„Was tut jemand, der hier in den Fluss fällt?“ Jacos schalkhaftes Lächeln lässt keine einfache Antwort erwarten. Und so gibt er sie als erfahrener Kenner südafrikanischer Lebensverhältnisse lieber gleich selbst: „Er steht auf, schüttelt den Staub von seiner Kleidung und geht weiter.“ Klar, denn schließlich ist der Fluss nur ein Flussbett, das gerade einmal alle acht Jahre vom Regenwasser durchgespült wird. Andernorts, so Jaco, sogar noch in längeren Abständen.
Daher gehört die Suche nach dem Wasser in der Kalahari zu den täglichen Herausforderungen für alle Lebewesen, die sich – entsprechend der hier vorherrschenden Rangordnung – geduldig um die Wasserlöcher scharen. Wie hier am Auob River im südafrikanischen „Kgaladgadi Transfrontier National Park“. Als nördlicher geographischer Zipfel eingezwängt zwischen Namibia und Botswana. Mit letzterem sogar, wie schon der Name des Parks vermuten lässt, grenzübergreifend verbunden.
Putzige Erdmännchen
Eine karge Landschaft, von ihrem Charakter her irgendwo angesiedelt zwischen Wüste und Savanne. In dieser Kargheit aber dennoch Lebensraum für eine bemerkenswerte Anzahl von Großwild. Und natürlich, in der Skala abwärts, für eine Vielzahl von Kleinstlebewesen, die im ersten Augenblick leicht übersehen werden. Die dann aber doch bei geschärften Sinnen schnell die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wie der vermeintlich zielgerichtet voran hastende schwarze Zweig, der sich im schwächer werdenden Abendlicht dann aber doch als flinker Tausendfüßer entpuppt.
Vor allem sind es aber die putzigen Erdmännchen, die aus ihren Erdlöchern heraus für Stimmung sorgen. Überall präsent und dann doch, nach einem warnenden Pfiff von irgendwoher, gleich wieder darin verschwunden. Mit ihrer Verhaltenspalette vielleicht die am menschlichsten wirkenden Lebewesen, die die Kalahari hervorgebracht hat. Worüber sich leicht vergessen lässt, dass auch sie über scharfe Zähne verfügen und es ihnen im Streitfall keineswegs an Mut mangelt.
Krachende Hörner
An den Wasserstellen jedoch dominieren die Stärkeren. Vor allem die Raubkatzen, die in der Hierarchie unangefochten ganz oben stehen und sich allein durch ihre Präsenz den Vortritt vor allen Beutetieren erzwingen. Die Silhouette einer Löwenmähne im Schatten eines nahen Baumes zeugt davon, dass das hier lagernde Löwenrudel bereits zu seinem Recht gekommen ist. Allerdings noch lange kein Grund für die scheuen Springböcke, nicht doch ab und zu einen wachsamen Blick zu ihnen hinüber zu werfen.
Mehr Selbstsicherheit strahlen hingegen die Oryx-Antilopen aus, die sich neben ihrer Schnelligkeit offenbar auch auf ihren robusten Körperbau verlassen können. Sie nutzen vor der Zuschauerschaft geduldig abwartender Strauße sogar die Zeit, um ganz nebenbei ihren Rang in der eigenen Oryx-Hierarchie auszutesten. Und sich dabei in einer prickelnden Mutprobe mit dem dominanten Oryx-Bullen anzulegen. Ein kecker Test, der in der Tat Staub aufwirbelt und bei krachenden Hörnern dem Herausforderer zumeist nicht besonders gut bekommt. Pech gehabt, doch einen Versuch ist es allemal wert. Denn gemäß dem Gesetzbuch der Natur ist es schließlich total legal, dass sich irgendwo irgendwann der Stärkste an die Spitze der Herde katapultiert.
Rastende Wanderdünen
Ganz anders die Dünenlandschaft westlich des Auob River in Richtung Namibia. Gerade so, als hätten hier an die achtzig Wanderdünen auf ein geheimes Kommando hin eine Rast eingelegt und dabei den Wiederaufbruch verschlafen. Denn im Laufe der Zeit sind sie mit Grasbüscheln überwachsen, die sie an den Boden fesseln und dadurch dem frisch von der Küste heran wehenden Wind keine Angriffsfläche mehr bieten.
Und mittendrin, einer riesigen roten Schlange ähnelnd, eine ausgefahrene Wellblechpiste, die dazu immer wieder wie zum Spott urplötzlich hinter einem der Dünenkämme verschwindet. Um nach langen eineinhalb Stunden dann doch noch zu ihrem Ziel zu gelangen: der in diesen Breiten bereits legendären !Xaus-Lodge. Zwar nur eine kleine Wüstensiedlung auf Holzstelzen, die jedoch als Außenposten der Zivilisation mit Pool und Dinner-Terrasse der sie umgebenden Wildnis selbstbewusst Paroli bietet.
Versalzene Ausnahmelandschaft
Direkt gelegen am Rand einer der riesigen kreisrunden Pfannen, die angeblich irgendwann einmal in grauer Vorzeit durch Wassereinfluss geformt wurden. Dann aber im Verlauf der jüngsten Erdgeschichte versalzten und versandeten. Eine eigenwillige und dazu extrem trockene Spielwiese der Geologie, findet auch Richard, der bisherige Leiter der Lodge beim Sundowner. Mit dem Ebenmaß ihrer Form beim warmen Licht der untergehenden Sonne jedoch äußerst schön anzuschauen.
Nur nach Tieren hält man hier in dieser lebensfeindlichen Umwelt vergeblich Ausschau. Denen hat sie, so die am eigenen Lebenserhalt orientierte Erfahrung, offenbar zu wenig zu bieten. Kein Baum, kein Strauch, ja nicht einmal ein paar Grashalme. Nur eine Reifenspur, vor zehn Jahren durch Zufall dort hinein geraten, die seither Zeugnis ablegt von der unfruchtbaren Trockenheit dieser Miniatur-Ausnahmelandschaft.
Schmaler Kalaharizipfel
Anders hingegen die sie umgebenden Dünenformationen, in denen es von Spuren nur so wimmelt. Keiner wüsste sie hier besser zu deuten als Fährtenleser Andries. Einer jener San-Buschmänner, die hier im Auftrag ihres Stammes an der !Xaus Lodge tätig sind. So erklärt es Richard, stets ein Gesprächspartner mit Überblick, der sich natürlich auch über alle die Lodge betreffenden Einzelheiten bestens informiert zeigt.
Anschaulich weiß er zu berichten über die lange Zeit umstrittene Übergabe dieses schmalen Kalahari-Zipfels an die San-Buschmänner. Und über die Entstehung der !Xaus Lodge, deren Mitbesitzer sie sind. So garantiert sie ihnen sogar mit ihrer zunehmenden Anziehungskraft auf Besucher aus aller Welt einen Anteil ihres bescheidenen Wohlstands.
Spurensuche im Sand
In aller Herrgottsfrühe, noch ist die Sonnenscheibe sichtlich bemüht, über den östlichen Horizont hinweg zu kriechen, begibt sich San-Fährtenleser Andries auf Spurensuche. Dabei erlauben ihm selbst kleine Hinweise im Sand interessante Rückschlüsse auf das Geschehen während der Nacht. So entdeckt er im Nu die winzigen Fußabdrücke eines giftigen Skorpions entlang einem viel benutzten Mäuse-Highway. Und wenig später gar die Spur eines Geparden, dessen Umrisse sich auf einem nahen Bergkamm vor dem hellen Blau des Morgenhimmels abzeichnen.
Nicht minder interessant sind jedoch auch die Bäume und Sträucher, die allesamt, wie Andries erklärt, ihre spezielle Überlebensstrategie entwickelt haben. So der Schwarzdornstrauch, der sich wegen seiner zupackenden Widerhaken auch den Spitznamen „Wart` ein bisschen“ erworben hat. Oder der Kameldornstrauch, der mit seinen spitz zulaufenden langen Dornen ebenfalls keinen Spaß versteht.
Buschmann-Krieger
Höhepunkt jedoch ist der Abstecher in das Buschmänner-Dorf in Sichtweite der !Xaus Lodge. Hier sind, ebenfalls alle zwei Wochen wechselnd, fünf San-Buschmänner in äußerst leichter Dienstkleidung dabei zu beobachten, wie sie in alter Buschmann-Tradition Schmuckstücke und kleine Kunstgegenstände fertigen. Aus Kameldornsamen, Steinstückchen oder Knochenplatten. Sie alle hoch konzentriert, dabei jedoch aufgeschlossen und gesprächsbereit.
Auffallend besonders Makhai, ein später Spross aus der legendären Kruiper-Familie, wie Andries, inzwischen auch als Dolmetscher tätig, erklärt. Bereits vor fünf Generationen hatte sie ihren Einfluss geltend gemacht, um die einstige Unabhängigkeit des Stammes samt Ländereien zumindest teilweise zurück zu gewinnen. Mit Erfolg, wie spätestens heute unschwer erkennbar ist. Gerade hat Makhai eines seiner Kunstwerke vollendet. Es zeigt eine kleine Steinplatte, auf der drei Buschmann-Krieger, jeweils bewaffnet mit Stock, Pfeil und Bogen, kraftvoll ausschreitend zu einem nächtlichen Jagdzug aufbrechen.
Augrabies Wasserfälle
Aufbruch ist nun auch aus dem Lebensbereich der San angesagt. Aus der Trockenheit der Kalahari-Wüste hinunter zum Oranje-Fluss, mit 2200 Kilometern dem längsten in Südafrika. Üppige Fruchtbarkeit herrscht vor an seinen Ufern. Vor allem mit unüberschaubare Rebflächen, die die Grundlage bilden für eine großzügig angelegte Wein und Brandy-Produktion. Martiens wird als Miteigentümer der Bezalel-Weinkellerei nicht müde, die Vorzüge der hier hergestellten Produkte hervorzuheben und mit großzügigen Kostproben in seinem Urteil auch die Zustimmung seiner Gäste einzuholen.
Schon bald ist nun der „Augrabies Falls National Park“ erreicht. Eine zerfurchte Felsenlandschaft östlich von Upington, in der der Oranje River donnernd über einen breiten Felsabhang in die Tiefe stürzt. Eine geradezu surreale Gegend, zu deren Exotik durch die Baumwipfel schwebende Giraffen und durch Felsgeröll huschende Klippschiefer die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber dann, mit neuer Aktualität die alte Frage: „Was tun, wenn jemand in den Fluss fällt“? Denn die Nagelprobe eines Paddel-Abenteuers im Zweier-Schlauchboot steht erst noch bevor.
Abenteuerliche Vielfalt
Durch aufgewühlte Stromschnellen hindurch und vorbei an trotzigen Felskanten. Hier muss Spaßvogel Jaco mit eigenen Augen ansehen, dass es nun vor allem darauf ankommt, nach dem Kentern – und sei es mit fremder Hilfe – möglichst schnell wieder ins eigene Boot zurück zu finden. Zwar durchnässt bis auf die Haut, aber um eine wertvolle Erfahrung reicher. Und zudem ein weiteres Mal überzeugt von der abenteuerlichen Vielfalt an der Südspitze Afrikas.
Reiseinformationen “Südafrika”:
Anreise: Günstig mit South African Airways (SAA) täglich nonstop und über Nacht von Frankfurt oder München nach Johannesburg, www.flysaa.com; weiter nach Upington mit SAAirlink, www.flyairlink.com; Preis ab Euro 665 nach Johannesburg, ab Euro 780 gesamt.
Einreise: Es genügt ein noch mindestens 6 Monate gültiger Reisepass. Ein Visum ist nicht erforderlich.
Reisezeit: Das Northern Cape kann grundsätzlich ganzjährig bereist werden. Als klimatisch am günstigsten erweisen sich die Monate März bis Mai; am ungünstigsten der Monat Februar mit bis zu 45 Grad C.