„Wahnsinnig persönlich und biographisch“ – Serie: „The Lucid Evidence“ und „Not in Fashion“ zeigen zwei Foto-Ausstellungen im MMK in Frankfurt am Main (Teil 1/3)

Ein ganzes Haus voller Fotos? Wer allerdings weiß, wie seit vielen Jahren vor allem Ausstellungen von Fotografien junge Leute anziehen, muß sich um die Rezeption keine Sorge machen, zumal es sich bei dieser Werkschau, fangen wir erst einmal mit der Modeausstellung an,  um eine handelt, die nicht die Hochglanzfotos der Werbeindustrie oder der Starfotografen zeigt, sondern unter inhaltlichen Aspekten zusammengestellt eine Welt vorführt, die sich einst gegen das Diktat der Modezaren, gegen die Bilder des Pret-í -porter, der Haute Couture und der Mainstream-Modemagazine richtete.

So sehr es Absicht ist, einen Blick hinter die schillernden Kulissen zu werfen, so sehr wird doch in diesen Bildern, die sich also wie der Titel sagt, gegen die herrschende Modeabbildung richtet, doch ein neues Antimodebild wieder modisch. Nicht schön zu sein, den Alltag abzubilden, den Körper verrenkt oder ärmlich bekleidet zu zeigen oder Fratzen zu ziehen, verkommt in der Modewelt alt Antibewegung schnell wieder zur Mode. Wir vergaßen zu fragen, wie teuer diese Fotografien heute sind, will sagen: ob sie billiger oder teurer sind als die damals herkömmlichen Hochglanzfotos.

Eigentlich aber sollte man die generellen Urteile lassen und sich auf die von Sophie von Olfers kuratierten rund 500 Fotos von zehn Fotografen selber einlassen, die zudem völlig unterschiedlich sind. Alles fing mit Kate Moss an, zeigen ihre Porträts von Corinne Day (ab 1990), die sie entdeckte, und deren erste Bilder  in der Fotostrecke „The 3rd Summer of Love“ und den Privataufnahmen am Strand ein unbekümmerte, freches und gut aufgelegtes junges Mädchen zeigen. Wolfgang Tillmans, der auch frühe Moss-Bilder zeigt, hat sich in seinem Raum dazu entschieden, nur die im i-D-Magazin oder Purple veröffentlichten Bilder an die Wände zu hängen, denn ihm geht es darum, das Lebensgefühl der Zeit gerade in der veröffentlichten Meinung darzustellen.

Sicher gehören die Fotografien von Jürgen Teller zu den berühmtesten, der bei den Modeschauen bekannter Designer dann ebenfalls bekannte Models wie Kristen McMenamy dazu brachte, sich ein Herz auf die nackte Brust malen zu lassen mit dem Wörtchen VERSACE – für dessen Label sie viel arbeitete – und nämliches dann auf der nackten Rückfront zeigt, wobei man sehen kann, wie gut die Herzform auch den Hintern umrahmt (1996). Auch wenn beabsichtigt ist, hier dekuvrierend den müden Alltag solcher Modeikonen, abgeschminkt, abgespannt, Grimassen schneidend, den Schönheitskult mit Blinddarmnarben und roten Hautstellen konterkarierend, darzustellen, kommt doch wieder eine berühmte Fotografie heraus und dementsprechend auf ungewöhnliche Weise eine Werbung für VERSACE, auch wenn es anderes gemeint ist.

Das ist die zeitkritische Sicht von heute auf diese Fotos der vor allem frühen Neunziger Jahre, die sich branchenkritisch verstanden. Man sollte aber versuchen, die Fotos von innen zu schauen und sich selbst bei den Bildern überlegen, warum die Designer, Stylisten und Fotografen diese Antibilder gegen den Körperkult der Zeit – unsere Zeit ist nicht anders! Nur raffinierter, weil sie diese Antibilder in den Hochglanzfotos perfekt integriert – warum also diese Bilder gegen das Mode- und Modeldiktat entstanden sind. Dann ist man schnell bei gesellschaftspolitischer Kritik per Foto, wie sie stellvertretend Inez van Lambsweerde und Vinoodh Matadin in wirklich furchterregender Bearbeitung schon 1993 zuwegebrachten, wo eine eigentlich schöne Nackte nur noch glatt und mit glänzender Haut zu einem Bastard mutiert, in dem ihr alle individuellen Merkmale wie Brustwarzen, Scham oder irgendwelche Härchen am Körper entfernt sind und sie eigentlich wie eine Plastikfigur wirkt. Wesenlos und seriell.

An solchen Stellen weiß man, welchen kritischen gesellschaftlichen Wert Fotografien haben können, wie sie aufschrecken lassen. Wir haben also in dieser Ausstellung mit beidem zu tun. Mit der Kritik an ihrer eigenen Welt durch die Betroffenen durch Fotos, die übrigens richtig oft zum Brüllen komisch sind oder wie das „Suzanne & Lutz“ von Wolfgang Tillmans die besitzergreifende Rolle von Männern und Männerhänden über Frauen mit fotografischer Inszenierung auf den Punkt bringt – übrigens weit über die Modefotografien hinaus.

Wir haben aber gerade angesichts So-guter-Laune-Fotos einer Antibewegung eben auch damit zu tun, daß sich in dieser Branche ein dunkler Abgrund auftut, was das Verhältnis von Mann und Frau angeht, fast immer konkretisiert zwischen männlichem Fotografen und weiblichem Modell. Und das können diese Fotos nicht zeigen. Das kann man dann nur aus Selbstmorden oder den Beichten und Berichten der Betroffenen erlesen, die darstellen, wozu man sie zwingen wollte oder wozu sie sich selbst dann an sexueller Dienstleistung bereit erklärten, um in dieser Modewelt und ihrer Abbildung in Zeitschriften dazuzugehören. Ein dunkler Kontinent. Interessant allemal.

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Ausstellung: bis 9. Januar 2011

Die vielen Veranstaltungen zur Ausstellung bitte der Webseite entnehmen.

Katalog: NOT IN FASHION. Mode und Fotografie der 90er Jahre, hrsg. von Susanne Gaensheimer, Sophie von Olfers, Kerber Verlag 2010

Während die Ausstellung nach Künstlern ’geordnet` ist, ein herkömmliches Prinzip bei Ausstellungen, sucht man dieses im Katalog vergeblich, flucht auch erst mal, wenn man ein bestimmtes Bild nicht findet, entdeckt dann, daß hier die ’Ordnung` der Bilder chronologisch erfolgt, also die Jahr ab 1990 kontinuierlich zeigen, was einen völlig anderen Blick ergibt, wird also zunehmend begeisterter für diese Präsentation und findet am Schluß, man müßte mit dem Katalog in der Hand durch die Ausstellung wandern und die Bilder in den Künstlerräumen dann noch einmal auf ihren Zeitbezug mit anderen Fotografen überprüfen. Beim ewigen Suchen nach Bildern fiel dann ein didaktischer Trick auf: durch das unentwegte Blättern sah man auf einmal Bilder, die man noch nie sah, obwohl man doch gerade in der Ausstellung war. Das ist immer so. Die Aufmerksamkeit nimmt ab, aber sie nimmt wieder zu, wenn der Kontext, wie hier, ein anderer ist. Sehr zu empfehlen also.

Internetwww.mmk-frankfurt.de

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