Talking Jazz – Die Autobiographie von Till Brönner

Bei eingehenderer Lektüre des mit dem Vorwort des Interviewers Claudius Seidl fast 200 Seiten starken Buches konnte ich jedoch – zugegebenermaßen nicht ganz ohne Erleichterung – Folgendes feststellen: Ein Problem in Hinblick auf die Relevanz des Jazz für die Musikgeschichte der Gegenwart und damit die zeitgenössische Kultur überhaupt stellt nicht die Person des 1971 geborenen Till Brönner dar, dem es immerhin gelungen ist, das erste Jazz-Album in den letzten 20 Jahren in den deutschen Verkauscharts zu platzieren, sondern die von ihm so adäquat widergespiegelte „Temperatur der Zeit“.

Brönner beschreibt seinen Weg von dem eines jugendlichen Außenseiters, der statt auf den Rock í  la Bruce Springsteen oder Jimmy Hendrix, den Pop der 80er Jahre í  la U2, Bowie und ’The Cure’ und statt auf die zugehörigen äußeren Attribute auf Jazz und hier zunächst sogar insbesondere auf Big Band Jazz, auf Smoking und andere Band-Uniformen und auf Trompete statt E-Gitarre stand, zu einem – so kann man wohl sagen – international als cool akzeptierten Typ. Zum Jazz war er wesentlich durch seinen Vater gebracht worden, der  sich in den 50er Jahren neben europäischer Klassik für Louis Armstrong und André Prévert begeistert hatte. Mit anderen Worten: der im provinziellen Viersen geborene Nicht-Fußballer und Nicht-Tänzer aber schon bald bei Jugendwettbewerben erfolgreiche Musiker Till war einerseits in einem vergleichsweise liberalen Elternhaus aufgewachsen und andererseits deutlich nach dem Abklingen der (kultur-)revolutionären 60er Jahre, in der Zeit also des auf das Ende des Nachkriegsbooms antwortenden neoliberalen Rollbacks und schließlich der mit dem Zusammenbruch des Stalinismus einhergehenden – wenn auch wohl verfrühten – Ausrufung des „Endes der Geschichte“. Was ist da natürlicher als wenn er schreibt: „Wie überhaupt diese ganze sogenannte klassische Rockmusik der Sechziger und Siebziger, die Stones oder Led Zeppelin: das klang in meinen Ohren immer nach Rebellion, die nicht meine war. Ich wusste einfach nicht, gegen wen die sich richtet.“?

Dass der Jazz seinerseits von den 30er bis hinein in die 60er Jahre „die hippeste Musik überhaupt“ und „Avantgarde“ war, ist ihm natürlich durchaus bewusst. Aber bezeichnenderweise blendet er die bis dato wohl letzte Form der Avantgarde – das ’New Thing’ oder ’Free Jazz’ der 60er Jahre –  praktisch vollständig aus. Abgesehen davon, dass dieser Stil der absolute Gegensatz gerade zum herkömmlichen Big Band Jazz, insbesondere dem der Swing-Epoche, war, war er der mit dem ostentativsten auch politisch revolutionären Anspruch. Die Frage, wie weit dieser Anspruch auf politischer und ästhetischer Ebene eingelöst wurde, ist hier nicht relevant. Die Reihe der von Till Brönner genannten Avangardisten besteht aus Louis Armstrong, Charlie Parker und Miles Davis.

Dass er sich nicht nur vom Rock í  la Hendrix („klang nach Drogen“) und dem Free Jazz abgrenzt, ist problemlos nachzuvollziehen. Nicht ganz so einsichtig ist allerdings seine Feststellung, er habe stattdessen auf schwarzen Rhythm ’n’ Blues, auf ’Earth, Wind And Fire’, ’Kool & The Gang’, gar auf James Brown gestanden und seinerzeit mit seinem Schulkollegen Stefan Raab Musik mit dem Ziel gemacht, „schwarz, sehr schwarz“ zu klingen. Bei dieser Musik scheint es fast nur mitbekommen zu haben, dass hier Bläser statt Gitarristen im Vordergrund stehen. Alle übrige Musik, für die er sich begeisterte, und natürlich vor allem seine eigene, wie sie auf all seinen Alben einschließlich „Blue Eyed Soul“ von 2002 zu hören ist, steht dem Feeling der Musik insbesondere eines James Brown diametral entgegen. Bezüglich des genannten Albums, das sich ohnehin eher auf den ’Nu Soul’ bezieht, d.h. auf die aktuelle Stufe der Popisierung, der Weißwaschung der afroamerikanischen Soul Music, wie sie vor allem mit dem Philly-Sound eingesetzt hat, kommt Brönner denn auch zu dem Schluss: „Trotzdem hatte ich bald das Gefühl, dass es auf diesem Weg nicht weitergehen würde. Was zum einen daran lag, dass  die Musik, die dieses Album in Schwung brachte, der Soul, die Hip-Hop Beats so durch und durch amerkanisch sind, dass ich mich darin eher wie ein Gast fühlte.“ Der Punkt ist: diese Musik ist nicht einfach amerikanisch. Sie ist afro-amerikanisch.

Was Brönners musikalisches Anliegen ist, wird schon im Vorwort von Claudius Seidl angedeutet. Seidl berichtet, Brönner habe ihn gefragt, ob er ’Lush Life’, jenen berühmten Standard aus der Feder von Billy Strayhorn, Duke Ellingtons kompositorischem Alter Ego, kenne und dann den Text zitiert: „to get the feel of life…from Jazz to Cocktails“. Wohlbemerkt – es ist völlig legitim, auch cocktailkompatible Musik zu machen und sich daran zu erfreuen. Die Sache aber ist zum einen die, dass alle 14 bisherigen Alben Brönners, von ’Generations  of Jazz’ 1993 über ’Chattin’ With Chet’, ’Blue Eyed Soul’, ’Oceane’ (mit der sexy Säuslerin Carla Bruni) über das Bossa Nova-Album ’Rio’   bis hin zu ’At The End Of The Day’   von 2010, eben so sind. Über ’Generations of Jazz’, sein erstes Album, sagt er: „…darum wäre das eine Platte, die man gut im Auto hören könnte, auf dem Highway 1 vielleicht, der Küstenstraße in Kalifornien auf dem Weg hinunter in den Süden.“ Der Bezugspunkt ist also schon hier der sogenannte ’Westcoast Jazz’, jene harmlos ’schöne’  Variante des zunächst an der Ostküste geborenen eher intellektualizistischen ’Cool Jazz’, die im stets sonnigen Wirtschaftswunderstaat der 50er Jahre, Kalifornien, und seinen von Hollywood gut alimentierten so gut wie ausschließlich weißen Studiomusikern erblüht ist.

Auch wenn das durchaus legitim wäre, betont Brönner völlig glaubwürdig,  dass er das, was er macht, nicht nur oder auch nur primär um des finanziellen Erfolgs Willens tut. Er stellt fest: „Ich muss mich dem Publikum nicht andienen, ich muss seinem Geschmack nicht hinterherhüpfen – dafür bin ich dem Publikum viel zu ähnlich.“ Ohne diese umfassende Ähnlichkeit würde es vor allem live wohl auch nicht funktionieren. Man stelle sich Jimmy Hendrix bei dem Versuch vor, Erfolg als Mainstream Country-Sänger zu erringen – ganz zu schweigen von der ’Volkstümlichen Hitparade’.

Till Brönner ist ein hochqualifizierter Trompeter (im übrigen wie Chet Baker auch Sänger), der keinen Anspruch darauf erhebt, avantgardistisch zu sein. Es macht keinen Sinn, ihn diesbezüglich zu kritisieren. Soweit meine wohlbemerkt wechselnden emotionalen Bedürfnisse betroffen sind, macht er eine belanglose Musik – was teilweise dem durch den wohl der modernen Studiotechnik bedingten Sound geschuldet ist, der bei mir als kalt rüberkommt.  Aber das ist letztlich Geschmackssache. Allein interessant ist die Frage, was es über die Gesellschaft und Zeit aussagt, dass es ausgerechnet solche Musik ist, für die relativ kultivierte Minderheit, die Jazz bewusst hört, Zeit und Geld aufwendet. Angesichts des Zustandes der Welt dürfte Eskapismus hier ebenso der treffende Begriff sein wie im Fall der Abermillionen, die sich den Großteil des 29. Aprils vor den gleichgeschalteten Fernsehsendern versammelten, um die ’ Royals’ beim Heiraten zu begaffen. Eskapismus bietet sich an, wenn keine greifbare Alternative zu sehen ist.  Till Brönner, dem wie gesagt Hendrix&Co nicht behagten, weil sie für ihn nach Drogen statt nach Cocktails klangen, produziert selbst ’das Opium des postmodernen Volkes’, von dem er schuldlos Teil ist.

Seine Autobiographie enthält ansonsten eine Vielzahl interessanter Hinweise auf andere Künstler wie Peter Herbolzheimer, Horst Jankowski, Caterina Valente, Chaka Khan, oder Hildegard Knef, mit denen er im Laufe seiner beachtenswerten Karriere zusammengearbeitet hat.

Till Brönner: Talking Jazz, Kiepenheuer& Witsch, Köln 2010

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