Weggesperrt – Karin Beiers Filmadaption „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ beim Theatertreffen

Die ProtagonistInnen präsentieren sich nicht in Smoking und Cocktailkleid, sondern in Beutestücken aus dem Altkleidersack, und sie leben nicht in einer stimmungsvollen Gruselvilla aus dem Mittelalter, sondern in einem sterilen Wohncontainer.

Augenschmaus gibt es also nicht, aber immerhin eine handfeste Kriminalgeschichte in bewährter Manier:

Ein Patriarch, der die Mitglieder seiner Familie behandelt wie Leibeigene, verfügt über ein beachtliches Vermögen. Dieses würde seine Sippschaft gern an sich bringen. Deshalb kleben die Verwandten an ihm und erdulden seine Tyrannei. Der Alte wacht über seinen Besitz, und es scheint kaum möglich, ihn auszutricksen. Eines Tages aber fühlen seine Untertanen sich so sehr von ihm betrogen, dass sie sich endlich zusammenschließen und ein Mordkomplott schmieden. Das gelingt nicht ganz, denn der Patriarch ist am Ende nicht tot, sondern nur aus Gefecht gesetzt, aber immerhin.

Diese Geschichte wird in dem Stück erzählt, das Karin Beier, Intendantin des Schauspiel Köln, inszeniert und „Eine bemerkenswert mitleidlose Komödie“ genannt hat Eigentlich geht es jedoch nicht um die Geschichte, sondern um die Darstellung von Klischees wie sie den Angehörigen der gesellschaftlichen Unterschicht aufgedrückt werden.

Dreizehn solcher Untermenschenkonstruktionen sind in ihrem Wohncontainer hinter Glas zu beobachten. Dem Publikum wird die Voyeursperspektive aufgezwungen. Es sitzt im Dunkeln und beobachtet ein Privatleben, das aus Saufen, Sex, Gewalttätigkeiten und Fernsehkonsum besteht.

Zu hören ist nichts durch die offenbar schalldichten Glasscheiben. Was da geredet und gebrüllt wird, lässt sich durch die manchmal allzu stummfilmhafte Gestik der DarstellerInnen erahnen und macht nicht neugierig auf den genauen Wortlaut.

Gelegentlich kommen einige der Eingesperrten aus dem Container heraus. Die jüngste Tochter (Jennifer Frank), fast noch ein Kind, raucht draußen und reißt ihrem geliebten Kaninchen das Fell aus. Die meisten Mitglieder dieser Familie leiden offenbar an psychischen Störungen.

Susanne Barth spielt mit starrer Mimik eine Verwandte, die ständig herumläuft und putzt, eine andere Verwandte (Karin Pfannmatter) schmückt sich mit einem Talmi-Diadem, eine der erwachsenen Töchter (Lina Beckmann) schaut leicht debil, lutscht unentwegt aufreizend Lollies und lässt sich von ihrem Vater sexuell benutzen, vor den Augen aller Anderen, die dagegen auch nichts einwenden.

Nachdem Vater Norbert (Markus John) einen seiner Söhne mit einem Gewehr angeschossen hat, geht die Mutter der Familie (Julia Wieninger) immerhin zur Polizei. Kurz darauf kommt sie mit einem Polizisten zurück, der den tobenden Norbert tatsächlich abführt. Norbert kommt jedoch sehr schnell zurück und setzt sein Schreckensregiment fort.

Für zwei der Söhne scheint es noch Hoffnung zu geben, aus eigener Kraft ein eigenes Leben anzufangen Der Eine (Murali Perumal) der, adrett gekleidet, hingebungsvoll eine Perücke frisiert, könnte allerdings auch unter einer Zwangsneurose leiden und nicht wirklich Friseut werden wollen. Der Andere jedoch (Christoph Luser), wegen seiner Homosexualität von der Familie geschmäht, zieht gern Frauenkleider an und träumt von einer Karriere als Star einer Transvestitenshow. Auf dem Dach des Containers probiert er seinen großen Auftritt. Und dann steht er wieder unten in seiner Alltagskleidung und schaut so naiv und sehnsüchtig wie John Boy in den Waltons.

Vater Norbert verteilt Geld an seinen Clan, und alle schwirren aus, um sich etwas Hübsches zu kaufen. Dann wedelt Norbert mit seinem Geldbündel und lockt eine wunderschöne Prostituierte (Miriam Glaser) in den Wohncontainer. Die zurückkommende Familie platzt in dieses Stelldichein hinein, wodurch Norbert jedoch nicht außer Fassung gerät.

Für die Mutter und den Rest der Familie ist nun aber Schluss mit der Unterordnung. Der Tyrann muss weg. Die demente Oma im Rollstuhl (Michael Wittenborn), die sonst nichts mehr schnallt, wittert das Komplott und protestiert vehement gegen den Mord an ihrem geliebten Sohn, der sie genauso menschenverachtend zu behandeln pflegt wie alle Anderen.

Trotzdem kann der Plan durchgezogen werden. Norbert wird mit Kartoffelpüree, gewürzt durch eine erhebliche Menge Rattengift, niedergestreckt. Er stürzt zu Boden mit Schaum vor dem Mund, spuckt Schleim aus, stirbt aber doch nicht – diese Familie hat wirklich Pech – sondern ist geistig und körperlich behindert.

Danach entkleiden sich die SchauspielerInnen aus für mich nicht ersichtlichen Gründen, aber immerhin ist das Stück endlich vorbei, das ich zwei Stunden lang äußerst mühsam durchgestanden habe. Das in der Tat furchterregende Monster, das Markus John zum Leben erweckt hat, wird mich hoffentlich nicht in Albträumen verfolgen.

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