Tobias Moretti wird zu Ferdinand Marian – Berlinale Wettbewerb: Oskar Roehler bringt die Hintergründe zu „Jud Süß – Film ohne Gewissen“

Tobias Moretti (links) und Moritz Bleibtreu in "Jud Süß - Film ohne Gewissen"

Der Nazi-Oberen Strategie ging gleich dreifach auf. Der Film wurde auf der Biennale in Venedig ein internationaler Erfolg. Der später so bekannte Filmregisseur Michelangelo Antonioni schrieb beispielsweise von der dortigen Weltpremiere am 5. September 1940 über Marian, daß dessen Darstellung des Juden Süß in die Filmgeschichte eingehen werde. Der Film hatte mit 20 000 Zuschauern in Europa seine Propagandafunktion erfüllt. Und der Sicherheitsdienst der Nazis konnte zufrieden beim Einsatz vor Soldaten konstatieren: „Während der Vorführung des Films kam es zu offenen Demonstrationen und Ausrufen gegen das Judentum.“ Absicht von Goebbels war es, Veit Harlan einen Film drehen zu lassen, in dem die historische Figur des Jud Süß, dargestellt durch Ferdinand Marian, historische Beweise für die Untaten von Juden liefern sollten. Joseph Süß Oppenheimer hatte nämlich als Finanzberater des württembergischen Herzogs im 18. Jahrhundert diesem neue Einnahmequellen erschlossen und die Finanzbürokratie entmachtet, aber auch das Volk ausgebeutet, das sich wehrte. Jud Süß endete am Strick.

Diese Hintergründe sind wichtig, aber das den Film “Jud Süd – Film ohne Gewissen“ entscheidende Movens ist etwas anderes: Wie weit kann ein Künstler gehen in der Akzeptanz von Rollen, von denen man die Bösartigkeit und Funktion ahnt? Wie weit kann er in der Ablehnung gegenüber der Macht in Diktaturen gehen, ohne eliminiert zu werden? Welchen Stellenwert haben die Eitelkeiten von Schauspielern angesichts der Verführung, die es bedeutet, vor einem Millionenpublikum eine so wichtige Rolle spielen zu können? Mit diesen Fragen beginnt der Film, der uns in opulenten Bildern in das Zentrum der politischen Macht führt. Es ist Goebbels (Moritz Bleibtreu) persönlich, der Ferdinand Marian (Tobias Moretti) für die Rolle des Jud Süß gewinnen will, denn von ihm erwartet er, daß dieser einen Juden glaubwürdig darstellen kann. „Schmierig genug sieht er aus“, äußert er sich. Dieser Goebbels ist eine eher derb auftretende, rheinisch schreiende, hinkende und superfiese Nazicharge, von Moritz Bleibtreu mephistoartig gespielt. Wir finden ihn in der Rolle großartig, auch wenn immer ein wenig Moritz Bleibtreu dabei bleibt.

Marian ist kein Nazi und will diese Rolle des Juden nicht übernehmen. Unterstützt wird er von seiner Frau Anna (Martina Gedeck). Beide haben zu Hause den jüdischen Schauspieler Adolf Deutscher im Gartenhaus versteckt. Allein trotz des zerschmetterten Aschenbechers als Ablehnungsbekräftigung vor die Füße des Reichspropagandaministers durch Marian, hält Goebbels an der Rollenbesetzung fest, unterstützt von Veit Harlan (Justus von Dohnanyi), der den Film dreht und eine durchgehend die Nazis unterstützende Rolle spielt, gleichwohl nach dem Krieg nicht belangt wurde und weiter Regie führen durfte im Gegensatz zu seinen Schauspielern.

Marian nimmt als Ausweg den Versuch, aus dieser Rolle des bösen Juden eine Darstellung zu machen, die den Jud Süß eher dem Zuschauer verständlich macht, eine subtile Darstellung, die Marian auch gelingt, die aber genau in das Konzept der subtilen Propagandaabsicht paßt und den Welterfolg des Films erklärt. Wir haben viele der filmischen Handlungsstränge und Personen ausgelassen, weil wichtiger die Machart des Films zu erläutern ist, an der sich wohl Unmut äußert, den wir nicht teilen. Dem Film wurde nicht wie üblich und auch bei jeder belanglosen Hollywoodkomödie vollzogen, nach der Vorstellung Applaus gespendet, sondern Pfiffe.

Das Warum kann man sich denken. Das liegt erst einmal im Sujet, daß es Deutsche anderen Deutschen immer noch verübeln, die Nazi-Historie auf die Leinwand zu bringen, schon deshalb weil jeder für sich die Deutungshoheit über den Nationalsozialismus gepachtet hat und weil jeder dem anderen vorwirft, sich nicht genau an die historischen Wahrheiten – von denen man oft gar nicht weiß, wie sie waren – zu halten. Ein Vorwurf, der für jeden Dokumentarfilm richtig wäre, der aber bei einem Spielfilm nachgerade albern wird, denn der muß verändern und komprimieren, um den Stoff rüberzubringen. Verfälschen muß er nicht. Aber das tuen Roehler und sein Drehbuchschreiber Klaus Richter auch nicht.

Im Kern sind es folgende Vorwürfe: Die Frau des Marian sei keine Viertel- oder Halbjüdin gewesen, es sei nicht erwiesen, ob Marian sein Auto mit Absicht gegen den Baum fuhr, woran er starb. In den, im Film immer wieder eingeblendeten Filmsequenzen aus dem Originalfilm Jud Süß, sei nicht unterschieden zwischen wirklichen Originalen und den Nachdrehs. Auch hierzu kann man, da es um einen Spielfilm geht, nur den Kopf schütteln und die Antwort des Regisseurs zitieren: „Wenn unsere Darsteller nicht vorkommen, ist es original, kommen sie vor, sind die Passagen des Films nachgespielt.“ Daß die entscheidende Aussage auf ’Passagen’ liegt, versteht sich von selbst, denn es sind die Schlüsselszenen ausgewählt, um diesem Film in den Filmsequenzen den Stoff zu seiner Aufarbeitung zu liefern. In diesen gelingt es Tobias Moretti hervorragend, die Stimmung, aber auch die Spielweise des Ferdinand Marian zu imitieren.

Diesen doppelten Auftrag, einen Nazifilm zu gegenwärtigen, die heutige Ablehnung mitzuinszenieren, die Figur des Marian in seiner Zwiespältigkeit vorzuführen, aber auch seine Ausweglosigkeit zu schildern, gelingt Rohler und seinen Darstellern mit diesem Film. Zu Zweidritteln erleben wir eine verachtenswerte Naziherrschaft, eine Ansammlung von Proleten, Ideologen und Anpassern, deren Inszenierung dem Film sehr gut gelingt. Der ästhetische Bruch im Film ist dem Leben selbst geschuldet: dem Ende des Krieges. Die Szenen nach dem Krieg fallen ab, sind irgendwie aus einem anderen Film. Da denken wir dann, daß es vielleicht doch gar nicht um die Rolle des Marian als Jud Süß gegangen sei, dem diese auch nach seinem Welterfolg, anders als von ihm gehofft, von den Nazis nicht gedankt wurde, sondern, daß Drehbuch und Regisseur die Wirkungsweise des Originalfilms haben vorführen wollen und dazu das Gerüst der Person brauchten.

Denn Marian wurde zwar weiterbeschäftigt, aber spielte keine großen Rollen mehr. Der Durchbruch zu einer internationalen Karriere auf jeden Fall war es nicht. Sein Berufsverbot machte das Filmen unmöglich, während der Drahtzieher Veit Harlan aus allem unbelastet hervorging. Dies ist einer der interessantesten Aspekt und zeigt, daß als einer der nächsten filmischen Vorhaben die Nachkriegszeit dringend der historischen Aufarbeitung bedarf, wie willkürlich und ohne echte Absicht der Aufklärung die Entnazifizierungen durchgeführt wurden. Was den Marian selbst angeht, schläft er sich den Film über durchs Leben, genug Frauen, die sich an ihn heranschmeißen, gibt es eh, die Liebe zu seiner Frau, die jedoch keine Konsequenzen hat, wird gezeigt, die im KZ verschwindet und vergast wird. Geliebte gibt es zuhauf, auch die tschechische Vlasta, die das macht, was er den Film über treibt, nämlich sich mit einem anderen, hier mit einem US-Soldaten einzulassen. Dies verkraftet er nicht, zumal der von ihm einst versteckte Jude Deutscher, der von seinem allzu deutschen Dienstmädchen, mit der er auch was hatte, verraten wurde, überlebt hatte und andere KZ-Überlebender den Marian zusammenschlagen läßt. Er setzt sich ins Auto und rast an einen Baum. Ob das Selbstmord war oder ein Unfall, läßt uns völlig kalt und hat für uns keine Bedeutung, eine historische, die mit der Qualität des Films zu tun hätte, schon gar nicht.

Mag ja sein, daß der Film überfordert gewesen wäre, die gesellschaftliche Wirklichkeit der Nachkriegszeit so exakt einzufangen, wie es für die Nazizeit gelang. Dort wurden die höheren Chargen vorgeführt, was attraktives Kino ist. Nach 1945 aber gehörte Marian nicht mehr zur Elite. Daß diese Sequenzen abfallen, hat sicher auch mit seiner derangierten Stellung zu tun, die dann aber gewissermaßen auslaufen.

Goebbels und Harlan hatten nach der Premiere des Jud Süß geäußert: „Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.“ Solche Attribute, wie genialer Wurf können wir bei „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ des Oskar Roehler nicht verwenden. Gleichwohl ist diese Verfilmung ein sehr guter Film geworden, einer, den wir respektieren als notwendige und schwierige Arbeit, einer, der aufklärt und klärt und wieder einmal den Deutschen zeigen muß, daß sie es mit der Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit immer noch nicht erledigt haben. Denn statt diese zu betreiben, werden in der Filmdiskussion nun Nebenkriegsschauplätze eröffnet, die albern sind angesichts der geschichtlichen Wucht, was mit diesem Film betrieben wurde und wie ein Schauspieler getrieben wurde, diese Rolle zu übernehmen.

Aussagen innerhalb der Pressekonferenz in Kurznotizen:

Befehl Hitlers an Goebbels, da es keinen genuin nationalsozialistischen Film gibt, nur seichte Komödien einen solchen zu schaffen. Wichtig die historische Einordnung nach der Reichskristallnacht. Beschreibung der Elite, schwarzweiß gezeichnete Fußsoldaten, dagegen Sekt in der High Society, der Druck auf die Personen, die für die nationalsozialistische Propaganda noch gebraucht wurden. Goebbels ging subtil vor. Es wurden aus dem Originalfilm die skurrilen und exemplarische Szene, wie Marian den Württemberger reich macht, aber selbst noch reicher. Über Marian: „Ich liebe solche Tragödien solchen Ausmaßes, denn da war der Mann schon tot vor diesem einen Satz, den er vorsprechen mußte.“

Für das Drehbuch war es Marian, der sich gewehrt hat, dann dem Selbstbetrug erliegt, er können die Juden retten. Roehler traut sich was und ist ein Melodramatiker, im Film gibt es ständig leichte satirische Elemente. Die Figur wurde mit einer Ehe vereinfacht, die Begründung für die angeblich jüdischen Wurzeln seiner Frau Anna liegen darin, daß sie mit einem Juden in erster Ehe verheiratet war und deshalb hier als Halbjüdin oder Vierteljüdin bezeichnet wird, Maria Böck hieß, hier als Reminiszenz an Käutners „Unter den Brücken“ Anna Altmann heißt.

Wie hat sich Martina Gedeck als Anna gefühlt.? „Merkwürdig.“ Es wurde hronologisch gedreht, eine Frau, die sich bewußt ist, was passiert, die dennoch an ihrem Mann festhält und zu ihm hält, sie ist für diese Rolle und die Zuspitzung zuständig. Den Niedergang geht sie bewußt an, diese Figur fällt die Entscheidung, daß sie zugrundegeht, weil sie sich dem Mann, der sie dauernd betrügt, verbunden fühlt. Moritz Bleibtreu mit rheinischem Akzent? Er plädiert: Wir Deutschen sollen endlich mit unserer Geschichte spielerischer und offener umgehen, damit sie vergeht. Es sei der Grundkonflikt eines jedes Schauspielers, wie er mit solchen Figuren, die öffentlich bekannt sind, umgeht. Die Typen waren ja Satire. Wie war es möglich, daß Menschen sich das ernsthaft antaten, ohne zu lachen und das Pack abzuservieren. Das Clowneske daran hat ihn interessiert, die Maske, die Sprache, die Haltung, so kam es zu seiner Darstellung. .

Wie verhält es sich mit Realität und Erfindung: Bleibtreu in der Verantwortung, das Diabolische darzustellen, aber es ist ein Spielfilm, der sich Freiheiten nimmt, so wie Hitler und Göring im Pariser Kino bei Tarantino abgebrannt sind. Am Anfang ist Goebbels ein Parvenü, aber dann zeigt sich ja sein anderes Gesicht. Erst soll man über ihn lachen, und dann grausig finden. Wieviel stimmt nicht überein, der Autounfall etc. Wahrheit, historische Präzision der moralischen Parameter, präzise vorgegangen. „Viele Dialoge sind eindeutig aus den Akten entnommen.Die Ehefrau ist zur Halbjüdin gemacht. Der Autounfall ist mysteriös. Es könnte Selbstmord sein, ein Unfall, es kann auch die Mossag drin gesessen haben. marian nimmt sich das Leben, weil wir Cineasten sind und einen Spielfilm machen. Der Film muß diese menschlichen Elemente haben, um eine Moral vom Gefühl her zu erzählen. Ein Dokumentarfilm wäre anders. Ob dieser Spielfilm eine innere Wahrhaftigkeit habe, ist für Klaus Richter das Entscheidende, nicht äußere Wahrheitsbeweise.

 Warum Antonioni zitiert werde? Warum gezeigt werde, daß Heinz Rühmann einen anbiederischen, peinlichen Film über Goebbels und seine Kinder gedreht habe, ob das stimme? Ja, es ist wahr, er drehte diesen Film. Den Artikel des ganz jungen Anonioni sah Richter als Kopie ein und nahm das hinein, um zu zeigen, daß auch Antonioni auf den Film herainfiel. Als kleine Anekdote.:„Diese Darstellung eines Juden wird in die Filmgeschichte eingehen.“ Erich Engel war zuvor Marians Regisseur, kam aus der Brechtschule und marian galt als der sensibelste Schauspieler seiner Zeit. Ästhetik des Films, die 30-40er Jahre.

Welche Schlüsselszenen aus dem Jud Süß Film genommen wurden? Manchmal aus den alten Filmteilen das, was ist wichtig, um die Leute zu manipulieren, eine archaische Geschichte, wo sich der Pöbel auflehnt im Soldatenkino, halbwüchsige junge Soldaten, die zudem mit Alkohol abgefüllt sind und nach dem Sehen des Filmes den Judenhaß herausbrüllen.

Marian ist verdammt, von einem Soldatenkino ins andere zu gehen und sich und den Film feiern zu lassen. Das war seine Strafe. Wir haben versucht, das geschickt zu montieren, Massenszenen integriert, Moretti hat den Original-Marian genau studiert und echt nachgemacht. Wir wollten ein Gefühl für den Film durch die Auswahl der Szenen bringen. Ist ein Kompromiß. Aber klar war, daß man Szenen zeigen muß. Marian war aber nach dem Erfolg nur noch mäßig erfolgreich, durch Alkoholismus aus der Kontrolle geraten, unfähig mit der Situation umzugehen. Er hat sich die Rolle nicht verziehen.

Tobias Moretti hat mitgespielt, weil die Figur das Thema Nummer 1 ist, die Verführbarkeit von einem selber. Ständige Reflexion, faszinierend damit umzugehen, man macht sich ja keine Vorstellungen mehr, wie das war und wie subtil der Druck wirklich war. Das Drehbuch las sich wie ein Film von heute, die Skrupel, die Zerwürfnisse in der Ehe, die Hybris, bei Kluge nachgelesen, starke Konsolidierung der Nazis nach der Olympiade 1936, Überheblichkeitswahn, in den Elitezirkeln gab es dieselben saturierten Sprüche wie heute, das ist faszinierend, das gibt dem Affen Zucker, einen solchen Film zu machen. Veit Harlan hatte zwei Prozesse, man konnte ihm nicht nachweisen, daß er für Morde verantwortlich war, viele viele Leute sind davongekommen, Karajan, Furtwängler, Verantwortung von unten nach oben, aber die Schuldfrage wird bis heute nicht beantwortet. Mache sind davongekommen, andere nicht.

Originaltitel: Jud Süß – Film ohne Gewissen

Land/Jahr: Österreich/Deutschland 2010

Regie: Oskar Roehler

Darsteller: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Armin Rhode, Justus von Dohnanyi

Bewertung: * * * *

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