Streit über Roma: Scharfe Diskussion zwischen Sarkozy und Barroso auf EU-Gipfel, Verstimmungen in Paris und Berlin

Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow teilte Journalisten in Brüssel mit, daß die Roma-Frage nicht auf der Tagesordnung der Sitzung der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder gestanden habe. Im Gegenteil: Sie sei unmittelbar in der Sitzung aufgeworfen worden. "Es wurden aber keine Beschlüsse gefasst. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich darauf, das Problem bei ihrem nächsten Treffen im Oktober langfristig zu lösen.

Am 9. September hatte das EU-Parlament eine Resolution mit der Forderung an Frankreich und einige andere Länder angenommen, die Deportation der Roma "unverzüglich zu stoppen". Am selben Tag erklärten Frankreichs Immigrationsminister Eric Besson und Frankreichs Europa-Staatssekretär Pierre Lellouche, Paris werde um kein Millimeter nachgeben. Die französischen Behörden handelten in vollem Einklang mit EU-Normen, hieß es.

Ende Juli dieses Jahres hatte Sarkozy die Schließung von mehr als 200 Roma-Lagern und die Abschiebung der Bewohner in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien angekündigt. Zwischen 28. Juli und 17. August reisten 979 Roma aus Frankreich aus, darunter 828 freiwillig, nachdem sie Finanzhilfe der französischen Regierung erhalten hatten – 300 Euro pro Erwachsenen und 100 Euro pro Kind. In den letzten Wochen wurden noch etwa 600 Roma aus Frankreich ausgewiesen.

Aus dem Bundeskanzleramt hieß es, daß Angela Merkel (CDU) die Aussagen von Nicolas Sarkozy umgehend zurückweise, wonach auch Deutschland Roma-Lager räumen lassen wolle. Politiker aller Parteien zeigten sich in Berlin zudem entsetzt über diese Vorstellung. Die Kanzlerin habe "weder im Europäischen Rat noch bei Gesprächen mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy am Randes des Rates über vermeintliche Roma-Lager in Deutschland, geschweige denn deren Räumung gesprochen", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert noch am Donnerstagabend in der deutschen Hauptstadt.

Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Freitag. "Es gibt derartige Überlegungen nicht", sagte er am Freitagvormittag im Deutschlandfunk. Er denke, es handle sich dabei um "ein Missverständnis".

Sarkozy hatte nach einem Gespräch mit Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel behauptet, dass auch Deutschland bald Roma-Lager auflösen wolle. "Frau Merkel hat mir gesagt, dass sie beabsichtigt, in den kommenden Wochen Lager räumen zu lassen", wird der französische Präsident zitiert. Zum Hinweis einer Journalistin, Deutschland regele solche Fragen lautloser als Frankreich, sagte Sarkozy: "Wir werden dann ja sehen, welche Ruhe in der deutschen Politik herrscht." Merkel habe ihm außerdem ihre "totale und vollständige Unterstützung" bei der Frage der Roma-Abschiebungen signalisiert, beteuerte er.

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