Coole Typen und Halleluja-Songs – Zwei Stücke von Rebekka Kricheldorf bei den Autorentheatertagen im DT

Schauplatz der Handlung ist eine Bar irgendwo im Wilden Westen. Hinter der Theke windet sich schlangengleich der Barmann (Andri Schenardi), der das öde Etablissement mit dem Namen Bluteimer angeblich für einen Wurf Katzen erworben hat. Die schrille Stammkundin Loretta (Marianne Hamre) gehört schon fast zum Inventar und räkelt sich mit Vorliebe auf der Theke. Der versoffene „Zausel“ (Sebastian Edtbauer) ist mit einem Haken am Kragen an einem Seil aufgehängt, damit er aufrecht bleibt, und auf dem Bildschirm des Fernsehers im  Hintergrund ist ein Ansager (Marcus Signer) mit Meldungen von Mord und Totschlag zu erleben

Durch die Saloon-Schwingtür kommt eine junge Tramperin (Milva Stark) herein. Sie ist von zu Hause ausgerissen, um das Meer zu sehen und erkundigt sich nach einer Mitfahrgelegenheit Richtung Süden. Selbstverständlich fährt von dieser Bar aus niemand irgendwohin, und die junge Frau wird sofort vom Barmann und von Loretta mit Gruselgeschichten eingeschüchtert.

Später erscheint ein Kosmetikvertreter (Lukas Turtur), der sich verfahren hat sowie ein echter Cowboy (Diego Valsecchi) mit seiner irren Schwester (Sabine Martin), die gleich von den Flügeln der Schwingtür k.o. geschlagen wird, sich dann auf infantile Weise vergnügt und schließlich den Inhalt der Cremetöpfchen aus dem Musterkoffer des Vertreters dekorativen Zwecken zuführt.

Die Tramperin beweist gute Nerven, verschwindet zeitweilig mit dem Cowboy und übersteht auch ein Spiel, bei dem es selbstverständlich ums Trinken der hochprozentigen Hausmarke geht.

Um 74 tote Menschen geht es im Stück, erschlagen, erschossen, erstochen, erwürgt oder geköpft, dazu um einen gekreuzigten Hund und eine unbekannte Anzahl von verbrannten Slumbewohnern. Auf der Bühne aber fließt kein Blut. Nur der TV-Moderator, der sich schließlich per Fernbedienung nicht mehr abschalten lässt und sogar droht, den Barmann abzuschalten, bekommt eine Kugel in den Kopf, bricht zusammen, kann sich am Ende aber unbeschadet wieder erheben.

Die Band Los Hemilios, im Hintergrund auf der Bühne platziert, liefert mit Klavier, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Cello und Klarinette die eindrucksvolle musikalische Begleitung der Songs.

Unter der Regie von Erich Sidler, mit dem stimmigen Bühnenbild von Erik Noorlander und Bettina Latscha, die auch für die farblich hervorragend kombinierten Kostüme zuständig ist, demontieren die SchauspielerInnen lustvoll, wenn auch mit Respekt, das düstere Pathos der Balladen von Nick Cave.

Es gibt einen Trugschluss mit „Death ist Not The End“ von Bob Dylan, von allen AkteurInnen mit jubelnder Begeisterung gesungen. Dann aber schließt die Bar, und der Barmann singt der hinausgehenden Tramperin bedrohlich den Song von der armen Mary Bellows nach.

Das Gastspiel vom Stadttheater Bern war in den Kammerspielen des DT zu erleben und wurde vom Publikum mit großem Applaus honoriert.

In Rebekka Kricheldorfs Stück mit dem genialen Titel „Robert Redfords Hände selig“ kommt die Musik von Radio Kudu, Pop mit viel Halleluja als Ergebnis christlicher Missionierung. Weil es sonst keine Unterhaltung gibt, stellt Alice das Radio immer wieder an, um es bald darauf genervt zum Schweigen zu bringen.

Alice und ihr Ehemann Ben hatten ihre alten Tage eigentlich im Eigenheim auf Sylt verbringen wollen. Weil ihnen Deutschland aber zu teuer war, entschieden sie sich für Namibia, wo die Immobilienpreise günstig waren und es sich, in der deutschen Kolonie nahe der Kaiser-Wilhelm-Straße, leben ließ wie in der Heimat. Sicherheit gibt es dort allerdings nicht. In das Haus von Alice und Ben ist einige Male eingebrochen worden. Seitdem reist das Ehepaar herum. Ben möchte zurück in sein Haus, aber Alice hat Albträume, in denen sie von schwarzen Horden überfallen wird, die ihr den Wohlstand neiden und verhindert die Rückkehr.

Das Canvas-Zelt der Beiden steht in einem Safari-Camp in einem ausgetrockneten, blau gekachelten Swimmingpool, in dem sich auch eine eingestaubte Kakteenpflanze angesiedelt hat. Bühnenbildner Ansgar Silies hat ein wahrhaft trostloses und scheußliches Ambiente geschaffen.

Ringsum ist Wüste, aber ganz in der Nähe des Pools, unsichtbar fürs Publikum, gibt es eine Tag und Nacht geöffnete Bar. Alice trinkt Gin, Ben bevorzugt Whisky. Die Beiden sitzen auf Klapphockern unter einem Sonnenschirm vor ihrem Zelt, trinken, gehen einander auf die Nerven und holen abwechselnd Getränkenachschub.

Zu dem alten Paar gesellt sich ein junges: Julia und Gero, die in einem AIDS-Hilfe-Projekt arbeiten wollen.

Parallelen zu „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ sind unübersehbar und auch beabsichtigt. Rebekka Kricheldorf nutzt häufig bekannte Stoffe, um sie auf ihre eigene Weise zu interpretieren und zu aktualisieren. Im letzten Jahr war Kricheldorfs Stück „Villa Dolorosa“, frei  nach Tschechows „Drei Schwestern“ als Gastspiel vom Theaterhaus Jena zu den Autorentheatertagen eingeladen.

Zwischen den beiden Paaren kommt es zu Auseinandersetzungen über Afrika, Kolonialismus, Kultur, Menschlichkeit, Feminismus und Identitätsprobleme. Bei Kricheldorf geht es sehr viel weniger heftig zur Sache als bei Albee. Ihr Stück ist, bei allem schwarzen Humor, zutiefst melancholisch.

Das vierköpfige Ensemble vom Staatstheater Kassel präsentiert, in der Inszenierung von Schirin Khodadadian, Amüsement mit beachtlichem Tiefgang.

Eva-Maria Keller als Alice torkelt und tanzt und schießt mit schwerer Zunge verbale Giftpfeile auf ihren Ehemann ab. Alice ist offenbar eine Tochter aus gutem Hause, gibt sich gern mädchenhaft mit skurriler Wirkung, ist an Sex nicht interessiert, verachtet ihren Mann, schwärmt von Robert Redford und umgirrt auch kokett den jungen blonden Gero. Eva-Maria Kellers brillante Darstellung lässt das Abstoßende der heruntergekommenen Alkoholikerin nur erahnen. Sympathisch ist diese Alice nicht, aber wenn sie in ihren Albträumen ihre Angst herausschreit, wird sie auf eine befremdliche Art bemitleidenswert.

Im Banalen das Besondere zu entdecken ist eine Spezialität von Rebekka Kricheldorf. Die Personen in diesem Stück sind allesamt eigentlich eher uninteressante Durchschnittsmenschen, verdächtig nahe am Klischee. Unter der spitzen Feder der Dramatikerin sind sie jedoch zu tragikomischem Leben erwacht, das die SchauspielerInnen durch präzise, unaufdringliche Darstellungsweise anschaulich machen.

Ben (Matthias Winde) gibt den gelangweilten Zyniker. Er möchte nichts Anderes, als in seinem Haus in Swakopmund seine Ruhe haben. Aber der alte Macho kann sich gegen seine Frau nicht durchsetzen. Wenn er etwas sagt, was ihr missfällt, ignoriert Alice es einfach. So übergeht sie auch Bens Protest, als sie das junge Paar, das in der Nähe sein Zelt aufgeschlagen hat, heranwinkt.

Auch Gero steht unter dem Einfluss seiner Frau. Er möchte mit den saufenden Deutschen keinen Kontakt haben, während Julia die Beiden amüsant findet und deshalb ihren Mann einfach mit zieht.

Während Gero (Björn Bonn), idealistischer Weltverbesserer und Feminist, Ben als Kolonialisten und Ausbeuter angreift, plustert Ben sich gewaltig auf und verkündet seine Meinung über die bornierten Gutmenschen, die daher kommen und glauben, sie könnten Afrika retten.

Die beiden Männer ähneln einander in dem Starrsinn, mit dem sie an ihren gegensätzlichen Überzeugungen und Grundsätzen festhalten. Julia (Alina Rank), die zunächst einige kluge kritische Bemerkungen beisteuert, wird mehr und mehr zur Beobachterin und lernt Gero unerwartet neu kennen. Daraufhin beschließt sie, Gero zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren, um erst einmal sich selbst zu retten.

Rebekka Kricheldorfs Stücke waren auch Thema des Symposiums „Komiker und Magiker“ bei den Autorentheatertagen. In dieser Veranstaltung in Kooperation mit der Universität der Künste wurden neben Kricheldorfs Arbeiten auch die Stücke von Roland Schimmelpfennig behandelt. Im Programm der Autorentheatertage war Schimmelpfennigs Werk ebenfalls mit zwei Stücken vertreten: „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“, eine Produktion des Deutschen Theaters und „Wenn, dann: Was wir tun, wie und warum“ als Gastspiel vom Schauspiel Frankfurt.

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