Wie man das Maskulinum kastriert und zum „Übergeschlechtlichen“ erklärt – Serie: Kleine kommentierte Zeitungsumschau in den „Sprachnachrichten“ und „Deutsche Sprachwelt“ (Teil 3/3)

Das große I beim Scrabbeln gibt nur einen Punkt.

Die nächste Meldung trägt die Überschrift: „Sprachfeminismus“. Lange nichts mehr davon gehört, fällt uns dabei ein. Denn ausgehend von den Siebzigern und der Geschlechterfrage, wieso eigentlich die Frauen bei den männlichen Begriffen sich immer selber mitdabeidenken müssen, – die Verbraucher, die Autofahrer, die Bürger – und ein groß geschriebenen I mitten im Wort dann umgekehrt verfahren sollte – die VerbraucherInnen, die AutofahrerInnen, die BürgerInnen -, nämlich die Männer im I mit dabei zu haben. Das I allerdings hat letztlich keine Durchschlagskraft entfaltet und kommt kaum noch vor. Was also meint die deutsche Sprachwelt mit dem Sprachfeminismus? Sie verweist auf die Seite 3 und: „Der Schweizer Pädagoge Arthur Brühlmeier nennt gute Gründe für eine Abkehr von der Überbetonung des biologischen Geschlechts.“ Aha, schauen wir uns die guten Gründe einmal an.

Die Überschrift haut völlig hin: „Sprachfeminismus in der Sackgasse“. Denn all die Versuche, Frauen und Männer sprachlich gleichberechtigt anzusprechen, wie zum Beispiel „Liebe Verbraucher und Verbraucherinnen,”¦“, haben sich ob Ihrer Länge und Umständlichkeit als wenig praktikabel gezeigt und werden meist nur noch in Wahlkampfreden angewandt, aber auch von feinfühligen öffentlichen Rednern. „Aua“, denken wir jetzt, denn die Unterüberschrift des Artikels von Arthur Brühlmeier lautet: „Die fortwährende Betonung des biologischen Geschlechts ist lästig und entbehrlich.“ Immer peinlich, wenn ein Mann entscheidet, der per se Subjekt der Sprache ist, ob diese männliche Ausrichtung der Sprache dadurch geändert werden sollte, daß auch Frauen zu ihren Subjekten werden, „lästig und entbehrlich“ sei. Dabei würden wir ihm bei dem „lästig“ noch folgen, es bringt eben mehr Gedankenarbeit, Frauen mitzudenken und dies sprachlich durch Mehrarbeit auch auszudrücken. Aber „entbehrlich“?. Schauen wir uns die Argumente an.Erneut „Aua“. Der Autor nennt die Schuldigen. Es sind „Zahlreiche Journalisten, Autoren, Gesetzgeber und Werbetexter“, die von „Athleten und Athletinnen“, von „Eidgenossen und Eidgenossinnen“ sprechen und schreiben. „In diesen Sprachgebräuchen spiegelt sich einerseits die vorauseilende Haltung der Schreiber gegenüber dem Gleichstellungsanliegen der Frauen wider: andererseits wird dadurch so schwerwiegend in die Sprache eingegriffen, daß die Lektüre nicht bloß ermüdend wirkt, sondern das laute Lesen teilweise sogar unmöglich wird und der Inhalt kaum mehr verständlich ist.“ Da sind wir doch verblüfft. Warum liest er sich überhaupt laut vor? Durch zusätzliche weibliche Formen nicht mehr verständlich?

Beweisen will der Autor dies an einem Protokoll des Basler Gesundheitsdepartments. Dort wird von der ’Rolle des Verantwortungstragens’ gesprochen, dem in Klammern zugefügt ist (Arzt/Ärztin), die ’Rolle des Sich-Anvertrauens und Sich-Unterordnens’ wird mit (Patient/in) ausgedrückt und im fortlaufenden Satz dann durch „seine/ihre Gesundheit“ qualifiziert. Richtig ist sicherlich: „Es ist kaum anzunehmen, daß jemand mit besonderer Freude solcherart geschriebene Bücher lesen möchte.“ Aber daraus dann gleich zu folgern, „nicht mehr verständlich“, stimmt einfach nicht. Der Autor spricht dann von der Abwehr – auch durch Frauen – gegen solche Sprachmuster, die in sarkastischen Leserbriefen und Glossen sich Luft machten. „Dies ist aber der Tragweite des Problems nicht angemessen, weshalb hier eine sachliche, auf sprachwissenschaftliche Überlegungen fußende Analyse vorgelegt werden soll.“

Hier macht sich der Autor, der weiter oben schon eindeutig Position bezogen hatte, wie unsinnig, ja sinnverwirrend ihm die Aufnahme von Ansprachen an Frauen in die Sprache erscheint, durch Abgrenzung gegenüber sarkastischen Äußerungen zum angeblichen neutralen Sachwalter, der nun „sachlich“ und „sprachwissenschaftlich“ eine Analyse vornimmt. Ausgehend von einem „sprachwissenschaftlichen Irrtum“, der biologisches Geschlecht und grammatischen Genus (was auch Geschlecht heißt) gleichsetze, kommt der Autor jetzt mit dem alten Hut, daß es doch drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum), aber nur zwei Geschlechter gäbe. Das wissen wir doch, daß die Sprache auch Gegenstände und Sachverhalte „sexualisiert“. So heißt es ’der Fluß’, und die Mehrzahl der Flüsse wie der Rhein, der Nil, der Amazonas tragen den maskulinen Artikel, während Städte, „die Stadt“ feminin ausgedrückt werden, aber auch Bäume, obwohl es „der Baum“ heißt, sagen wir „die Linde“, „die Buche“ etc. Der Grund für dafür liegt aber nicht in der Sprache, naturwüchsig sozusagen, sondern historisch in den Zuschreibungen der Antike, die männliche Flußgötter hatte und weibliche Stadt- und Baumgottheiten. Das nur nebenbei.

Im Artikel wird nun der alte Hut zum uralten: Denn jetzt spricht der Autor davon, daß das Genus „auch übergeschlechtlich verwendet“ wird. „Der Mensch, der Gast, der Flüchtling“ – dann „die Person, die Waise“ – „das Kind, das Individuum“ und kommt über diese immer schon bekannte und immer schon als „Gegenargument“ verwandte Selbstverständlichkeit zu dem für ihn neuen und für ihn als Beweis sensationellen Schluß: „So sind besonders sämtliche Funktionsträger, die nahezu von allen Verben abgeleitet werden können und auf „-er“ enden, trotz des maskulinen Genus nicht biologisch männlich, sondern übergeschlechtlich zu verstehen.“ Aha, „zu verstehen“. Sehr verehrter Herr Autor. Bitte fügen Sie doch künftig bei allen von ihnen geäußerten Anreden als Erklärung hinzu, daß dies „übergeschlechtlich“ zu verstehen sei und dann fügen Sie bitte bei allen Rednern, die Ihnen zuhören und über männliche Formen sich an die Zuhörer wenden, diese Erklärung auch lautstark hinzu . Das ist doch absurd, in einer Massengesellschaft überhaupt ex cathedra befehlen zu wollen, wie etwas verstanden werden soll. Ausgangspunkt ist, wie es die Leute verstehen. Und da verstehen die Zuhörer eben, daß die Zuhörer angesprochen sind und es ist einfach so, daß die Zuhörerinnen nicht angesprochen sind, aber angehalten werden, sich mitgemeint zu fühlen.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Auch wir schreiben pausenlos von den Lesern, den Hörern, den Zuschauern und meinen dabei die Frauen mit, einfach weil es uns zu umständlich ist, die weibliche Form jeweils anzuhängen, aber wir machen dies aus Pragmatismus und auch aus Bequemlichkeit, das geben wir unumwunden zu, aber wissen dabei immer, daß das nicht korrekt ist, daß wir uns sprachlich etwas anderes wünschen. Etwas völlig anderes aber ist es, diese fatale Situation auch noch schönzureden und mit angeblichen Sprachbeweisen das Unwohlgefühl von Frauen, die sich bei männlicher Anrede nicht angesprochen fühlen, als deren Problem abzuwerten oder sogar zum sprachlichen Nichtproblem zu erklären. Spätestens seit mir klar wurde, daß der Sprachgebrauch: „Wer hat seinen Lippenstift im Bad vergessen“, grammatikalisch richtig, aber im Sachverhalt unsinnig ist, darf man die Sprache nicht als nicht lernfähig erklären, sondern müßte es versuchen. Denn hier wird durch das „wer“ der „seinen“ ausgelöst. Hätte man formuliert: „Welche Person hat ihren Lippenstift im Bad vergessen“, wäre das „ihren“ der Person gefolgt. Aber hätte jemand nach dem Rasierapparat gefragt, dann hätte die Frage sicher dennoch gelautet: „Welche Person hat seinen Rasierapparat im Bad vergessen“? Nicht das Sprachgefühl allein bestimmt unser Sprechen, sondern die sozialen Erfahrungen bestimmen es mit und darin schlagen die männlichen Formen durch!

Den Autor Arthur Brühlmeier, – wie die Deutsche Sprachwelt schreibt, „Pädagoge und Psychologe“, für einen Sprachwissenschaftler hätten wir ihn auch nicht gehalten, – den Autor also möchten wir gerne einmal mitnehmen auf unsere Pressekonferenzen von Banken, von Verbänden, von großen Unternehmen, da sitzen den Journalisten, darunter viele Frauen, in der Regel nur Männer auf dem Podium der Vorstände gegenüber. Noch. Wir leben also in einer Gesellschaft, in der, noch, überwiegend Männer an den Hebeln der Macht sitzen. Dies ist, noch, das Ergebnis einer paternalistischen Gesellschaftsstruktur, die historisch in Europa gewachsen war. Das muß man als Geschichte akzeptieren und als Gegenwart ändern. Aber gerade dem männlichen Geschlecht, das gesellschaftlich Macht ausübt, und das gleichzeitig die maskuline Form „der Zuhörer“, „der Leser“ bestimmt, diesen wirklichen Zusammenhang von Macht und Sprache als „übergeschlechtlich“ zu interpretieren und damit zu negieren, daß einst Macht und Mann eine Einheit war, der die Sprache folgte, ist schon hanebüchen.

Der Autor aber formuliert: „Auf dem sprachwissenschaftlichen Fehlschluß beruht ein weiterer Irrtum: nämlich die angebliche Benachteiligungen der Frauen durch Sprache.“ Dem gegenüber setzt er den Sprachverlust für das übergeschlechtliche Genus, das dadurch Einbußen erleidet, weil jetzt gesagt würde: „Bürgerinnen und Bürger, Schülerinnen und Schüler“. Sehr bemitleidenswert dieses Genus. Ein Genus ist eine Form, Frauen aber sind Menschen. Allein diese in eine Konkurrenzsituation des Verlustes durch Sprachartikulation zu bringen, ist uns abenteuerlich und nicht diskutierfähig. Wir haben den Artikel im weiteren genau durchgelesen und könnten weiterschreiben. Aber wir begnügen uns mit der von dort entnommenen Zwischenüberschrift: „Ermüdende Wiederholungen“ und werden ein andermal eine Ausgabe der Deutschen Sprachwelt kommentieren, der wir dann sicher nicht widersprechen müssen. Denn wir wollen auf keinen Fall der Deutschen Sprachwelt unterstellen, daß sie die Auffassung des Autors teilt.

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Quelle für Artikel 1 und 2: Sprachnachrichten Mai 2009, hrsg. vom Verein deutsche Sprache (VDS)

www.vds-ev.de

Quelle für diesen Artikel: Deutsche Sprachwelt, Ausgabe 36, Sommer 2009, hrsg. vom Verein für Sprachpflege e.V.

www.deutsche-sprachwelt.de

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