Was die Kataloge bewahren – Serie: Erneuert und glanzvoll wiedereröffnet: „Renaissance. Barock. Aufklärung. Kunst und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (Teil 3/3)

Das bezieht sich auf die Anschauung, auf den Blick aus unseren Augen auf die Gemälde und übrigen Gegenstände. Es gibt aber noch einen anderen Weg, sich einerseits das damalige Leben zu vergegenwärtigen und mehr über die ausgestellten Kunstwerke zu erfahren, auf daß Sie diese tiefer erfassen: die Kataloge. Natürlich ist das keine Alternative, sondern Besuch und Katalog zwecks Nachbetrachtung und Wiedererinnern folgen einander, worauf hin sich oft ein erneuter Besuch anschließt, denn zu den Wunderdingen um die Museen und ihre Sammlungen gehört eben auch, daß man immer mehr entdeckt, wenn man sich erst einmal auf genaues Hinschauen eingelassen hat. Wenn man allerdings aus vielfältigen Gründen überhaupt nicht nach Nürnberg gelangt, dann ist es immer noch besser, sich einen der Kataloge zu besorgen, als keine zu haben und damit nur das zu wissen, was man aus Zeitungsartikeln erfährt: auf jeden Fall zu wenig.

Von den neuen Kataloge gibt es bisher drei Teile, der jüngste nun der von Daniel Hess und Dagmar Hirschfelder zur neuen Schausammlung herausgebrachte, der auch als Grundlagenwerk über diese Zeitspanne genutzt werden kann. Unter Stichworten wie „Kontinuität und Neubeginn“ räumt er auf mit der immer noch vertretenen, aber längst ad acta gelegten strikten Trennung von Hochmittelalter und Beginn der Neuzeit. Das ist alles Schnee von gestern, denn das Mittelalter war nicht so dunkel wie uns suggeriert wurde und die Neuzeit nicht so strahlend vom Geist der Vernunft diktiert, wie es sich die Helden der Renaissance selbst vormachten.

Es gefällt uns gut, unter welchen Überschriften die Vielzahl der Entwicklungen zusammengefaßt werden: Bild und Glaube, Die Kultur der Erscheinung, Neue Kunst und neues Sammeln, Inszenierung und Reflexion sind eine mutige Rubrizierung, um die Vielfalt der Entwicklungen in je eine Richtung zusammenzufassen. So entblättert sich „Die Kultur der Erscheinung“ in fünf Teilbereiche wie „Zeichen der Distinktion: Kleidung und Schmuck“ oder „Bilder und Zeichen ständischer Repräsentation“ etc., wobei in diesem Kapitel der Fokus gerichtet wird auf „Hirten und Ziegenböcke: Der Traum vom Leben im Einklang mit der Natur“. Ab Seite 387 dann der Katalog der ausgestellten Werke, den man braucht, will man etwas aus der Ausstellung wiederfinden. Daß das geradezu leicht fällt, verdankt sich der doppelten Beschriftung, die einmal inhaltlich ist, z. B. Historienbild und Genreszene und einmal nach der Nummer der Kabinette und Säle erfolgt, hier Raum 122.

Als erster Katalog erschien 2002 von Jutta Zander-Seidel „Kleiderwechsel“, wo es um Frauen-, Männer- und Kinderkleidung des 18. bis 20. Jahrhunderts geht, die der Ausstellung folgen. Da verwundert einen erst einmal der zeitliche Rahmen der Jahrhunderte, der aber den einsichtigen Grund in der Empfindlichkeit der Gegenstände hat, das, was man konservatorische Gründe nennt. Es gibt aber noch ein Weiteres, daß die Kleiderfrage ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in eine neue Richtung weist. Seit dem Mittelalter galt eine durchaus sklavisch gehandhabte Kleiderordnung. Da dürfen uns die bunten Beinkleider und die so herrlich unterschiedlichen Wämser und Tücher und Hüte und Hosen der mittelalterlichen, erst recht der spätmittelalterlich bunten Bilder und Drucke nicht täuschen. Das war genau festgelegt, welcher Stand sich wie bekleiden durfte, ja, was man tragen mußte, wollte man dazugehören.

Hintergrund für die Veränderungen sind die neuen Wirtschaftstheorien, die zu neuen wirtschaftlichen Verhältnissen führen, die allesamt die einst eherne Stände- und Zünfteregelungen aufweichen, wozu kommt, daß das Anwachsen der Städte – Stadtluft macht frei – eine neue Gesinnung, ein neues Bild vom Menschen prägt. Dieses neue Bild hat schon viel mit den neuen Freiheits- und Gleichheitsforderungen zu tun, was die folgenden Jahrhunderte mit der Aufklärung und Kants Forderung fortsetzen, daß der Mensch sich seines eigenen Verstandes zu bedienen habe und Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit bedeute. Was das mit Kleidern zu tun hat. Nicht alles. Aber fast alles. Das zeigen die Texte und vielen Bildbeispiele im Katalogband, den man auch deshalb immer wieder gerne zur Hand nimmt, weil es einst gelebtes Leben ist, das uns in den Abbildungen der Gegenstände entgegenkommt.

So bildet der Katalog das neue Konzept der Ausstellung ab und stellt es dem früheren gegenüber. Damals nämlich wurden in einem sogenannten Trachtensaal des Germanischen Nationalmuseums alle Trachten des deutschsprachigen Raumes vereint. Zudem gab es eine scharfe Trennung zwischen Volkstrachten und dem ’bürgerlichen Kostüm`, was nun wiederum in Richtung dessen geht, was die Museumsgründer seinerzeit mit der Kostümsammlung „aller Stände und Classen“, also auch aller Anlässe, Geschlechter und Altersklassen vorhatten.

Auf 1000 Quadratmetern findet Platz, was im Buch auf 271 Seiten zusammengetragen ist, wobei erst im Anhang ab Seite 242 der Katalog der ausgestellten Werke beginnt, kurz und bündig, weil viele Objekte schon in den Grundlagenartikeln behandelt sind. Da geht es einmal beim Rundgang 1 um die Leitmotive der Kleidung, wo die Jahrhunderte separiert dargestellt werden. Im Rundgang 2 hingegen werden Themen behandelt, wie Damenwäsche, Kopfbedeckungen , Bauernwelten, Modenschau, Schuhe oder Bleyle – ist das heute noch ein Begriff oder längst eine Generationenscheide geworden? Wobei uns einfällt, daß Schießer gerade Konkurs ging, als Marke aber noch bekannt ist. Das sind Namen, die für Produkte standen, die jeder kannte. Das Museum bewahrt sie, die Museumskatalog auch.

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Der zweite Katalog: Mittelalter. Kunst und Kultur von der Spätantike bis zum 15. Jahrhundert gilt der 2006 neu eingerichteten Schausammlung, die nach den selben Prinzipien wie die spätere eingerichtet wurde, nur mit ganz anderen Voraussetzungen. Was uns als Mittelalter selbstverständlich ist, ist eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts. Erst damals entstand die Begeisterung für das „Romantische“ oder auch ein Kult um Deutschtum, das sich aus dem Germanentum entwickelt habe, was mehr Wunschdenken, denn Realität war. Der Katalog stellt also erst einmal die 150 jährige Geschichte der Mittelaltersammlung des Museums dar und folgt dann der Ausstellung in siebenKapiteln, in denen viele der Objekte in Bunt abgebildet sind, die abschließend ab Seite 387 im Katalog der ausgestellten Objekte sehr kurz nach Herkunft, Datierung, Provenienz , Beschaffenheit und Literatur aufgeführt sind.

Die sieben Themen lauten „Übergang und Wandel“, was die Anfänge in Rom und Byzanz meint, einschließlich der Karolinger und der Christianisierung. „Hochmittelalter“ umfaßt die Kunstwerke der Ottonen, Salier und Staufer, die Textilien, Münzen und Siegel sowie die Funktion der Stifter als Exkurs, der Focus genannt wird. Die weiteren Kapitel „Bilder und Riten“, „Das Kirchengebäude“, „Das 14. Jahrhundert“, „Kirchenschatz und Liturgie“ sowie „Stadtkultur und Frömmigkeit“ zeigen, wie stark Kirche und Glauben die Lebenswelt des Mittelalters bestimmte. Das zum formalen Aufbau.

Blättert man im Band, bleibt man an den so eigenen Marienfiguren hängen, wie der thronenden Muttergottes aus Südtirol um 1230, die die starre Haltung auf dem Thron vereint mit einem bäuerlichen, lieblichen Gesicht und ein Gegenbild abgibt zu den weiteren Madonnenfiguren aus Südtirol, die aber allesamt die Mariendarstellung der Romanik tradieren, wo die Gottesmutter auf dem ’Sedes Sapientiae` als Sitz der Weisheit thront, der später die bewegten lieblichen Marien des schönen Stils, der internationalen Gotik , meist im Stehen mit tollen Faltenbildungen der Gewänder, folgen.

Aber auch dem Kreuz und dem Kruzifixus gilt ein eigener Abschnitt, in dem die theologischen Voraussetzungen für die Bildgestaltung benannt werden und die Geschichte seiner Entwicklung in der Kunst in Text und Bild dargestellt wird. Die Jahre 1160/1220 werden angegeben für das Triumphkreuz aus St. Maria im Kapitol aus Köln auf Seite 131, wo erstmals der sogenannte Drei-Nagel-Typus die romanischen vier Nägel ablöst, denn bis dahin war der Gottessohn mit beiden Beinen längs bis zu den Füßen und den glatt ausgebreiteten Armen geschnitzt worden. Nun fängt er an den Kopf zu neigen und in der Hüfte diesen Schwung zu erhalten, der später zur S-Kurve ausläuft, was nur geht, wenn die Füße übereinandergekreuzt sind. Ach, es gibt so vieles, was uns diese mittelalterliche Kunst zu etwas Besonderem macht. Der Katalog bewahrt es.

Info für Besucher: Am Sonntag, dem 21. März, können die Besucher erstmalig „Die Galerie im neuen Glanz“ entdecken, es warten ein spannender Reigen von Führungen und eine Kinder-Eltern-Aktion.

Katalog: Renaissance, Barock, Aufklärung. Kunst und Kultur vom 16. bis 18. Jahrhundert, hrsg. von Daniel Hess und Dagmar Hirschfelder, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2010

Katalog: Mittelalter. Kunst und Kultur von der Spätantike bis zum 15. Jahrhundert, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2007

Katalog: Kleiderwechsel, Frauen-, Männer- und Kinderkleidung des 18. Bis zum 20. Jahrhunderts, hrsg. von Jutta Zander-Seidel, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2002

Internet: www.gnm.de

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