WM-Qualifikation: Online-Petition, FIFA-Kunstrasenpläne und Kroatien-Spiel im Frankfurter Volksbank-Stadion

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Funktioniert so nicht

„Eine WM auf Kunstrasen geht gar nicht. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wir werden zu Versuchskaninchen. Die FIFA muss dafür sorgen, dass wir auf anständigen Plätzen spielen. Oder was würden wir sagen, wenn unsere Männer in Brasilien auf Sand spielen sollen?“, meckerte die Bundestrainerin ziemlich aufgebracht. Nadine Angerer befand, dass die Elite-Kickerinnen der Weltmeisterschaft ausgenutzt werden sollen, um zu testen, ob das funktioniert oder nicht. "Das gibt Brand- und Schürfwunden und verändert echt das Spiel. Ich habe echt kein Bock, das Versuchskaninchen zu sein. Ich finde das richtig scheiße!“

Gelabelter Standard

Dass jedoch die Entwicklung des Kunstrasens in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat und die FIFA nach etlichen Tests für kommende Turniere einen gelabelten Standard entwickeln lassen, steht diesen höchst emotional betroffenen Statements von Nationaltrainerin und Weltklasse-Torfrau konträr entgegen. Im Gegensatz zu den ursprünglich entwickelten Kunstrasenoberflächen (Kunstrasen der ersten und zweiten Generation), ist moderner Kunstrasen der dritten Generation in Bezug auf seine Spieleigenschaften sehr nah an das Original Naturrasen herangerückt. Diese technischen und haptischen Innovationen sind bei den Spielerinnen meist nicht bekannt.

Eingebrannt

© Foto: Dietmar TietzmannWährend der herkömmliche Kunstrasen sich in die Erinnerungen der Spielerinnen  förmlich "eingebrannt" hat, gilt es deshalb für die Verantwortlichen von FIFA und vom Gastgeberland Kanada, die vorhandenen Ängste zu reduzieren und  eine intensive Aufklärung zu betreiben. Die zur Pressekonferenz im Commerzbank Tower erschienenen Nationalspielerinnen Nadine Angerer, Annike Krahn und Anja Mittag outeten sich in der 40. Etage des zweithöchsten Turmes Europas als überzeugte Gegnerinnen der FIFA-Kunstrasen-Planung für die WM in Kanada.

Kunstrasenpläne

Die deutsche Sportöffentlichkeit und seine Frauenfußball-Medien hielten das Thema "Protest gegen Kunstrasenpläne der FIFA“, lange unter der Wahrnehmungsgrenze für die Mehrheit der Fans. Über den Wolken der Bankenmetropole gelang den drei Europameisterinnen sich zum Thema kritisch zu äußern und auf die Online-Petition der Weltfußballerinnen aufmerksam zu machen. Deutsche Nationalspielerinnen hielten sich mit ihrem Protest gegen die Kunstrasenpläne in den regionalen Medien lange zurück. Angerer, Mittag, Krahn, aber auch Célia Sasic waren die ersten DFB-Frauen, die die von der Kapitänin des US-WNT Teams, Abby Wambach, lancierte Online-Petition unter worldcup.coworker.org unterzeichneten.

Ein wenig zu leise

© Foto: Dietmar Tietzmann„Die WM 2015 auf Kunstrasen? Nein danke!“, veröffentlichte Europameisterin Célia Sasic etwa auf ihrer Facebookseite. Mit Caroline Seger, Lotta Schelin, Kosavare Asllani, Olivia Schough, Sara Thunebro, Malin Levenstad, Sofia Lundgren, Emma Berglund, Charlotte Rohlin, Hedvig Lindahl, Nilla Fischer, Annica Svensson, Therese Sjoran und  Caroline Jönsson unterschrieb fast die gesamte schwedische Nationalmannschaft. Insgesamt kommt die Online-Petition inzwischen auf über 4.000 Unterstützer. Ob das reichen wird, die FIFA zum Umdenken zu bewegen, ist fraglich. Der Protest gegen den Kunstrasenplan ist dafür noch immer ein wenig zu leise, zumindest in Europa. Die Worte der Spielerinnen aus Deutschland waren an der Zeit.

Deutliche Worte

Sollte die der Weltverband nicht von seinem Plan abrücken, will Bundestrainerin Silvia Neid sogar FIFA-Präsident Joseph S. Blatter zur Rede stellen. "Das werde ich ihm ins Gesicht sagen, wenn wir uns sehen. Ich weiß nur nicht, ob er mich erhört", sagte Neid, die den Plan der FIFA vor dem Spiel gegen Kroatien mit deutlichen Worten kritisierte. Nach aktuellen FIFA-Plänen soll an den kanadischen Spielorten in Vancouver, Edmonton, Winnipeg, Ottawa und Montreal auf Kunstrasen gespielt werden. Der einzige Naturrasen ist in Moncton vorgesehen. Die Frauen-WM 2015 in Kanada wäre das erste große FIFA-Turnier, das hauptsächlich auf Kunstrasen ausgetragen werden würde.

Gehirnerschütterungen

© Foto: Dietmar Tietzmann„Bei einem Erfolg könnte sich das Pilotprojekt Frauen WM 2015 auf Kunstrasen auch auf andere Turniere ausweiten,“ so lautet vermutlich der kommerzielle Hintergedanke der Sportkunstrasen-Produzenten  und Ausrüsternder WM. Abby Wambach, FIFA Weltfußballerin des Jahres 2012, zeigt sich sehr besorgt. Wambach, bekannt für ihre physisch stark betonte Spielweise, informierte auf der Homepage der Petition, dass die American Academy of Neurology vor kurzem festgestellt habe dass Gehirnerschütterungen mehr verbreitet sind , wenn weibliche Athleten auf Kunstrasen spielen würden sowie das Athletinnen eher Gehirnerschütterungen im Fußball zu erleben hätten als in anderen Sportarten.

Ausrichterland

Die Wirtschaft, darunter die großen Sponsoren des Frauenfußballs, werden beim neuartigen Geschäft mitmachen wollen. Adidas, Nike und Puma werden schon den passenden ergonomisch richtigen Schuh für den Kunstraseneinsatz entwickeln. Die internationalen Sportärzte sehen neue Einnahmequellen, es wird neue Trainingsformen geben – das hat alles seine Lobby. Mal sehen wie der Hase laufen wird, ob die Spielerinnen Gehör finden werden oder die Manager im Ausrichter- Land Kanada. „Eine Weltmeisterschaft hat es verdient, auf Naturrasen ausgetragen zu werden. Das gilt nicht nur für die betroffenen  Spielerinnen, sondern auch für die Fans. Es ist ein ganz anderes Spiel auf Kunstrasen“, so Abby Wambach.

Bundestrainer Silvia Neid zum Spiel:

© Foto: Dietmar Tietzmann… über den Leichtsinn

"Wir haben das Spiel noch nicht gewonnen. Gegen Russland und Slowenien hat das Team einfach sehr konsequent gespielt und diese Linie dann bis zum Ende durchgezogen. Wenn man nicht hochkonzentriert zu Werke geht, kann es auch mal wie bei Schweden in der 89. Minute noch 0:0 stehen. Damit das nicht passiert, werden wir uns wie schon in den bisherigen Trainingseinheiten intensiv vorbereiten und auch die bestmögliche Elf aufbieten."

… über den Gegner

"Die Kroatinnen werden uns ebenso wenig etwas schenken wie die Sloweninnen es getan haben. Die Spielerinnen haben in Koper schon ordentlich auf die Knochen bekommen und werden mit aggressiven Gegnerinnen rechnen müssen. Wir müssen sehen, dass wir uns clever verhalten, dann werden wir auch ein gutes Spiel abliefern."

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