Was soll ´s – Trauriger Shakespeare im Renaissance-Theater

Gegen die Idee, sämtliche Rollen des Stücks alt zu besetzen, ist nichts einzuwenden. Unabhängig davon, dass wir in einer Gesellschaft leben, die zu einem großen, ständig wachsenden, Teil aus alten Menschen besteht, herrscht ja im Berufsleben ungebrochen der Jugendwahn, von dem auch die Theater ergriffen worden sind. Nachdem dort immer häufiger Rollen, die für Ältere geschrieben wurden, ganz jung besetzt werden, ist es nur gerecht, den Spieß einmal umzudrehen.

Ilse Ritter ist auch mit über sechzig glaubwürdig in der Doppelrolle Viola/Sebastian. Sie sieht zauberhaft aus in ihrem roten Anzug mit kurzen Hosen und dem weißen Matrosenkragen, und sie gibt die Viola in klassischer Manier, fesch und sehr verliebt, immer in Gefahr, dem angebeteten Orsino zu früh einzugestehen, dass sie ein als Junge verkleidetes Mädchen ist, und sie gerät so wundervoll ins Schwärmen, wenn sie für Orsino um Olivia wirbt. Kein Wunder, dass diese sich in den poetischen Boten verliebt.

Als Violas Zwillingsbruder Sebastian fügt Ilse Ritter, mit angeklebtem Schnurrbart, dem Liebreiz der Viola einen Hauch von herber Männlichkeit hinzu und überzeugt auch als romantischer Jüngling.

Elisabeth Trissenaar als Olivia spielt eine exzentrische Frau, die von leidenschaftlicher Liebe ergriffen wird. Das ist hinreißend zu erleben. Jedes Wort stimmt, jeder Gedanke wird lebendig, und dabei wird das Alter dieser Frau völlig unwichtig.

Wundervoll ist auch Angela Schmid als Marie. Diese Rolle ist altersmäßig gar nicht festgelegt, und der Gedanke an Alter kommt bei Angela Schmids komödiantischem Spiel ohnehin nicht auf. Sie schwebt leichtfüßig über die Bühne, ist ein bisschen skurril, fröhlich und sehr übermütig und bringt immer wieder Tempo in den allzu zäh dahinfließenden Ablauf des Geschehens.

Leider ist die große Lachszene der Marie, in der schon viele Schauspielerinnen brillieren konnten, in dieser Inszenierung gestrichen. Statt Marie lacht Olivia, aber nur ein bisschen. Gerade wenn es Elisabeth Trissenaar gelingt, das Publikum mit ihrem perlenden, girrenden Heiterkeitsausbruch anzustecken, ist die Szene vorbei und der Spaß zu Ende.

Es entsteht der Eindruck, der Regisseur habe die Absicht verfolgt, das Publikum keinesfalls zum Lachen zu bringen, und tatsächlich wird wenig gelacht an diesem Premierenabend.

Sehr komisch allerdings ist Hans Diehl als Sir Andrew Aguecheek. Aber während es sich leicht über einen jungen, törichten Junker Bleichenwang lachen lässt, ist ein weißhaariger alter Trottel mit seinem senilen Liebeswahn und seiner Realitätsferne eher erschreckend und lässt an Demenz denken.

Markus Boysen ist mit seinen fünfzig Jahren nicht zu alt für die Rolle des Sir Toby Belch, aber er scheint mit dieser Rolle nichts anfangen zu können. Boysen rudert bedrohlich mit den Armen, grölt oder grummelt häufig Unverständliches und scheint sich ständig in sich selbst verkriechen zu wollen.

Dieter Laser als Orsino treibt das Spiel mit dem Alter auf die Spitze. Anstatt den jungen Liebhaber zu geben, der ihm, Dank seiner immer noch vorhandenen Attraktivität, sicher abgenommen würde, spielt er einen geilen Uralten mit viel Pathos in ermüdender Breite.

Malviolio wird traditionell relativ alt besetzt. Diese Figur soll auch den Eindruck erwecken, sie sei niemals jung gewesen. Vadim Glowna bewegt sich zunächst mit angemessenem Ernst als Mavolio. Schließlich aber, als sein absurder Auftritt in gelben Strümpfen mit kreuzweise gebundenen Kniegürteln, seriös unterspielt, nicht so recht ankommt, sprengt Glowna die Rolle, wird derb volkstümlich und erntet damit den einzigen Szenenapplaus der Premiere.

Gitte Haenning ist ein sehr trauriger Narr. Ihre entschlossenen Abgänge kontrastieren mit ihrer Verlorenheit auf der Bühne. Den wenigen Text, den der Regisseur ihr gelassen hat, flüstert sie fast, und ihre musikalischen Einlagen, poetischer Jazz, komponiert von Lisa Bassenge, säuselt Gitte ohne Intensität vor sich hin.

Gitte Haenning ist völlig allein gelassen von der Regie wie alle Anderen in dieser Inszenierung. Die Soli von Elisabeth Trissenaar, Ilse Ritter, Angela Schmid und Hans Diehl ragen in einsamer Größe empor. Ein Zusammenspiel ist nicht erkennbar, und an Tempo fehlt es ebenso wie an Spannung.

Das Bühnenbild, das Armin Holz gemeinsam mit dem Maler Matthias Weischer konzipiert hat, ist sparsam, wirkt surrealistisch und ist durchaus eindrucksvoll, passt aber nicht zu den, ebenfalls von Holz und Weischer entworfenen, märchenhaft bunten Phantasiekostümen.

Ein trauriger Abend, der glücklicherweise dennoch einem Teil des Publikums gefiel, denn am Schluss gab es Applaus und Bravorufe.

„Was ihr wollt“ von William Shakespeare, eine Koproduktion der Ruhrfestspiele Recklinghausen, des Théatre National du Luxembourg, des Renaissance-Theaters Berlin und des Grand Théatre de Luxembourg hatte am 12.06. Premiere im Renaissance-Theater. Weitere Vorstellungen: 16., 18., 19., 20., 22., 24., 26., 27., 29. und 30.06.2010.

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