Zu zweien auf weiter Flur – Lars von Trier zeigt Charlotte Gainsbourg als Waldhexe, geleitet vom “Antichrist”

Charlotte Gainsbourg im Film "Antichrist" von Lars von Trier

Pathetik und unfreiwillige Komik nehmen bereits der Eröffnungsszene jedes Maß. In Zeitlupe kopulieren die beiden Hauptcharakter miteinander. Die beiden verkörpern Mann und Frau als Archetypen, das vermittelt die Rollenbezeichnung “sie” (Charlotte Gainsbourg) und “er” (Willem Dafoe). Klassische Musik schwelgt im Hintergrund, leise rieselt der Schnee und beider Kleinkind stürzt aus dem Fenster. Hätten die verantwortungslosen Eltern sich nicht durch teuflische Leibeslust ablenken lassen! Nun trotten sie trauernd hinter dem Kindersarg. Er weint, sie wandelt starr vor Schmerz. Charlotte Gainsbourgs eindringliche Darstellung lässt keinen Zweifel am Schmerz der Frau. Die Handlung von “Antichrist” gibt ihrer Stille jedoch die Konnotation von Unbetroffenheit. Entsprechend seinem Fetisch für weibliche Leidensfiguren, welchem der Regisseur und Drehbuchautor in “Breaking the Waves“ und “Dancer in the Dark” frönte, quält “sie” sich nach dem Unglück mit schwersten Depressionen. Der starke Ehemann ist zum Glück Psychotherapeut.

Als zärtlich-autoritärer Heiler bringt er sie in die gemeinsame Waldhütte, um sie von der posttraumatischen Phobie vor dem Wald zu kurieren. Bei der Inszenierung des Waldes als märchenhaft-bedrohlichen Ort gelingen “Antichrist” Momente von faszinierender Intensität. Die natürliche Geräuschkulisse schwillt an und verstummt zu berückender Stille. Der Kreislauf der Natur aus Geburt und Tod ist von erschreckender Unbarmherzigkeit. “Antichrist” hätte ein fantastisch subtiler Gruselfilm werden können, würde von Trier nicht von Dogma zu Dogmatik wechseln. Die Stimmung zerstört “Antichrist” mit von Matthias Claudius geklauten Bildmotiven. Der Wald steht schwarz und schweiget und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel – nur wunderbar ist nichts in dem Waldhäuschen. Die das Paar umgebende Natur verkörpert den titelgebenden “Antichrist”. Und in der triebgesteuerten Frau ist sie stärker. Teufel, dein Name ist Weib! Die dämonischen Naturgewalten brechen in ihr gegen ihn hervor.

Wie man mit diesen, mittelalterlich “Hexen” genannten Frauen verfährt, illustrieren alte Bücher auf dem Dachboden anschaulich: Wasserprobe, Hexenmal suchen, hängen, auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Er greift im Film zur historisch erprobten letzten Variation des “Gynocides”, wie ihn ein Buchtitel beschwört. Indirekt macht “Antichrist” sie für den Tod ihres Kindes verantwortlich: sie bekennt, anders als ihr Mann, von dessen nächtlichem Herumlaufen gewusst zu haben, sie verführt stets ihn und verursacht so beider Unaufmerksamkeit. Obendrein hat sie das Kind durch zauberisch konnotiertes Verkehrtherum-Anziehen der Kinderschuhe bereits zu Lebzeiten verkrüppelt. Und ewig lockt das Weib in “Antichrist“. Physische Vereinigung zeigt von Trier stets in negativer Konnotation, jedoch so häufig und detailliert, dass seine Sexualverdammung als Heuchelei erscheint. Noch stärker als Sexualität pornografisiert von Trier Brutalität. Dabei übertreibt er seine Blut- und Knochenszenen bis zu grotesker Komik. Frau ist Mann ein Klotz am Bein, drum lässt von Trier sie ihm einen Schleifstein (Sensibelchen Augen zuhalten) ans Bein schrauben. Ob sie den abmachen könnte? – “Ich finde den Schraubenschlüssel nicht.” Typisch, Frauen und Technik!

Erträglich ist das krude Machwerk mit fragwürdigem religiösen Subtext bestenfalls dank der Darsteller. Charlotte Gainsbourg wurde für ihr eindringliches Porträt einer Frau am psychischen Abgrund in Cannés mit der Silbernen Palme honoriert. “Antichrist” hätte ein Psychodrama oder eine Erotikstudie sein können. So ergießt sich eine überlange sexualfeindliche, ultramasochistische Orgie aus Gewalt, Tod und Sexualität über die Leinwand. Zitat Reineke Fuchs, der im Wunderwald sprechen kann: “Chaos regiert.” Und alles Andrej Tarkowski gewidmet. Christlich ist das nicht.

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Titel: Antichrist

Genre: Horror

Land/Jahr: Dänemark/Deutschland/Frankreich/Italien/Schweden 2009

Kinostart: 10. September 2009

Regie und Drehbuch: Lars von Trier

Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe

Verleih: MFA + Filmdistribution

FSK: Keine Jugendfreigabe

Laufzeit: 104 Minuten

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