Sprache der Menschheit – »Von einer Musikschule kommen keine Kriminellen.« YM

Nicht allen jedoch ist geläufig, dass es dem Violinvirtuosen nicht allein um hin- und mitreißende Wiedergabe der Kompositionen anderer großer Meister ging. Menuhin war überzeugt, dass Musik klug macht, dass sie integriert und heilt. Für ihn begann sie, wo Sprache endet, war Musik die Sprache der Welt. O-Ton: »Einige sagen, man könne ohne Musik, ohne Theater, ohne Gedichte, ohne Literatur leben. Aber das ist nicht so. Ich sage immer, von einer Musikschule kommen gewöhnlich keine Kriminellen.« 

Das sind Sätze, die man nicht oft genug wiederholen kann – besonders in Zeiten, wo Musikschulen »Kostenfaktoren« sind und dementsprechend oft dem Rotstift zum Opfer fallen, wo an der Ausbildung von Musiklehrern gespart wird und der Musikunterricht in den Schulen kaum noch stattfindet, wo hoch qualifizierte und -motivierte Musiker kein Engagement haben und sich von Mugge zu Mugge hangeln müssen. 

Yehudi Menuhin hat den Worten Taten folgen lassen: Er begründete mehrere Musikschulen, Stiftungen und Wettbewerbe mit dem Ziel, den Nachwuchs zu fördern. Alle geben sie jungen, talentierten Menschen Gelegenheit zu öffentlichen Auftritten, wo sie ihre Vortragskunst vervollkommnen und Bühnenerfahrungen  sammeln können.  Seinem Engagement verdankt die Organisation Live Music Now (1977 in England) ihr Entstehen. Die Mitglieder, die inzwischen auch in Deutschland in 16 Städten aktiv sind, organisieren kostenlose Konzerte in Krankenhäusern, in Alten- und Behindertenheimen und in Gefängnissen. Mit ihrer Musik weiten sie die eingegrenzten Lebensräume sozial schwacher Menschen und schlagen Brücken.  Auch zu den Kindern, die immer zu  den Gefährdeten gezählt werden müssen .
Die 1999 von Yehudin Menuhin begründete Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland sieht sich in der Pflicht, die Kreativität von Kindern, besonders in sozialen Brennpunkten,  zu fördern, sie  in ihrer Ausdrucksfähigkeit und ihrer Persönlichkeit zu stärken und in ihrer sozialen Kompetenz zu unterstützen. Das Hauptprojekt der Yehudi-Menuhin-Stiftung ist MUS-E, das künstlerische Programm für Schulen. Schauspieler, Tänzer, Musiker  und Vertreter der Bildenden Künste verstärken die Lehrerkollegien und bestreiten pro Woche zwei Schulstunden. Viele Kinder kommen so zum ersten Mal mit Kunst in Berührung, haben Spaß und erleben, dass Vielfalt von Individualität und kultureller Herkunft jede Gemeinschaft bereichert. Wer gemeinsam Musik macht, prügelt sich nicht. Europaweit engagieren sich bisher 500 Künstler, fünfzig Koordinatoren (unter Mitwirkung von 1.000 Lehrern) und viele hundert ehrenamtlich aktive Menschen für MUS-E.
Menuhin selbst hat zeitlebens gezeigt,  dass Musik eine Atmosphäre von Hoffnung, Vertrauen und Freude schaffen und ein Mittel gegen Kriminalität und Gewalt sein kann.

Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer wurde 1916 in New York geboren. Mit 4 Jahren bekam er seine erste Geige. Sein erstes öffentliches Solokonzert – die einfühlsame Interpretation von Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert – spielte er im Alter von sieben Jahren vor 9000 Besuchern in San Francisco. Als Zehnjähriger musizierte er in Paris, mit elf in der Carnegie Hall in New York. Legendär das »Konzert der drei B«, (Bach, Brahms, Beethoven) am 12. April 1929 in der Berliner Philharmonie. 

Zu Deutschland hatte der Jude Menuhin zeitlebens eine klare Haltung. Während des 2. Weltkriegs gab er mehr als 500 Konzerte für die Soldaten der Alliierten, die gegen die Nazis kämpften. Gemeinsam mit Benjamin Britten spielte er für die Überlebenden des KZ Bergen-Belsen. Er war der erste jüdische Künstler, der nach Krieg und Holocaust wieder in Deutschland konzertierte und der mit Werken deutscher Komponisten in Jerusalem auftrat. Dafür bekam er nicht nur Beifall.  Er setzte auf die Lernfähigkeit der Menschen, auf  Überwindung von Hass und auf Völkerverständigung. Und mit der »Sprache der Menschheit« – mit der Musik verfolgte er sein  Ziel. Kaum überraschend, dass er bereits kurz nach dem Mauerfall im Herbst ’89 mit der Ostberliner Staatskapelle musizierte. 
Im Jahre 1999 ist Yehudin Menuhin während einer Konzertreise in Berlin gestorben.

Am Montag erinnerte ein Gedenkkonzert im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie an den bedeutendsten Geigenkünstler des 20. Jahrhunderts. Bestritten wurde es vom  Ensemble Oriol. Solist waren Guy Braunstein, 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, und die Pianistin Elena Baschkirowa.  Oriol – das ist russisch und heißt Adler. Hans Adler hieß der Mann, dem Yehudin Menuhin schon 1950 seine Vertretung in Deutschland übertrug. Fast ein halbes Jahrhundert organisierte die Konzert-Direktion Adler die Deutschlandtourneen des außergewöhnlichen Künstlers. 

Unter Braunsteins Leitung spielte das Ensemble das Konzert a-Moll für Violine, Streichorchester und Basso continuo von Johann Sebastian Bach, das Konzert für Violine, Klavier und Streicher d-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy sowie Streichquartette von Giacomo Puccini und Anton Webern in der Bearbeitung für Streichorchester. Die überwältigende Leistung der Virtuosen fand ihre Entsprechung im hochkultivierten Spiel des Orchesters, das heute durch Zusammenschluss mit dem Persius Ensemble Potsdam Teil der Kammerakademie Potsdam ist und von Michael Sanderling und Andreas Marcon geleitet wird.      
 »Einem Mann, einem Musiker, einem Menschen wie Yehudi Menuhin  ein Konzert zu widmen, dazu haben wir jede Veranlassung«, hatte  Frau Prof. Monika Grütters zu Beginn der Veranstaltung gesagt. Und da vorausgesetzt werden kann, dass die Kultur- und Wissenschaftsexpertin der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag weiß, dass man einen Menschen am besten ehrt, indem man seine Ziele unterstützt, mögen viele  Konzertbesucher Hoffnung darein setzen, dass Frau Grütters als  Ordentliches Mitglied des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten und Medien durchsetzen hilft, was sie erkannt hat: »Musik ist eine starke verbindende Kraft, möglicherweise die stärkste überhaupt. Musik ist eine universelle Sprache, sie taugt nicht zur politischen Indoktrination, sie überbrückt sprachliche Barrieren und erreicht die Menschen auf der ganzen Welt und in ihrem Innersten. Eine solche Kultur, in ihrem weitesten Sinne, diese Kultur ist eben keine Ausstattung, die eine Nation sich leistet, sie ist eine Vor-Leistung, die allen zugute kommt. Kultur ist eben nicht nur ein Standortfaktor, sie ist vielmehr Ausdruck von Humanität. Ein Jammer, dass bei Geldgebern und vor allem denen in der Politik diese Einsicht nicht immer zu den notwendigen Förderentscheidungen führt”¦« Beifall.
Eine Wiederbegegnung mit dem Ensemble Oriol gibt es am 18. November, wiederum im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Solist ist Omar Ebrahim, Bariton. Auf dem Programm stehen Lieder von Charles Ives und Hugo Wolf und die Partita für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Klavier, Violine und Violoncello von Sebastian Gottschick, der auch die Leitung des Konzerts hat.

Vollständiges Konzert-Programm und Tickets unter www.ensemble-oriol.de

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