Väteraufbruch gegen Filmkritik „Der entsorgte Vater“ – Aus aktuellem Anlaß: 42 Leser schlagen zurück

Ausschnitt vom Plakat zum Film "Der entsorgte Vater"

Damit sind wir aber schon mitten in der Problematik. Nicht um den oft ungerechten Umgang mit dem Sorgerecht für Kinder und dem Zugangsrecht zu ihnen, was Männer meist mehr trifft als Frauen – aber hergehört, wenn diese einer sozial minderbemittelten Schicht angehören, der Vater aber das Geld hat, trifft es auch Mütter – geht es in dem inkriminierten Artikel unserer Kollegin Lida Bach, sondern um eine Filmbesprechung. Darauf legen wir Wert, denn die Mehrzahl der Leserbriefe wirft der Autorin das als ihre eigene ’falsche’ Meinung zum Problem der ’entsorgten Väter’ vor, was diese aber im Hinblick auf die Art und Weise der im Film vorgenommenen Instrumentalisierung seiner eigenen Situation durch den Regisseur persönlich kritisiert. In der Kunst ist es eine alte Wahrheit, daß man nie ungefiltert seine eigenen Probleme 1:1 thematisieren sollte, weil der eigene psychische Druck selten ein guter Lehrmeister für die Vermittlung ist. So auch und besonders hier.

Wir erwarten also vom Leser gleich Zweierlei: Daß er sich vergegenwärtigt, daß es um die Besprechung eines Films, um die Wertung seiner künstlerischen Mittel in Blick auf Wahrheit und das Leben geht und nicht eine gesellschaftliche oder moralische Wertung des allgemeinen Problems darstellt, die in der Rezension ausgedrückt wird. Zweitens – und auch so ist das Leben – haben Menschen zu Filmen und anderen Dingen unterschiedliche Meinungen und mit der muß man nicht übereinstimmen, kann sie kritisieren, auch verdammen, müßte aber immer die Distanz zum Geschehen aufbringen, um mit der von der eigenen Meinung abweichenden Perspektive umzugehen.

Das gilt selbstverständlich auch für Leserbriefe und damit für uns, die Redaktion des Weltexpress. Wir haben alle Briefe sorgfältig durchgelesen, in der Redaktion auch erneut den Artikel der Kollegin diskutiert, die mit ihrem Namen eine Rezension zeichnet, und sehen überhaupt keinen Anlaß, inhaltlich unserer Rezensentin ins Handwerk zu pfuschen, denn davon versteht sie etwas. Stattdessen analysieren wir im folgenden den Tenor und Inhalt der Briefe – die Sie im Original unter dem Artikel vollständig einsehen können – und sagen gleich, daß manche der Aussagen zwar Hämmer enthalten, daß wir uns aber nicht entsprechend der schulmeisterlichen Aufforderung zweier Briefeschreiber „setzen müßten“ , schon deshalb nicht, weil wir beim Schreiben schon sitzen.

“Ein Mann ist schlecht, weil er ein Mann ist!?” fragte Wolfram Dhonau entsetzt am 10.06.2009 10:20 und Goofos ging am 28.05.2009 19:09 noch einen Schritt weiter:

“Was wollen Sie uns damit sagen? Frauen und vor allem Mütter würden niemals Väter entsorgen? (”¦) Was für eine realitätsferne Rezension, die man allerhöchstens unter "Feministin äzt gegen Männer" einordnen kann. “

Das kann man nun den Leserbriefschreibern nicht ersparen, daß sie sich den von ihnen verdammten Artikel daraufhin noch einmal durchlesen müssen. Wir auf jeden Fall haben keine allgemeine Aussage dazu gefunden, in der Männer oder Väter als schlechter, schlechter als Frauen oder in irgendeiner Weise minderwertig dargestellt werden. Noch einmal darum: Die Kritik an einem Film ist nicht gleichzeitig Kritik an dessen Thematik, sondern bezieht sich auf die Art, wie diese Thematik im Film behandelt wird. Der Kampf für die richtige Sache mit den falschen Mitteln ist der Sache selbst abträglich.

Wie bereits in der Kritik klargestellt wird, muss Vätern zweifellos Umgang mit ihren Kindern genauso wie Müttern zustehen. Aber “darum geht es in Wolfspergers Film nicht”. Und darum geht es auch nicht in der Rezension. Viele der Briefschreiber mißverstehen die Filmkritik als eine Stellungnahme zu ihrem individuellen Sorgerechtsfall. Über die persönlichen Sorgerechtskonflikten der Leser zu urteilen, maßt sich die Kritikerin jedoch nicht an. Aber sie maßt sich selbstverständlich an, über einen Film eine Meinung zu entwickeln und diese auszudrücken. Das ist nämlich ihre Profession, wird als Filmkritikerin von ihr verlangt! Ihr Urteil bezieht sich ausschließlich auf die Darstellung der Konfliktsituationen in dem Dokumentarfilm. Weder wird die Ansicht vertreten, Mütter sollten beim Sorgerecht bevorzugt werden, noch, dass sie zum Großziehen des Kindes besser geeignet seien als Väter. Derartiges ist in keiner Textstelle zu lesen, dennoch interpretierten viele Schreiber der Leserbriefe den Inhalt dahingehend.

Christian Taschenberger schrieb am 02.06.2009 11:47 “Stimmt, Sie haben Recht, eine solche unsachliche, voreingenommene und polemische Aufzählung von feministischen Plattitüden, wie Sie sie hier betreiben, kann man nur entsorgen.” Ach ja, der Feminismus. Das Gespenst des Feminismus sahen viele Leserbriefautoren hinter der Kritik vorlugen. Dabei kommt der Feminismus in der gesamten Kritik nicht zur Sprache. Und wenn man nun meint, eine Frau, die einen Film, den ein Mann über sich als Vater, als entsorgter Vater dreht, und den diese Frau mit Begründungen für misslungen hält, sei automatisch feministisch, so zeigt das mehr über das Bewußtsein der Schreiber auf, als über die Kritikerin. In der Redaktion wird nicht per Handaufheben abgefragt oder entschieden ist, wer feministisch ist und wer nicht.

Aber als für die Kulturrubriken verantwortliche Redakteurin, die sehr sehr viele Artikel und das schon lange schreibt, würde ich mich persönlich immer als Feministin bezeichnen, was aber noch nie ein Briefschreiber als Vorwurf mir gegenüber geäußert hätte, denn Feminismus ist ja nur die derzeitige Antwort auf eine gesellschaftliche Situation, in der gerade in Deutschland bei Pressekonferenzen von Banken, Schwer-, Groß- und Autoindustrie sowie Wirtschaftsverbänden nur Männer auf dem Podium sitzen, weil auch nur Männer an den Hebeln der wirtschaftlichen Macht sitzen. Feminismus ist also soziologisch eine Antwort auf bestehende Verhältnisse, hat also eine gesellschaftliche Orientierung, aber bedeutet keine Bevorzugung oder Verdammung eines Geschlechts.

Deshalb sind die folgenden Ausführungen auch vorbeigeschrammt. Karl Kraus schrieb am 29.05.2009 14:46 “Wahrscheinlich hält Frau Bach den Vater ihres Kindes auch von diesem fern und fühlt sich angegriffen. Niedrigstes Journalistisches Niveau. Was ist das denn für eine Zeitung” „Was man sagt, das ist man selber“, heißt ein uralter Kinderspruch. Denn das ist niedrigstes Kommentarniveau, Herr Kraus. Dass Sie statt sachlicher Argumentation in herablassenden Spekulationen zum Privatleben der Autorin Zuflucht zu suchen, spricht für sich. Dennoch gebe wir Ihnen gerne die inhaltliche Antwort auf Ihre Unterstellung: „Nein!“

Darum noch einmal eine gehaltliche Zusammenfassung des kritischen Ansatzes zum Film: Douglas Wolfspergers Film trägt potentiell dazu bei, die Fronten zu verhärten, anstatt objektiv die Position der Väter und der Mütter zu beleuchten. In “Der entsorgte Vater” verzichtet Wolfsperger darauf, überhaupt den Fall einer um das Sorgerecht kämpfenden Mutter anzusprechen, so als ob es die nicht gäbe, und verschiebt den Fokus seiner Dokumentation stark auf den Paarkonflikt. Ebenso wenig lässt Wolfsperger ein Kind eines sorgerechtslosen Vaters zu Wort kommen. Das Zentrum des Konfliktes, die Kinder, bleiben außen vor. Das Leid zeigt “Der entsorgte Vater” ausschließlich bei den Vätern. Dass ihre ehemaligen Partnerinnen und die Kinder ebenfalls leiden, wird verschwiegen. Diese Feststellung leugnet nicht das Leid der Väter. Sie verweist auf fehlende Aspekte des Films.

Wolfsperger geht weder auf die konkrete Sachlage in den dokumentierten Sorgerechtsfällen ein, noch legt er die allgemeine, seiner Ansicht nach ungerechte, Rechtslage dar. Hier klafft in dem Dokumentarfilm eine inhaltliche Lücke. Dem Zuschauer fehlt es an Informationen. Welche Partei der im Film dargestellten sich im Recht befindet, ist dabei irrelevant. Entscheidend für die negative Rezeption ist der Mangel an Transparenz und Hintergründigkeit. Würde ein feministischer Dokumentarfilm in gleicher Manier gedreht, fiele die Filmkritik ebenso negativ aus.

Adelante schrieb am 28.05.2009 16:20 „Wer mit so unverhohlener Freude den Vätern das Recht abspricht Gefühle für das eigene Kind zu haben und auch noch zu ZEIGEN, der sollte nicht öffentlich die Chance erhalten, andere damit zu belästigen.“

A. Skrypek schrieb am 27.05.2009 20:50 „Irgend etwas muß Frau Bach wohl persönlich an Wolfpergers ausgezeichnetem Dokumentarfilm, welcher mitten aus dem Leben kommt, aufstoßen, daß sie sich befleißigt fühlt, derartig negativ über eine ganze Gruppe von rechtlich benachteiligten Menschen herzuziehen!“

Da in der Kritik nicht über eine Gruppe Menschen hergezogen wird, sondern ein Dokumentarfilm „verrissen“ wird, kann man sich die erfolgten Reaktionen nur damit erklären, daß vielen Briefautoren an der Kritik „persönlich etwas aufstieß“, sie sich mit dem Inhalt des Films so stark identifizierten, daß ihnen die Vermittlungsform als Film völlig Wurst ist. Das kann jeder Kinobesucher machen, wie er will, aber die Folgen seiner inhaltlichen Überidentifizierung schwerlich einer Kritikerin vorwerfen, die die abträgliche Machart des Films und nicht das Thema anspricht. robert fuchs schrieb am 28.05.2009 15:20 „Das Wort einer Frau gilt in der Regel immer und so kann sie stets sexuelle Belästigung oder anderes Vorwerfen um einen Konkurrenten loszuwerden.“ Jürgen Reicherseder schrieb am 26.05.2009 09:18 “Ja, wer will denn momentan den Schmarrn noch lesen, wenn einem laufend einseitige und falsche Berichterstattung zu aktuellen Themen vorgesetzt wird?“

Werter Herr Reicherseder, da haben Sie sich vertan. Der Artikel steht im Ressort Kultur in der Rubrik „Kino“, nicht etwa im Ressort Politik, wo Sie ihn offenbar einordnen. Es fiel auf, dass viele Briefverfasser angaben, den Film nicht gesehen zu haben, jedoch die Kritik für verfehlt hielten. Dies ist bezeichnend dafür, dass die Motivation der Schreiber in diesen Fällen nicht Ärger über den Text, sondern Ärger über die allgemeine oder ihre individuelle Situation im Bezug auf die Sorgerechtsthematik ist. Aber, um es nochmals klarzustellen: Darum kann es in der Kritik, die eine Kritik über einen schlecht gemachten Film ist, nicht gehen.

Eines ist trotz der entrüsteten Brieflawine erfreulich: die Ankündigung der Verfasser, den Film im Kino ansehen zu wollen. Tun Sie dies. Gehen Sie ins Kino, wenn eine Kritik ihnen gefallen hat, wenn Sie sie wütend oder neugierig gemacht hat. Denn Filme besprechen wir, um ein größeres Interesse für Film und Kino zu wecken. Was hiermit gelungen ist.

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