Von heute, aber so schön wie von gestern – Serie: „Walton Ford. Bestiarium“ ist jetzt Publikumsmagnet in der Albertina in Wien (Teil 1/2)

Walton Ford

Und wenn der Besucher schon in der Albertina ist, dann kann er auch noch die anderen Ausstellungen anschauen. Und wenn der Kulturtourist schon in Wien ist, dann kann er auch noch die anderen Museen und Ausstellungshäuser besuchen, denn weder an Sehenswertem noch an Besuchern herrscht Mangel. Nein. Überfluß ist angesagt: kulturell brummt Wien sozusagen.

Und dennoch gelingt es diesen vom Amerikaner Walton Ford geschaffenen 25 sehr großformatigen Arbeiten aus den letzten zehn Jahren, daß sich der Betrachter mit dem Bild und den Tieren alleine wähnt. Liegt es an der Größe der vielen Quadratmeter an den Wänden? Vielleicht auch, aber noch mehr an der eigenwilligen und die Augen fordernden zeichnerischen Malweise des Walton Ford, der einen zwingt, genau hinzuschauen und das Geschehen auf der Leinwand – so imaginieren wir bei den riesenhaften Bildern, er aquarelliert aber auf Papier! – zu verfolgen und damit der Natur ihre Schleier zu entreißen, so wie es schon vor Jahrhunderten die Naturerkunder machten, die in Südamerika, Afrika und sonstwo mit ihrem Zeichenstift genau festhielten, wie die fremden, ach so exotischen Tiere aussahen, wie sie sich bewegten, was sie aßen, wie sie sich paarten, wie sie kämpften, wie sie siegten, aber auch unterlagen und starben. Mit Bleistift, Buntstiften, Wasserfarben.

Wie heute Walton Ford, der allerdings seine farbenfrohen Bilder nicht in Notizbüchern anlegt, sondern mindestens in Lebensgröße auf großen Papierbögen, die aber den Aquarellcharakter, also das Duftige, Durchscheinende, farblich Zarte und Feinsinnige beibehalten, so daß wir nicht aufhören können, dabei auch an Sybilla von Merian aus dem 17. Jahrhundert zu denken, die allerdings beim Kleinformat und der Abbildungsabsicht blieb, weil sie Naturforscherin war und die Zeichnungen, Stiche und Aquarelle als Dokumente lieferte. Beim Künstler Walton Ford dagegen sind es faszinierende tierische Sittensujets, die er vor unseren Augen ausbreitet, und die eine Spannung gewinnen, daß man sich von den einzelnen Wandbildern kaum losreißen kann, weil die Geschichten, die sie erzählen, eben auch unsere Geschichten sind, wir also diejenigen sind, die mit unseren Erfahrungen auf seine Tieraquarelle, also seine Erzählungen von und mit Tieren, die irgendwie immer den Menschen meinen, reagieren und diese weiterspinnen.

Und weil er die Tiere so genau nachahmt, was in Verbindung mit unseren Erfahrungen der naturwissenschaftlichen Dokumentation, zu denen auch Darwins Tier- und Pflanzenzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert sowie die damaligen zeichnerischen Dokumente aus den Kolonien gehören, dazu führt, daß wir erst einmal für Naturwahrheit halten, was Ford als Bestiarium an den Wänden ausbreitet, entschlüsselt sich erst später, daß sich Ford eine eigene Natur zusammenkomponiert und wir nie genau wissen können, ob die Menagerie authentisch ist oder er mit der Stellage der Tiere uns einen tieferen Sinn vermitteln will. Denn sinnhaft ist das Ganze, das zeigen die Vorgaben in Form von Briefen, Tagebuchnotizen oder sonstigen Aufzeichnungen, die er aus der Geschichte der Naturforscher entnimmt und zum Anlaß, oft auch Thema seiner jeweiligen Bilder macht und sie auf diesen zitiert.

Darum ist die Ausstellung in der Albertina auch eine kleine Leseausstellung, denn man sollte sich die Mühe machen, sowohl die feinen alten Schriftzüge, die Ford perfekt nachahmt, auf den Bildern zu lesen, wie auch die Wandtexte, die entweder den Ausgangspunkt, das Motiv seiner Bildfassung erklärt oder auch direkt etwas über die Tiere sagt. Uns Menschen fallen als erstes die Bilder auf, die mit unserem kulturellen Gedächtnis verknüpft sind, wie, daß die Affen fast immer angekettet und zum Idioten des Menschen gestempelt sind, daß sie gleichzeitig aber als Ahne des Menschen auch diejenigen Tiere sind, die am ehesten menschenähnlich agieren und uns vormachen, wie wir sind. „The Sensorium“ aus dem Jahr 2003 ist so ein Bild, das auf echten Feldversuchen aufbaut, diese verhohnepiepeln und uns gleich mit. In freier Wildbahn, aber durch eine Säule und eine Gitter zu dieser abgetrennt, sitzen an einem gedeckten Tisch eins, zwei, drei, nein: zehn Affen, die am unteren Bildrand Namen tragen.

Sie saßen dort. Denn jetzt haben sie sich in einem wilden Getümmel das ergriffen, was der Nachbar sonst vielleicht streitig gemacht hätte. Der Boß, eine Meerkatze, sitzt noch an der Kopfseite und führt melancholisch Buch, was da passiert. Der Kleine da unten knabbert an einem Pfannkuchen und war nicht derjenige, der das schöne blaue Tischtuch mit den roten Blumenmotiven runterreißt. Denn das ist der Obstdieb, der kopfunter das Tablett mit den süßen Früchten noch in der Rechten hält, während die Linke das Tischtuch so herunterkrallt, daß der obere Affe, der ihm das Tablett entreißen will, sich schon auf dem nackten Tisch flegelt. Die restlichen halten noch Hof, trinken den Wein, knabbern an den exotischen Früchten, kraulen sich die Läuse aus dem Fell. Eine feine Tischgesellschaft. Der eine hat schon genug, der zieht enttäuscht von dannen in die Wildnis, die durch die Savanne angedeutet ist.

Diese Wasserfarbenpracht in 152,9 x 302,3 Zentimeter hat Ford als Reminiszenz auf Richard Burton gemalt. Das war ein Offizier, der den Aufenthalt in Indien nutzte, um in einem Experiment mit zahmen Affen herauszufinden, ob Primaten eine Sprache verwenden, um sich auszutauschen. Dazu brachte er vierzig Affen in sein Haus und schrieb ihre Laute auf, um die „Affensprache“ zu entdecken. Jedem affen gab er einen Namen, unterschob ihnen Berufe wie Arzt oder Kaplan und ließ sie in einer Art Refektorium gemeinsam speisen. Auf Stühlen natürlich am gedeckten Tisch und von Dienern verwöhnt, die jedem das Tellerchen und Schlüsselchen überreichte. Burton saß selbst an der Kopfseite, daneben die hübscheste Affenfrau im Babyhochstuhl, die er mit Perlen geschmückt hatte und als seine Frau ausgab. So erfährt man in einer Kunstausstellung auch mancherlei Kurioses, was in einer Biographie über diesen Sprachverrückten, der 29 Sprachen und zwölf Dialekte beherrschte, zu Papier gebracht ist. Fortsetzung folgt.

Ausstellung: bis 10. Oktober

Publikation: Als Katalog verwendbar, aber über diesen hinausgehend finden sich in „Walton Ford. Pancha Tantra“ , Taschen Verlag 2009, alle die Bilder, die in der Ausstellung hängen, wieder. Darüberhinaus aber auf 274 Seiten weitere Bilder, die man in ihrer Abgründigkeit zu lesen gelernt hat. Höhepunkt ist „Nila“ auf den Seiten 136 bis 145, der Elefant, der in den Maßen 365 x 548,6 Zentimeter auf 22 Tafeln aufgeteilt, putzmunter seines Weges geht und als Wirt für so manches Vögelchen dient. Darauf geht Bill Buford in seiner dreisprachigen Einleitung „Feldstudien. Das Bestiarium des Walton Ford“ ausgiebig ein. Er beschreibt nicht nur liebevoll den brünstigen Elefanten mit ausgefahrenem rosa und gebogenem Glied, sondern ebenfalls dessen Zaungäste, den Würger genannten Sperlingsvogel, der es mit einem niedlichen Papageien auf der Spitze des Penis treibt, der wiederum das einzige heimische Tier bleibt, also aus der Heimat des Elefanten stammend, während alle anderen: Stare, Nachtigallen, weiße Eulen, ein Hahn, Geier und mehr Gefieder unsere Breiten bevölkern. Dieses Buch, das man sich selber schenken sollte, bringt nur ein Problem mit sich. Man mag es nimmer aus der Hand legen, hat man sich erst einmal in es vertieft.

Internet: www.albertina.at

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005

Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.

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