Stan Libuda hätte geschossen – „11 Feinde“, ein subjektiver Roman über einen Fußballfan in der bajuwarischen Diaspora

Meister der Schmerzen, mitten im Feindesland

Spätestens dieser glückliche Treffer in allerletzter Sekunde, zementierte das Bild von den Dusel-Bayern in den Köpfen der Rest-Republik. Denn es brachte den bräsigen Münchnern in der 96. Spielminute den Meisertitel, den eigentlich schon die „Knappen“ aus Gelsenkirchen für sich verbucht hatten. Genau vier Minuten lang.
„Wie wenn Dir einer das Herz rausreißt“, fasste Schalkes Kultspieler Jörg Böhme das Desaster der historisch gewordenen Ereignisse seinerzeit gewohnt leichtfüßig zusammen.
So ein Schock kann den Glauben an das Gute in der Welt zutiefst erschüttern, Beziehungen beenden, Lebensläufe durcheinander bringen. Zumindest dann, wenn man ein fanatischer Fußballfan wie Niko Malente ist, dem Protagonisten des Romans „11 Feinde“ des tatsächlich in München lebenden Sportjournalisten Erik Wegener.

Ein Fan, wie er im Buche steht

Niko ist Schalke-Fan und als „Meister der Herzen“, dem wohl undankbarsten Attribut aller Zeiten, auf  seinem Lebensweg ausgerechnet in der Hauptstadt der Schmerzen, dem verfeindeten München gelandet. Sein langweiliger Job, seine fußballtechnisch leidenschaftslosen Freunde und seine Beziehung zu Emma, die sein Innerstes nicht verstehen kann, sind nur scheinbar die Eckpfeiler in seinem Leben. Sie bilden nur das Gerüst für das wirklich Wichtige in Nikos Existenz: Den nächsten Spieltag, den nächsten Sieg, oder, wie so oft, die nächste Niederlage seiner Mannschaft, dem FC Schalke 04.

Der Wunsch, einmal das Gefühl des totalen Triumphes, der Meisterschaft, zu erleben, wächst sich bei dem keineswegs zu sympathisch beschriebenen Niko zu einer regelrechten Manie aus, die teilweise schon die Grenzen des Wahnsinns überschreitet. Das letzte Mal war es 1958, da waren wir doch Deutscher Meister,  werde ich das nächste Mal noch erleben? Als sein Traum an jenem Schicksalstag im Mai 2001 erneut zerbricht, rastet er völlig aus und verliert seine Freundin. Zusammen mit dem 1860 München-Fan Anton, den er in einer jener zahlreichen einsamen Konferenz-Samstage in einer desolaten Bierschwemme kennenlernt und der den FC Bayern aus ganz persönlich anderen Gründen „con amore“ hasst, beschließt er, der weißwurstigen Dominanz des FC Hollywood endgültig einen Riegel vorzuschieben und zu handeln. In einer wahnwitzigen Entführungsaktion werden die verwöhnten Champagner-Kicker des FCB in ein Trainingslager überführt, das keiner der beteiligten je vergessen wird.  Am Ende scheitert das bewusst ins Groteske übersteigerte Abenteuer natürlich und lässt den Helden als geläuterten Menschen den im November 2009 von Theo Zwanziger kreierten Satz begreifen: „Fußball ist nicht alles“.
Wobei man natürlich sofort den Zusatz eines englischen Trainers sinngemäß anfügen möchte: „Stimmt. Er ist weit mehr."

Schade, aber toll

Ein Buch, fast wie ein Auswärtssiegsieg, in großen Teilen gut geschrieben und in zwei mal neunzig Minuten zügig zu lesen. Die Gefühlsbeschreibungen des enttäuschten Fans, der bis zur Bewusstlosigkeit seinem, in jedem Falle einzigartigen Verein verfallen ist, kann jeder, für den die Samstagskonferenz heilig ist, sehr gut nachvollziehen. Nicht mein Verein, aber die Dinge , die hier stehen sind alle wahr. Zugunsten der, natürlich völlig abstrusen, Story spricht die enorme Fachkenntnis ihres Autors. In mitreißend zu lesenden Beschreibungen von historischen Spielsituationen, schickt er den Leser gerne steil, kann aber an anderer Stelle auch mal das Tempo aus dem Spiel nehmen und uns mit der Lieblingsbeschäftigung Nikos, dem einfachen aufzählen von unvergessenen, aber selten genannten Vereins-und Spielernamen meditieren lassen.

„Westfalia Herne, Dieter Schatzschneider, Jahn Regensburg, Stig Töfting, Jürgen Sobieray, SpVgg Erkenschwck, Uli Bittcher, Dynamo Moskau, Peter Pacult, Grazer AK.“ Das sind Worte, die keinen Autor brauchen und für sich sprechen. Aber an der richtigen Stelle eingesetzt eben gut. Ein Gefühl geistiger Heimat.

Toll, aber schade

Leider gibt es aber auch Negatives zu diesem im Grunde sehr sympathischen Buch zu sagen. Dass der Lektor offenbar gepennt hat, wenn er „Laibchen“(kleine Brote) statt „Leibchen“ zum Trainig austeilen lässt und „Bromazepan“ statt dem handelsüblichen „Bromazepam“ zur Sedierung der Bayern-Profis – geschenkt. Dass mein Verein, Hannover 96, als langweiliger Versager dargestellt wird – verziehen, weil perspektivisch nachvollziehbar.

Aber eine Sache, die doch den eigentlichen Clou des Buches ausmachen soll, ist dem Autor meines bescheidenen Erachtens nach völlig misslungen. Es handelt sich um die Tatsache, dass im gesamten Buch durchgängig real existierende Namen verwendet werden. Jedenfalls fast.
Denn im Gegensatz zur authentischen Lesart des Restes werden als es richtig losgeht, plötzlich nur die Spieler und Funktionäre der Bayern mit teilweise haarsträubenden Phantasienamen ausgestattet. Bis zur Kenntlichkeit entstellt, entsteht durch Namen wie Schlukic, Linder, Bathenay und Gelio (puh!), das Gefühl, man spiele an Stelle von „Fifa 08“ auf einmal bei der Konkurrenz von „Pro Evolution Soccer“, mit ihren peinlichen Verballhornungen der Spielernamen. Den Vogel abgeschossen hat der Autor jedoch mit dem Pseudonym von Bayern-Manager Uli Hoeneß.
Im Buch heißt er Klaus Belgrader, was eine Mischung aus Wegeners mutmaßlichen Lieblingsspielers Klaus Fischer und dem jugoslawischen Ort ist, an dem Uli Hoeneß einst für das erste Trauma einer ganzen Generation sorgte, als er im Finale der Europameisterschaft 1976 den vorentscheidenden Elfmeter gegen die Tschechoslowakei in eben diesen Belgrader Nachthimmel semmelte. Hmmh.

Trotzdem hat es großen Spaß gemacht das Buch zu lesen. Einige Sequenzen, wie zum Beispiel die Beschreibungen der Kindheitserlebnisse zwischen Resopal-Tischen und Horten, die treffende Einschätzung der Münchener Upperclass-Aviatoren und der versöhnliche Schluss des Buches, sind auch literarisch gelungen, der Rest ist geiler Wahnsinn mit Methode.
Für Schalke-Fans ein „must have“, für den Rest der fußballaffinen Nation ein stellenweise charmanter Trip durch fanatische Fan-Tagträume und zumindest als Fibel mit „1000 Guten Gründen den FC Bayern scheiße zu finden“, äußerst gut geeignet.

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