Spannender Rundumschlag vom letzten Jahrhundert bis in den Weltraum – Die Kurzfilmpreise der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in der Caligari FilmBühne Wiesbaden

Der Name Murnau ist jedem Filmliebhaber bekannt, aber immerhin gehörte Friedrich Wilhelm Murnau, der von 1888 bis 1931 lebte, der ersten Generation der Regisseure an, denjenigen, die mit dem Stummfilm das Medium Kino erst auf die Leinwand brachten. Ihm sind die Stummfilmklassiker wie FAUST oder NOSFERATU zu verdanken, dessen geheimnisvolles dunkles Filmplakat sozusagen im kulturellen Gedächtnis des Volkes lagert. Die Stiftung wurde schon 1966 gegründet, als eine gemeinsame Initiative von Bundesregierung und Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), damit der Sektor Film – immer zwischen Kunst und Wirtschaft angesiedelt – eine größere Bedeutung gewönne, was durch Erhaltung und Veröffentlichung der deutschen Filmkultur geschehen soll.

Heute zählt die Stiftung zu den wesentlichen Institutionen der Branche und ist einzigartig, wenn es um die Wiederherstellung alter Filme geht. War es zur Berlinale „Metropolis“ von Fritz Lang, die in der rekonstruierten Urfassung mit Originalmusik am 12. Februar 2010 in Frankfurt am Main und Berlin gleichzeitig ihre Premieren hatten, so waren es gerade, am 27. April 2010 „Die Nibelungen“, ebenfalls von Fritz Lang, die in der Deutschen Oper in Berlin mit Riesenorchester und „wie neu“ zur Aufführung kamen. Mit großem Erfolg.

Da kann man sich noch auf einiges gefaßt machen, besser: sich auf vieles freuen, wenn man bedenkt, daß etwa 6 000 Titel Bestand der Stiftung sind, etwa 2 000 Stummfilme von 1895 bis 1930 und etwa 1 000 Tonfilme von 1930 bis 1960. Gesammelt werden auch Fotos (ca. eine Million), Plakate und Werbematerialien. Platz ist also nötig, weshalb seit einem Jahr die Stiftung in der Nähe des Wiesbadener Hauptbahnhofs ein eigenes Deutsches Filmhaus sein eigen nennt, das wiederum ein Murnau-Filmtheater mit hundert Plätzen beherbergt und Anziehungspunkt für alle Filmfreunde und kommerziellen Partner aus ganz Deutschland ist.

Den Kurzfilmpreis gibt es seit 1995 und der künstlerische oder gesellschaftlich relevante Anspruch ist das inhaltliche Nötige, die Dauer von nicht mehr als 15 Minuten das formale Argument, um für einen Preis in Frage zu kommen. Die Art des Films, ob Kurzfilm, ob Kinderfilm, ob Animationsfilm, ob Computeranimation ist unwichtig, alles ist erlaubt, wenn Zeit und geglückte Umsetzung stimmen. Traditionell findet die Preisvergabe in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden und mit Hilfe zahlreicher Sponsoren statt.

So sprach nach der Eröffnung durch Kuratoriumsvorsitzender Eberhard Junkersdorf: „Über die Pflege unseres reichen Filmerbes – zu dem bedeutende Werke von Fritz Lang, Ernst Lubitsch und F.W. Murnau gehören – hinaus engagiert sich die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung für die Förderung des Nachwuchses“, die Wiesbadener Kulturdezernentin Rita Thies die Begrüßungsworte bei der Preisverleihung in der Wiesbadener Filmbühne und gratulierte den zehn Herstellern von Spiel-, Animations- und Zeichentrickfilmen, von denen man im Verlauf des Abends erfuhr, daß die Beteiligten bis zu drei Jahren an diesen Filmen saßen, die in ein paar Minuten über die Leinwand laufen.

„Kurzfilme bieten für junge Filmschaffende eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich für größere Projekte zu empfehlen. Der Kurzfilmpreis macht auf Talente aufmerksam, unterstützt künftige Filmvorhaben und erleichtert deren Förderungen. Wir hoffen natürlich, daß auch Preisträger von 2010 in die Fußstapfen früherer Murnau-Preisträger treten können“, erläuterte Kuratoriumsvorsitzender Junkersdorf, der gemeinsam mit je zwei Vertretern der Fachverbände für Filmtheaterwirtschaft und Kurzfilmproduktion der Kurzfilmpreis-Jury angehörte und die Preise, eine Urkunde mit dem Scheck überreichte und zu den Filmen Nachfragen stellte.

Zu den früheren Entdeckungen des Kurzfilmpreises zählen später mit dem Oscar ausgezeichnete Filme von Pepe Danquart, Tyson Montgomery und Jochen Alexander Freydank ebenso wie frühe Werke von Fatih Akin und Florian Henckel von Donnersmarck. Weitere etablierte Filmschaffende wie Wim Wenders und Tom Tykwer finden sich in der Auflistung der bisherigen Preisträger seit 1994. Die doch eigentlich kurzen Filme dauerten im Verbund mit den Ansprachen und dem ziemlich verspäteten Beginn sowie der Preisverleihung an diesem Abend in Wiesbaden über drei Stunden. Alle zehn Filme vorzustellen, ist kaum möglich, aber gerade die Abfolge hintereinander ohne Pause oder Kommentar, machte einem klar, wie unterschiedlich das Medium Film ge- und benutzt werden kann. Und das ist nicht einmal in erste Linie technisch gemeint, sondern tatsächlich inhaltlich. Vom Witz, der häufig vorkam, bis zur Tragödie war alles drin. Letzteres bezieht sich auf „Vorher/Nachher“, von dem wir noch immer nicht sagen können, wie wir diesen Kurzspielfilm wirklich finden. Aber da wir so viel darüber nachdenken, ist das sicherlich ein gutes Zeichen, denn Filme, die kurz amüsieren, dann aber vergessen werden, um die ist es nicht schade.

Der Film dauert 14 Minuten und 58 Sekunden und die gefühlte Länge ist so etwa eine Stunde. Es geht knallhart um eine Vergewaltigung, die sich aus einer harmlosen Begegnung entwickelt, als die junge Sportlerin Maren Tobias kennenlernt, der nicht so gut wie sie läuft, aber ihr ein Eis verspricht für ihren schnellen Spurt, dann das Portemonnaie zum Bezahlen vergessen hatte, dies in der Wohnung holen wollte, wo er ratz putz über sie herfiel. Schlimm das mitansehen zu müssen, aber sehr wichtig, die Reaktion der jungen Frau zu erleben, die die Schuld allein bei sich suchte. Dummheit, in die Wohnung eines Fremden mitzugehen, ist das eine, die Unfähigkeit, sich dem Angriff entzogen haben zu können ist das andere. Und die Verletzung und Scham das Dritte. Das kommt im Film absolut rüber, daß der Vergewaltigungsakt das eine ist, den man – Ratschlag im Film – im Kopf so ablaufen lassen sollte, als ob es gar nicht um einen selber gehe, immer mit der Erwartung, gleich ist es vorbei, daß aber die Folgen in eine Traumatisierung münden, die dann endgültig krank machen, weswegen jedem, der den Film sah, klar wird, daß man in solchen Fällen therapeutische Hilfe braucht und sie auch Betroffenen raten sollte.

Der filmische Abschluß mit „Bob“ hatte bei der Preisverleihung dann auch den witzigsten Filmabschluß, dessen letzter Satz „I am Bob“ den liebestollen Hamster erstarren ließ, wie einst die Chargen in „Manche mögen`s heiß“. Denn dieser Hamster, der – wie er dachte – dem berückendem weiblichen Hamsterexemplar im Drehrad rund um die Erde gefolgt war, x-mal reanimiert ob seiner Laufanstrengung, muß diese Anstrengung nun ins Verhältnis setzen, daß er einem männlichen Wesen hinterhergelaufen war. Genauso fein die Idee, die technischen Tricks im Film aufzublättern. Denn wenn wir die Hamster über Rom durch die Welt im Drehrad laufen sehen, immer schneller, dann laufen sie zwar in den Drehrädern, die auf einem Tisch stehen, aber vor ihnen auf der Leinwand erscheinen die touristischen Attraktionen, in denen sie – von hinten aufgenommen – sich zu bewegen scheinen. Ein einfacher, aber wirkungsvoller Trick.

Folgende Filme wurden mit dem Murnau-Kurzfilmpreis 2010 ausgezeichnet:

AM SEIDENEN FADEN (Kurzspielfilm, Prod.: Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolff“ Potsdam-Babelsberg)

APOLLO (Animationsfilm, Prod.: Felix Gönnert, Berlin)

BOB (Animationsfilm, Prod.: Filmakademie Baden-Württemberg, Ludwigsburg)

FRIDA & DIE ZEIT VOR MIR (Animationsfilm, Prod.: Puppethotel (Meike Fehre), Hamburg)

STEINFLIEGEN (Animationsfilm / Kinderfilm, Prod.: Anne Walther, Kassel)

STILL (Kurzspielfilm, Prod.: Badlandsfilm GmbH, Berlin)

THANK YOU MR. PRESIDENT (Kurzspielfilm, Prod.: Legrain Productions (Lenn Kudrjawizki), Berlin)

URS (Animationsfilm, Prod.: Filmakademie Baden-Württemberg, Ludwigsburg)

VORHER / NACHHER (Kurzspielfilm, Prod.: Element-e Filmproduktion GmbH, Hamburg)

WAGAH (Dokumentarfilm, Prod.: Detailfilm (Gasmia & Kamm) GbR, Hamburg)

Internet: www.murnau-stiftung.de, www.wiesbaden.de/caligari

Vorheriger ArtikelJohnny Dearest – Amanda Seyfried und Channing Tatum entdecken „Das Leuchten der Stille“ in Lasse Hallströms „Dear John“
Nächster ArtikelDer Künstler Gunter Demnig erinnert diesmal an Hans, Frieda und David Rosenbaum – Eintracht Frankfurt verlegt Stolpersteine für während der NS-Zeit ermordete jüdische Mitglieder