Warum? – Serie: Letzter Schritt vor dem Finale: Jury nominiert sechs Romane zum Deutschen Buchpreis 2009 (Teil 2/2)

Die Jury des Deutschen Buchpreises 2009: Dr. Lothar Müller, Michael Lemling, Dr. Hubert Winkels, Prof. Dr. Martin Lüdke, Richard Kämmerlings, Iris Radisch, Dr. Daniela Strigl (v.l.n.r.)

Um einen solchen geht es nämlich, um einen Österreicher oder um gleich zwei, wenn nicht zweieinhalb. Der eine ist der Brenner, die Kunstfigur des Wolf Haas, die in den Verfilmungen der bisherigen Kriminalromane von Josef Hader gespielt wird, weshalb wir beim Lesen der wörtlichen Rede des Brenner immer den Hader vor uns sehen und überhaupt glauben, daß dieser dem Haas, Wolf seine Geschichten vorerzählt, die dieser dann zu Papier bringt. Aber Kriminalromane zeichnet die Jury des Deutschen Buchpreises wohl nicht aus. Dabei sind das gar keine. Auf jeden Fall ist „Der Brenner und der Liebe Gott“, erschienen bei Hoffmann und Campe, nimmer ein Krimi, wohl aber eine Roman der angewandten Philosophie, denn was sich der Brenner alias Hader alias Haas da alles zusammendenkt, das braucht beim Lesen seine Zeit. Weshalb wir dies Buch im öffentlichen Nahverkehr immer in der Tasche hatten, und die Umsitzenden erfreuten über unsere glückliche Miene beim Lesen, die manchmal zurückfragten, ob sie wissen dürften, was uns so amüsiert und gefällt.

In der Tat ist es ein Roman aus aneinandergereihten Lebensfragen, die oft mehr Antworten geben, als wir überhaupt Fragen hatten, was dazu führt, daß man noch mal liest und immer tiefer, wenn schon nicht in die Senkgrube des Schufts, so doch in die Gehirngänge des Brenner gerät, der mehr noch als ein von den Toten wiederauferstandener Detektiv ein Alltagsphilosoph ist, der sich keiner speziellen Lehre verpflichtet glaubt, wenngleich er von sich denkt, er sei ein Hedonist, und doch die Sadomasomasche für sich persönlich durchzieht, immer wieder in das tritt, was doch eigentlich in der Jauchegrube liegen sollte und dort auch besser aufgehoben wäre, als unter seinen Schuhen oder sogar den nackten Füßen des Brenner. Aber dafür liegt in der Grube noch so manches und mancher, also nein, jetzt schreiben wir nicht weiter über ein Buch, das verkannt wurde. Deutschland ist also noch nicht reif, einen solchen Roman als das zu würdigen, was er ist, ein Grundlagenwerk über das Leben von heute und was das Ganze überhaupt soll. Was uns dabei ärgert, ist diese Eingruppiererei. Denn weder hat Haas bei den Krimis und der Krimibestenliste eine Chance: zu wenig Krimi!, noch bei der Romanprämierung: zu viel Krimi.

Und wo ist eigentlich Terézia Mora geblieben, mit „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, bei Luchterhand erschienen und für uns auf jeden Fall unter die letzten Sechs gehörend. Thomas Glavinic ist das dritte Mal dabei, aber war nur 2007 auch bei den letzten Sechs. Er verkörpert wie keiner sonst den Wettbewerbscharakter des Preises. Warum dieses Mal sein „Das Leben der Wünsche! aus dem Hanser Verlag nicht weiterkommt, begründet uns niemand. Brigitte Kronauer war mit „Zwei schwarze Jäger“ im Verlag Klett-Cotta eigentlich auch eine gesetzte Bank. Ernst-Wilhelm Händler mit „ Welt aus Glas“ in der Frankfurter Verlagsanstalt wäre auch einmal dran gewesen, wenn der eigene Ton und das Besondere bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises noch eine Rolle spielen sollen. Peter Stamm ist mit „Sieben Jahre“ aus dem Fischer Verlag auch zumindest ein Anwärter für die Sechserliste gewesen. Er hat eine weitere Chance beim Schweizer Buchpreis, für den man, um ihn zu gewinnen, ein Schweizer sein muß oder ein deutschschreibender Ausländer, der in der Schweiz lebt.

Wir hätten auch eine Auswahlentscheidung für Anna Katharina Hahns „Kürzere Tage“ aus dem Suhrkamp Verlag gut verstehen können, denn das ist eine Geschichte von heute, von der man sich vorstellen kann, daß sie auch solche zum Lesen verführen könnte, die das nicht dauernd machen. Stattdessen haben wir eine Liste, bei der man sich erst einmal mit vielen Unbekannten beschäftigen muß. Das nun wiederum muß nicht schlecht sein. Aber da Herta Müller mit „Atemschaukel“, verlegt vom Hanser Verlag, dabei ist, die prominenten Kollegen aber draußen blieben, kommt es einem vor, als ob ein schwächeres Feld vorbereitet wird, in dem Herta Müller dann einfach herausragt und gekürt wird. Erst recht, wo ihr Roman literarisch selbstreferenziell ist, handelt er doch in Rumänien am Beispiel eines jungen Mannes – des Dichters Oskar Pastior – für die gesamte Minderheit der Deutschen in Siebenbürgern unter Kriegzeiten und erschienen bei Hanser, dessen Verleger Pastior in besonderer Weise verbunden ist.

Wir haben von den Ausgewählten bisher von den Verlagen noch nicht zur Rezension erhalten: Herta Müller und von Clemens J. Setz „Die Frequenzen“. Stephan Thome mit „Grenzgang“ í­m Suhrkamp Verlag lesen wir gerade. Das Buch gefällt uns gut, weil die Geschichte stimmt und auch sprachlich bewältigt wird. Der Autor kommt aus Hessen, lebt aber in Taiwan, was dann nicht so sehr überrascht, wenn man weiß, daß er u.a. Sinologe ist. Rainer Merkel mit „Lichtjahre entfernt“ im Fischer Verlag, „Du stirbst nicht“ von Kathrin Schmidt bei Kiepenheuer & Witsch und Norbert Scheuers „Überm Rauschen“ im Verlag Beck liegen zum Lesen bereit. Demnächst also in diesem Theater.

Die Liste der nominierten Romane in alphabetischer Reihenfolge und ihrem jeweiligen Erscheinungsdatum sind:

– Rainer Merkel, „Lichtjahre entfernt“ im Fischerverlag, März 2009

– Herta Müller, „Atemschaukel“ beim Verlag Hanser, August 2009

– Norbert Scheuer, „Überm Rauschen“ im Verlag Beck, Juni 2009

– Kathrin Schmidt, „Du stirbst nicht“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Februar 2009

– Clemens J. Setz, „Die Frequenzen“ im Residenzverlag, Februar 2009

– Stephan Thome, “Grenzgang” beim Suhrkampverlag, August 2009

Info:

Der Börsenverein teilt mit: Unterstützt wird der Deutsche Buchpreis von Paschen & Companie und der 1822-Stiftung der Frankfurter Sparkasse. Weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis vor allem bei der Medienarbeit im Ausland. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur übertragen die Preisverleihung live im Rahmen von Dokumente und Debatten auf der LW 153 und 177 kHz und auf der MW 990 und 855 kHz sowie im digitalen Satellitenradio DVB-S, Bouquet ZDF.vision und per Livestream im Internet unter www.dradio.de. Ab dem 22. September 2009 werden Auszüge aus den Shortlist-Titeln in englischer Übersetzung und ein englischsprachiges Dossier zur Shortlist auf dem Internetportal www.signandsight.com präsentiert.

Weitere Informationen und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.

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