Unter Wölfen – Peer Meter und Isabel Kreitz Comic „Haarmann“ zeigt das blutgierige Milieu des Hannover Serienmörders – Serie: Gezeichnete Totmacher: die Faszination deutscher Serienmörder im Comic (Teil 1/2)

„In Hannover an der Leine,

Rote Reihe Nummer 8,

wohnt der Massenmörder Haarmann,

der schon manchen umgebracht.

Haarmann hat auch ein‘ Gehilfen,

Grans hieß dieser junge Mann.

Dieser lockte mit Behagen

alle kleinen Jungen an.“

(Populär)

Die Schatten fallen länger im Hannover der zwanziger Jahre. Der Schatten des Ersten Weltkriegs drückt noch die Stadt, der Zweite Weltkrieg wirft seinen schon voraus. Leichenblass und ausgeblutet ist Haarmanns Hannover. Ein Personenregister der sechs wichtigsten Charaktere und ein historischer Appendix komplettieren Kreitz und Meters packendes Kunstwerk. Penible schwarz-weiß Linien zeigen ausgemergelte Gestalten, verhärmte Gesichter, marode Dachkammern. Eine traurige Symphonie der Großstadt hallt durch freudlose Gassen und Hintertreppen, über die Kriegsversehrte, Huren und Tagediebe streunen. Das Grauen des Krieges, Entbehrung und Kummer haben die Menschen an Körper, Geist und Seele verkrüppelt. Eine karge Häusermauer zeigt der Einband. Passanten schlendern an einem Geländer vorüber, dessen Schatten Gitterstäben ähnelt. Die Stadt ist ein Käfig, in dem ein Ungeheuer haust. „Es gibt Menschenfallen in Hannover“, murmeln die Leute. Im zweiten der sieben Kapitel schnappt eine von ihnen zu. Durchreisende Jungen, Herumtreiber und Ausreißer; der Werwolf hat wieder zugeschnappt „… und die Polizei unternimmt nichts!“

Sie deckte den angeblichen „Kriminal“ und dienstbaren Spitzel. „Man muss sich solcher Leute zu bedienen wissen.“ Er rieche nichts, sagt Doktor Schackwitz über Menschenfleisch gebeugt, das Zeuginnen im Revier vorlegen. Die Polizei hat einen schlechten Riecher, mag die Untat auch zum Himmel stinken. Mensch, Verbrechen. Justizskandal – die Dimensionen des Monströsen werden unermesslich. Noch vor der ersten Zeichnung bannen Kreitz und Meter die Namen der Opfer auf die Innenseiten des Einbands. In Großbuchstaben stechen sie aus den abgedruckten Protokollauszügen heraus. Dutzende Namen, wohl längst nicht alle. Haarmann soll hunderte Opfer gehabt haben. Die fast dokumentarische Nüchtern von Kreitz nach Fotografien und historischen Ansichten entworfenen Zeichnungen verleiht dem wahre Gruselmärchen eine bestechende Authentizität und erzählt nebenbei, wie aus den umgehenden Gerüchten und der Angst eine moderne urbane Legende wächst: „In manchen Nächten waren das Wasser blutrot. Und bei Vollmond waren die ganzen Gerippe auf ´m Grund!“ In Vollmondnächten zieht der Werwolf nach Beute.

„Was in Ihrem Kopf vorgeht, Haarmann, das möchte ich wissen.“, sagt ein Kommissar nach Haarmanns Festnahme, als Art und Ausmaß der Morde sich in immer grausigeren Vermutungen der aufgebrachten Bevölkerung abzeichnen. Peer Meter, dessen 1990 mit Zeichner Christian Gorny begonnener Haarmann-Comic unvollendet blieb, enthüllt die dämonische Schreckgestalt als verschlagenen Biedermann, dessen emotionale Stumpfheit und Heimtücke der des beflissenen Milieus um ihn entspricht. „Auf Fritz Haarmann können Se sich verlassen! Und wenn ich nächstens frische Würste mach, kriegen Se auch was ab.“, verspricht Haarmann seinen Nutznießern, die nach den Kleidern, Knochen und Fleisch der Opfer hungern. Ist wieder ein Junge in Haarmanns Dachzimmer verschwunden, dreht der behäbige Mann mit dem Hitlerbart anderntags Brägen durch seinen Fleischwolf. Die Nachbarn helfen beim Hochtragen des Hackwerkzeug. Fleisch zum halben Preis stopft es potentiellen Fragestellern das Maul. Manchen wird schon übel vom Anblick der Schwarten, die unangenehm süßlich schmecken, doch zum Weiterverkaufen oder Servieren genügt es. Haarmanns Würste sind in aller Munde. Bis heute. Kinder singen den umgedichteten Liedtext zum Schlager „Bald kommt auch das Glück zu Dir“ auf dem letzten Bild von „Haarmann“.

„Warte, warte noch ein Weilchen,

dann kommt Haarmann auch zu dir

Mit dem Hackebeilchen,

macht er Leberwurst aus dir…“

* * *

Titel: Haarmann

Autoren: Peer Meter, Isabel Kreitz

Zeichnungen: Isabel Kreitz

Verlag: Carlsen

Seiten: 192 Seiten

Preis: 19,90 Euro

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