Winter im Bayerischen Wald – Geisterbäume, Skischanzen und alte Handwerkstradition

© Foto: Rainer Hamberger

Mit nackten Füßen sitzt sie am Webstuhl und tritt auf die Pedale, damit die Kettfäden das Fach für die Schussfäden öffnen. Mit einer Weblade oder einem Webkamm wird der neue Faden angedrückt, damit im Gewebe keine Lücken entstehen. Ein kompliziertes Jacquard-Muster entsteht unter Monikas flinken Füßen und Händen.
Der Bayrische Wald ist nicht nur durch seine Glasindustrie bekannt. Die Region um Wegscheid Breitenberg wird auch heute noch wegen seiner individuell hergestellten Leinenwebereien von Kennern aufgesucht.

Willst du leben, musst du weben

Das Breitenberger und Wegscheider Land begann schon im 17. Jahrhundert mit der Fertigung von Leinenwaren. Landwirte, im Winter arbeitslos, verdienten sich während dieser Zeit ein Zubrot. Vertrieben wurde die fertige Ware durch Verleger, welche auch die Weber mit dem Rohmaterial Garn belieferten. In der Blütezeit der Weberei arbeiteten bis zu 800 Hausweber in der Region des Bayerischen Waldes. Das “Wegscheider Leinen“ schmückte königliche und fürstliche Tafeln. Gegen Ende 1870 schlitterte das Handwerk in eine tiefe Krise und erholte sich auch nicht wieder. Die gegründeten Genossenschaften lösten sich 1965 in Breitenberg und Ende des 20. Jahrhunderts in Wegscheid auf.

“Die Tischdecke überlebt zwei Generationen”, erklärt Monika stolz indem sie vor uns das fertige Kunstwerk des gestrigen Tages ausbreitet. Will man das heute noch, fragen wir sie. Mit ihren vier Webstühlen sei sie für die nächste Zeit mit Sonderanfertigungen gut ausgelastet. „Made in China, das gibt es in meiner Webstube nicht“ meint sie lachend, als wir uns verabschieden.
„Willst leben, musst weben“ heißt es nicht nur im Webereimuseum Gegenbach.
Seit der Besiedelung in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts spielten Flachsanbau und Weberei als Erwerbszweig eine wichtige rolle für die Bewohner dieser Gegend. In vielen Ländern Europas war Leinen aus Breitenberg gefragt.

Um diesen für den unteren Bayerischen Wald so wichtigen Gewerbe vor dem Vergessenwerden zu bewahren wurde 1983 beim Freizeitzentrum Gegenbach in einem alten bäuerlichen Anwesen das Breitenberger Webereimuseum eingerichtet, das neben einer Vielzahl von bemalten Bauernmöbel vor allem Geräte zur Flachsverarbeitung, Weberei, Färberei und zum Blaudruck zeigt.
Drei Bauernhäuser geben Einblick in das Leben, Wohnen und Arbeiten der Leute hier im Land vor dem Dreisesselberg. An verschiedenen Webstühlen wird immer noch gearbeitet, auf dem Museumsgelände baut man Flachs und alte Getreidesorten an.

Wintersport und Gaumenfreuden

Die Sonne lässt den frisch gefallenen Schnee glitzern. Das Thermometer fiel letzte Nacht auf unter -15 ° C. Die Straße, die zum Dreisesselberg führt ist gut geräumt. Rechts und links türmen sich Schneeberge. Etwa 100 Meter unter dem 1312 Meter hohen Gipfel ist auf dem Wanderparkplatz zwischen Schneemauern Endstation für motorisierte Fahrzeuge. Den Namen hat der Berg von der Ähnlichkeit von sesselähnlichen Kissenfelsen bekommen, die zu dritt den Gipfel zieren.

Wegen des beißenden Windes ziehen wir die Kapuzen tiefer ins Gesicht. Luftfeuchtigkeit, Sturm und Frost haben die spärlichen Bäume und Büsche in bizarre Geistgestalten verwandelt. Die Aussicht ist fantastisch und reicht weit in das benachbarte Tschechien. Warm eingepackt startet eine Gruppe Wanderer mit Schneeschuhen auf ausgewiesenen Höhenwegen. Langlaufloipen würden hier auf der Hochebene ständig von Schneewehen überdeckt. Im Süden ist der 1338 m hohe Hochficht zu erkennen. Das idyllische Skigebiet rund um den Hochficht liegt in Österreich, im sogenannten Dreiländereck direkt an den Grenzen zu Tschechien und Deutschland. Es verfügt über zwei Talstationen und ist über gut ausgebaute Straßen mautfrei zu erreichen. Die beiden Talstationen befinden sich direkt an den Orten Klaffer und Schwarzenberg einige Kilometer hinter der deutschen Grenze. Zahlreiche Schlepplifte und bequeme Gondeln ermöglichen einen abwechslungsreichen Skitag mit unterschiedlich schwierigen Abfahren. Dieses Skigebiet ist vor allem bei Familien sehr beliebt. Direkt hinter der Gipfelstation liegt die tschechische Grenze. Wir laufen auf geräumten Wegen zum Dreisesselhaus auf dem Gipfel, das von vereisten Granitbrocken umgeben ist.

Mit knurrenden Mägen kommen wir zurück in die Pension. Andreas Haugeneder hat in der Küche alle Hände voll zu tun. Aus dem Aufenthaltsraum dringt Gelächter von spielenden Kindern, andere Gäste kommen gerade aus der Sauna zurück. Gleich werden wir mit anspruchsvoller regionaler Küche verwöhnt.

Am unteren Schanzentisch machen sich die Springer bereit. Lässig lockern sie nochmals ihre Beinmuskulatur bevor sie sich in Ausgangspositur begeben. Skihelm und –brille zurechtgerückt und es geht los. Wer sich hier auf der kürzeren Schanze versucht ist zwischen 12 und 15 Jahre alt und ist schon fast ein “alter Hase“. Später am Nachmittag üben die Älteren an der großen Schanze, u. a. auch eine weibliche Springerin. 1967 wurde die erste Skisprungschanze in Rastbüchel errichtet und 1976 erweitert um größere Weiten zu erzielen zu können. Seit September 1989 bietet die neu errichtete dem Nachwuchs die besten Trainingsmöglichkeiten. Den Springern stehen 3 Schanzen zur Verfügung die auch im Sommer zu Trainingszwecken genutzt werden können. Das ganzjährige Training wirkt sich sehr positiv auf den Nachwuchs aus.  Schon 1996 stellte der Verein drei Teilnehmer bei der Junioren Weltmeisterschaft in Italien.

In der Nähe der bekannten Blutwurzhütte in Jägerbild parken wir und laden die Langlaufskier aus. Hier im Nordischen Zentrum für Skilanglauf beginnen zahlreiche Loipen, die über leicht hügeliges und oft offenes Gelände führen. Wir haben die Wahl zwischen etwa 5 Kilometer langen Bärwurzloipe und der drei Kilometer längeren Blutwurzloipe. Angesichts der Aussicht auf das zünftige Mittagsmahl in dem auch überregional bekannten Blockhausrestaurant wählen wir die längere Strecke. Es macht auch anschließend keine Mühe, das zünftige Mahl zu bewältigen. Den Abschluss bildet ein im Pfännchen brennender Blutwurzschnaps. Je länger wir in die blaue Flamme blicken, desto milder wird sein Geschmack sein. Während der nächsten Tage werden wir einige Glasbläsereien und Glasmuseen besichtigen, die entlang der „Glasstraße“ im Bayerischen Wald zu finden sind.

Informationen

Allgemeine Auskünfte gibt es unter www.breitenberg.de, gute Orientierung bietet die Marco Polo Freizeitkarte mit Extraguide zum Bayerischen Wald für nur € 7,99; Details über die durch die Region führende Glasstraße im neuen DuMont Bildband Entdecke Deutschland; 432 Seiten, ca. 620 Fotos , Format 24 x 30 cm, Preis: € 39,90; http://shop.dumontreise.de. Wissenswertes über die durch den Bayrischen Wald führende Glasstraße gibt es unter www.die-glasstrasse.de
Zur Anreise bzw. als Ausflug empfiehlt sich der Besuch der Dreiflüssestadt Passau mit einer Dombesichtigung; www.passau.de; Handwebereikontakt bei Monikas Handwebleinen, Monika Holler, Tel.: 08592/1377; zum Skigebiet Hochficht mit Pistenplan unter www.hochficht.at; Nordisches Zentrum für Skilanglauf mit benachbarter Gastronomie www.blutwurzhuette.de; Gästezimmer, Ferienwohnungen und ein Ferienhaus bietet z. B. das Edlgütl; Reschnweg 15 & 17; 94139 Breitenberg; Telefon 0 8584 / 309; www.pension-haugeneder.de

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