Vermummte Gestalten in freudloser Gangart – Christine Hobas poetischer neuer Roman „Die Nelkenfalle“ spielt im grauen März 1988

© Mitteldeutscher Verlag

Nach dem Frauentag ist vor dem Frauentag. Die zitierte Passage ereignete sich an einem Frauentag in den achtziger Jahren, in einem Buchladen in Halle, DDR. Was uns heute, Mitte März 2013, mit dem Geschehen vor 35 Jahren verbindet, ist der Überdruss erzeugende Schneefall. Sonst gleicht sich wenig, Schwefeldämpfe und Giftsmog sind längst entwichen. Christine Hoba kehrt mit ihrem Roman „Die Nelkenfalle“ in das Halle der späten DDR-Tage zurück, beginnt am Vorabend des 8. März 1988 ihre Geschichten zu knüpfen, Fäden auszulegen. Hier blickt Diana nachts aus dem Fenster und denkt an ihre Eltern, dort knallt Bruni gegen eine Briefkastentür. Im Briefkasten befand sich die Ladung zur Abteilung Pass-und Meldewesen zur Klärung eines Sachverhaltes. Wird ihre Ausreise genehmigt? Albert Graf betritt einen Blumenladen und ersteht „unter dem Ladentisch“ drei gelbe Rosen. Bernd Busch setzt sein Werk der minimalistischen Malerei fort und Elli Hempel näht einen Keil unter den Ärmel ihrer blauen Bluse mit den Sonnenblumen.

Allen Figuren gemeinsam ist die Buchhandlung, ihr Arbeitsplatz, in der am nächsten frühen Morgen die Auszeichnung zum Frauentag stattfindet, bei welcher Nelken überreicht werden. Abends nach Ladenschluss folgt ein kleiner Umtrunk. Wie dieser lange Tag erzählt ist und wie behutsam Hoba ihr Figurenensemble umeinander schwirren lässt, ist großartig! Die einzige Figur, die etwas außerhalb des Ensembles auftritt, ist der Autor Peter Lärch, Freund Dianas, der nach Paris auswandern möchte. Das Auswandern, Ausreisen ist ein starkes Element des feinen, niemals ausufernden Romans. Eine Gewichtung, die bei den gerade jung Erwachsenen am Ende der DDR-Zeit tatsächlich dominierte.

Nach „Die Waldgängerinnen” (2010) siedelt Christine Hoba wieder einen Roman in der DDR-Zeit an (wie bereits ihr Debüt-Roman „Die Abwesenheit“ 2006), einfühlsam erzählt und schnörkellos. Die gelernte Buchhändlerin Hoba zeichnet ein glaubhaftes Bild der damaligen Gesellschaft anhand des Mikrokosmos Buchhandel und verwebt die Lebensläufe mit dem Stillstand der Gesellschaft. Wie die Agonie endete, ist bekannt. Der Ausblick auf die kommenden Jahre nimmt etwa 30 Seiten des ohnehin schmalen Buches ein, die Schicksale der Protagonisten werden stichpunkhaft markiert.

Schutzengel mühen sich nach wie vor um besonders gefährdete Seelen, können aber nicht jeden retten. Der schreibende anarchistische „Bakunin-Schopf“, der schon früher versucht hatte, einfach zu erfrieren und nun im bunten Nachwendeberlin vor eine Straßenbahn läuft, ist unverkennbar dem Punk-Dichter und Perfomer Matthias Baader-Holst nachempfunden, sein Scheitern war Programm.

„Die Nelkenfalle“ ist ein komprimiertes, knapp geschnittenes Porträt einer Stadt und nahezu einer Generation ihrer Bewohner. Die „vollständig distanzierte Generation“, wie die Forschung die zwischen 1965 und 1975 in der DDR Geborenen bezeichnet, mochten nicht mehr im Gestank von Buna und Kohle leben, nicht mehr in Starre, Verfall und Grau. Mit zarten Farben und Episoden zeigt Christine Hoba ohne zu urteilen, wie ernst, gefährdet und doch vertraut und unmittelbar das Leben sein konnte, an einem Frauentag in Halle, DDR.

„Der Bote kam mit dem Wind. Der wehte schon seit ein paar Tagen einen schwer stinkenden Brodem in Richtung Stadt, den die Schornsteine des Chemiewerkes ausstießen, das in der einst lieblichen Auenlandschaft wucherte”¦ Eine bittere Schicht Karbid lag über der gesamten Gegend. Schon im Frühjahr war kein Blättchen mehr grün.“

Fazit: Große Erzählkunst! Nachdenkliches Gedenken an ein marodes, versunkenes Land

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Christine Hoba, Die Nelkenfalle, Roman, 192 Seiten, Mitteldeutscher Verlag, 2013, 12,95 €

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