Vierschanzen-Tournee der Skispringer: Kamil Stoch nun im Exklusiv-Klub der Allerbesten

Peter Prevz in Garmisch-Partenkirchen. © Foto: Brigitte Waltl-Jensen, OK Vierschanzentournee

Berlin/Bischofshofen, Deutschland (Weltexpress). Am Ende der 65. Vierschanzentournee der Skispringer gab es rot-weiße Jubelarien: Doch nicht die Gastgeber triumphierten am Freitag an der Paul Außerleitner-Schanze in Bischofshofen vor 20 000 Zuschauern, sondern die polnischen „Ski-Adler“: Tagessieg und Rang drei für Kamil Stoch und Piotr Zyla! Gesamtsieg an Stoch vor Zyla und auf Rang vier mit Matej Kot ein weiterer Pole.

16 Jahre nach dem heutigen Sportdirektor im Polnischen Skiverband, Adam Malysz, schaffte also der 29-jährige Kamil Stoch den zweiten Gesamterfolg eines Polen. Es war ein Triumph mit Ansage, denn Stoch war vor drei Jahren bereits Doppel-Olympiasieger. Und auch als Weltmeister und Gesamt-Weltcup-Gewinner weisen ihn die Annalen aus. Mit dem am Ende mehr als souveränen Auftreten bei der Vierschanzentournee – fast 40 Punkte Vorsprung vor dem Zweitplatzierten sind rekordverdächtig – gehört zum exklusiven Kreis von lediglich fünf Sportlern, die einen Sieg-Grand-Slam im Skispringen geschafft haben. Also ganz oben standen auf dem Treppchen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, im Gesamt-Weltcup eines Winters sowie bei der prestigeträchtigen Vierschanzen-Tournee! Vor ihm gelang dieser Coup dem Oberwiesenthaler Jens Weißflog, dem Österreicher Thomas Morgenstern, dem Finnen Matti Nykänen sowie dem Norweger Espen Bredesen.

In der Tournee-Statistik seit 1953 führen nun wie bisher die Österreicher, Finnen und Deutschen mit 16 Gesamterfolgen das Ranking an.

Stochs Abschneiden war ein Resultat mit Ansage, weil die Polen im bisherigen Saisonverlauf im Rennen um die mannschaftliche Nationenwertung neben den Österreichern die Nase vorn hatten. Und Stoch in punkto Wettkampfhärte und Erfahrung den vermeintlichen Hauptgegnern aus Österreich, Norwegen und Deutschland gegenüber ein Plus in die Waagschale werfen konnte. Skispringerisch in der Komplexität von Absprung, Flug und Landung gibt es derzeit keinen Athleten, der Besseres zu bieten hat. Stoch ist der verdiente und logische Gewinner, weil er das beste Paket vorweisen konnte.

Sein letzter verbliebener Kontrahent im Kampf um den Gesamtsieg vor dem Abschlusstag, der 22-jährige Norweger Daniel-Andre Tande, büßte in Bischofshofen nach dem ersten Sprung den knappen Vorsprung vor Stoch ein. Beim letzten Sprung löste sich beim zweifachen Tagesersten dann ein Clip der Bindung, wodurch der Schuh nur durch ein Sicherheitsband am Ski gehalten wurde. Nur durch akrobatische Körperbeherrschung verhinderte Tande einen Sturz. Doch die Landung bei 117 m ließen ihn in der Tageswertung weit zurück und in der Tourneewertung von eins auf drei zurückfallen.

Stoch hatte 134,5 m und 138,5 m bei gewohnt hohen Haltungsnoten erreicht. „Das ist eine unglaubliche Geschichte für mich, ein Traum. So viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Das Finale war so schön, ich bin wirklich auf dem höchsten Niveau. Für Daniel tut es mir aber unglaublich leid“, sagte Stoch.

Seine Rückkehr an die Spitze und der frappierende Aufschwung der gesamten polnischen Equipe wird nicht zuletzt dem neuen Cheftrainer Stefan Horngacher zugeschrieben. Der frühere Weltklassespringer war vorher Assistent bei seinem österreichischen Landsmann und Bundestrainer der Deutschen, Werner Schuster. Da auch die Norweger von einem Österreicher als Cheftrainer betreut werden, darf man konstatieren, dass Lehrkräfte und Dozenten am Skigymnasium Stams und in Innsbruck offensichtlich führend bei der Ausbildung von Skisprung-Experten sind.

Ein wenig unter Wertgeschlagen wurden jedoch die Österreicher selbst. Aber sie stellten immerhin durch den Gesamtsechsten Stefan Kraft einen Tagesersten sowie weitere Podestplätze durch Kraft und den Tageszweiten Michael Hayböck. Geschwächt durch Vireninfekte und nervlich angeknackst durch das turbulente Abbruchspringen in Innsbruck blieb ihnen in der Endabrechnung Rang fünf durch Manuel Fettner als beste Platzierung. „Ich verstehe es nicht, was hier los war, bin ahnungslos“, sagte Kraft.
Etwas rätselhaft mutet auch das Auf und Ab bei den Schützlingen von Bundestrainer Werner Schuster an. Da waren vor Beginn auch medial geschürte (aber unrealistische) Hoffnungen auf ein Mitspringen von Markus Eisenbichler um den Gesamtsieg. Da waren letztlich trügerische Spitzenpositionen von Eisenbichler und Andreas Wellinger (Schanzenrekord mit 144,5 m) in den Qualifikationen. Am Ende blieb Platz sieben durch Eisenbichler und Platz acht durch Stephan Leyhe im Schluss-Tableau und keine Ränge auf den Tages-Treppchen. „Mit den Platzierungen können wir natürlich nicht zufrieden sein“, räumte Schuster ein. „Wir haben zur Zeit einfach keine Siegspringer, aber eine junge Mannschaft mit Potenzial. Das müssen wir versuchen künftig freizulegen.“ Das Resummee von Markus Eisenbichler: „Ich hatte Kopfweh, Rückenschmerzen, Halsweh. Dafür war okay. Ich kann zufrieden nach Hause fahren, das war meine beste Tournee“.

Severin Freund, Routinier mit Vorspringer-Qualitäten, hatte nach einer Hüft-OP im Sommer die Tournee vorzeitig beendet, um sich durch gezieltes Training wieder früheren Spitzenstandards zu nähern.

In der Weltcup-Saisonwertung behauptet der 17-jährige Slowene Domen Prevc nach vier Siegen zu Beginn noch immer Rang eins vor Tande und Stoch. Man darf gespannt sein, welches Leistungsbild die Weltmeisterschaften im Februar/März in Lahti ergeben werden.

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