»Verbrechen gegen die Menschlichkeit« (Yanis Varoufakis) – Der Film »Macht ohne Kontrolle. Die Troika« beweist die Verschärfung der Ausbeutung durch die Europäische Union

Die Troike aus IWF, EZB und Europäischer Kommission. © rbb

Aber ist es überhaupt Recht, das hier angewendet wird, nicht nur gegen das griechische, sondern auch gegen das irische, spanische, portugiesische und zyprische Volk? Der Frage gehen Harald Schumann und Arpad Bondy in ihrer Dokumentation »Macht ohne Kontrolle. Die Troika« nach, die am Dienstag auf ARTE erstmals ausgestrahlt wird. Die Journalisten recherchierten in Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern, Irland, USA, Belgien und Deutschland die Ursachen und die Folgen der Maßnahmen der Troika zur »Rettung« der verschuldeten Euro-Länder.

Ohne Umschweife kommt Schumann zu dem Schluß, dass die Troika aus IWF, EZB und Europäischer Kommission ein Organ ist, das in keinem internationalen Vertrag und in keiner Verfassung gegründet ist, das heißt, sie besitzt keine Legitimation. Die Gläubiger der verschuldeten Länder – Regierungen und Banken – übertragen Beamten, die niemand gewählt hat, eine enorme Macht. Dieses illegitime Konstrukt unterliegt auch keiner Kontrolle durch ein verfassungsmäßiges Organ. Seine Macht wird allein gestützt durch die Macht der Gläubiger, die Gleichgültigkeit des Europäischen Parlaments und die Schwäche der betroffenen Regierungen, in deren aller Kopf die neoliberale Ideologie verwurzelt ist, der Macht der »Märkte« unterworfen zu sein. Die »Finanzhilfen« verstoßen direkt gegen den Euro-Vertrag, wonach der Zahlungsbeistand zwischen den Ländern verboten ist. Die Inspektionen der Troika empfindet der  zyprische Abgeordnete Nicholas Papadopoulos als »dreisten Überfall auf Staatsebene«. Die ehemalige griechische Arbeitsministerin Louka Katseli beweist, dass die Troika der griechischen Regierung auf erpresserische Weise einen Gesetzestext diktiert hat.

Von Schumanns Rechercheergebnissen seien nur einige genannt, um das Maß des Terrors gegen die verschuldeten Länder zu charakterisieren.

In Griechenland wurde der Gesundheitsetat um ein Drittel gekürzt. Für das Gesundheitswesen werden von der Troika bis zu 6 Prozent der Wirtschaftsleistung gestattet. In Deutschland werden zehn und im europäischen Durchschnitt acht Prozent dafür ausgegeben. 40 Prozent der Krankenhäuser wurden geschlossen, von 5 000 Ärzten der Polikliniken 2 500 entlassen, ein Viertel der Bevölkerung ist ohne Krankenversicherung, weil Gehälter und Renten gekürzt und der Mindestlohn von 751 auf 586 Euro gesenkt wurden. Gefragt, wie die Versorgung mit der Hälfte der Ärzte gesichert werden soll, meint der (entlassene) Gesundheitsminister: »Früher haben sie drei Stunden gearbeitet, jetzt arbeiten sie eben sieben Stunden«.

Varoufakis stellt fest, die Kredite von130 Milliarden Euro seien der größte Kredit  der Geschichte. Das Land sei in eine Dauerverschuldung ohne Ende gezwungen worden. Das sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Von diesem Geld habe kein Grieche einen Cent gesehen, nur französische und deutsche Banken (ihnen drohte, 20 und 17 Milliarden zu verlieren). Eine Liste der Chefin des IWF, Christine Lagarde, von 2062 Griechen wies zwei Milliarden versteckte Gelder bei Schweizer Banken nach. Beamte der Troika hielten sie geheim. Ermittelt wurde lediglich gegen 6 Personen.

In Portugal wurden die Tarifverträge aufgehoben, Löhne gesenkt. Eine Flucht der Intelligenz ins Ausland setzte ein. Offiziellen Prognosen zufolge wird die Bevölkerung von zehn auf sechs Millionen schrumpfen. Trotz der schlechten Erfahrungen in Frankreich und Deutschland werden die Wasserbetriebe privatisiert. Unter dem Druck der Troika musste die portugiesische Regierung die Bank BPN im Wert von 5 Milliarden Euro für 40 Millionen an eine afrikanische Oligarchin verkaufen.

Ein handfester Skandal ist der von der Troika erzwungene Verkauf der griechischen Filialen von zwei zyprischen Banken an die bankrotte Piräus-Bank. Wert: 4 Milliarden Euro, Verkaufspreis: 500 Millionen Euro. Eine vorsätzliche Entscheidung, weil der Troika  Griechenland wichtiger war als Zypern. Einpeitscher war der deutsche Direktor der EZB,  Jörg Asmussen. Schumann kann beweisen, dass Beamte der Troika die Preise festlegten. Das Parlament stimmte zu »mit der Pistole auf der Brust«, sagt ein Abgeordneter. Schumann auf die Frage, ob nicht ein Staatsanwalt sofort ermitteln müsse: »Nein. Die Verantwortlichen haben diplomatische Immunität«.

Schumann befragt europäische Beamte und Abgeordnete nach ihrer Meinung zu Fehlentscheidungen. Sie bügeln alle Zweifel ab. »Negative Auswirkungen der Senkung des griechischen Mindestlohns sind absoluter Unsinn« (Thomas Wieser, Koordinator der Euro-Finanzminister). »Es wird keinen Untersuchungsausschuss geben. Ohne die Troika gäbe es kein Licht am Ende des Tunnels. Die Troika war ein großer Erfolg« (Othmar Karas, ÖVP, MdEP). »Spezifische Fälle (BPN-Bank) kommentiere ich nicht«. (Albert Jaeger, Vertreter des IWF). Einzig beim IWF in Washington gab es im Jahre 2010 Widerstand vieler Experten. Er wurde unterdrückt von dem ehemaligen Direktor Dominik Strauss-Kahn. Für den Deal mit Griechenland wurden sogar die Regeln des IWF still und leise geändert.

Schumann stellt drängende Fragen. Er mahnt: Europas Regierende gefährdeten den Fortschritt der europäischen Einigung, wenn sie Rechenschaft für ihre Fehler verweigern. Mit der neuen griechischen Regierung habe EU-Europa eine Chance zum Umlenken. EU-Kommission, EZB und IWF verweigerten ihm jedoch eine Antwort auf offizielle Fragen.

Je tiefer Schumann in den Sumpf des Machtmißbrauchs der Troika eindringt, desto mehr wird er vom nüchternen Reporter zum Ankläger. Bei seinen Kollegen vom Tagesspiegel hat er Sympathisanten, in der Chefetage nicht. In der Masse der gleichgeschalteten Journalisten wie Rolf-Dieter Krause ist er der einsame Rufer in der Wüste.

Schumann und Bondy gelangen nicht bis zur Einsicht, dass die EU eine imperialistische Allianz ist, die der Verschärfung der Ausbeutung dient. Ihr Film aber liefert die Fakten.

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Macht ohne Kontrolle. Die Troika, Dokumentation von Harald Schumann und Arpad Bondy, Deutschland 2015, ARTE / rbb, 90 Minuten, Erstausstrahlung auf ARTE Dienstag, 21.50 Uhr, Kurzfassung im Ersten 9.3.2015, 22.45 Uhr.

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