertönen. Erst beim Versinken des Bootes zeigen sich diese. Nicht aus Heroismus weigert sich die Besatzung, ihre Sendung aufzugeben, sondern weil sie nichts anderes haben. Die Mannschaft ist ein Haufen Außenseiter: übergewichtig Brillenträger, verplante Drogensüchtige, in ihrem Musikkosmos verlorene Hippies. In der gewöhnlichen Gesellschaft finden sie keinen Platz. Das Schiff bietet ihnen eine Alternativgemeinschaft, in der sie als Radioansager eine Stimme haben. Verzweifelt klammert sich Moderator Bob an seine Lieblingsplatten, trägt sie unter Lebensgefahr aus den Fluten – in die ein Kollege sie umgehend wieder wirft: “Das ist kein gutes Album.” Die Szenen zeigt, was tatsächlich mit dem Rock Boat verloren ging: individuelle Radiomoderation, unzensiert von Studios. Nicht Dormandy, sondern Naturgewalten versenken das Rock Boat. Das Verlassen des Schiffs wird für die Figuren im doppelten Sinne zum Sprung ins kalte Wasser, doch gerade hier bricht der Film ab. Wie geht es weiter mit den kuriosen Gestalten, die nirgendwo richtig hinpassen? Davon verrät “Radio Rock Revolution” nichts.
Genauso wenig, warum englische Originaltitel neuerdings hierzulande in abweichende englische Titel übersetzt werden. Der deutsche Verleihtitel ist wie so oft irreführend. Der doppeldeutige “The Boat that rocked” Titel benennt, worum es tatsächlich geht. Das Boot mit seiner Besatzung ist der Held. Die Gemeinschaft macht den Geist der Radisendung aus. Sie tritt rund um die Uhr gegen den Minister Dormandy an, rocken musikalisch und rütteln damit am Spießbürgertum. Eine Revolution gibt es in “Radio Rock Revolution” nicht. Der Piratensender nutzt ein gesetzliches Schlupfloch. Erst nach dem staatlichen Verbot ist die Zeit für den Aufstand gekommen. Da aber versinkt das Schiff. Die Bedeutungstiefe, welche in der zu lockeren Handlung fehlte, tut sich hier auf wie die gähnende See. In doppeltem Sinne bemerken die Moderatoren erst in letzter Sekunde, dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Widerwillig, aber sie tun es, auch wenn das sympathische Ensemble solche dunklen Seiten überspielt. Ihr Traum geht unter. Rock hat sich durchgesetzt, jubelt der Abspann. Piratenradio nicht. Unterlegt mit den überdrehten Aktionen der Moderatoren während ihrer Sendungen, illustriert der Abspann, was Vergangenheit ist. Radio ist heute eingespielte Jingles, diese fahrstuhlmusikalischen Geräuschmischungen, Retortengeräusche, Telefonspiele und Werbung, gelegentlich unterbrochen von den ersten Plätzen der Hitparade. Einstige Piratensender sind teils zu den vehementesten Verfechtern des Mainstream geworden. Doch, “Radio Rock Revolution” macht auch Spaß. Großartige Musik, tolle Schauspieler, gute Regie. Die besten Tage unseres Lebens. Nur gab es die nie.
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Titel: Radio Rock Revolution – The Boat that rocked
Genre: Komödie
Land/Jahr: Großbritannien 2009
Kinostart: 16. April 2009
Regie und Drehbuch: Richard Curtis
Darsteller: Phillip Seymour Hoffman, Bill Nighy, Rhys Ifans, Emma Thompson, Kenneth Branagh
Verleih: Universal
Laufzeit: 135 Minuten
FSK: Ab 12
Internet: www.radiorockrevolution.de